Hamburg. Die Sängerin Cecilia Bartoli kam mit einer konzertanten Aufführung von Mozarts „La clemenza di Tito“ in die Elbphilharmonie.

Verrat und Vertrauen, Macht und Ohnmacht, Liebe und Lügen – in seiner späten Seria-Oper „La clemenza di Tito“ über einen guten Herrscher und viel intrigantes Drumherum kommt Mozart mit lediglich sechs Spielfiguren für eine Partie Beziehungs-Schach stundenlang bestens über die Runden. Dass es für das Mitleiden und Nachvollziehen bis hin zum Happy End keine Inszenierung benötigt, solange das Ensemble und der Umgang mit dem Material tragend genug sind, hat Cecilia Bartoli 2021 bei den Salzburger Pfingstfestspielen bewiesen.

Elbphilharmonie: Cecilia Bartoli als Zentralgestirn, um das sich alles dreht

Als Intendantin des hochpreisigen Kurz-Festivals hatte sie sich dort selbst mit handverlesenen Mit-Wirkenden aufs Programm gesetzt, und sich als Bühnen-Debüt die Rolle des Sesto zugeteilt. Auch das Orchester, „Les Musiciens du Prince – Monaco“, ist ihre Alte-Musik-Hausmarke, sie ist deren Chefin und inzwischen zudem Intendantin der Oper in Monte Carlo. Einige klare Entscheidungen auf einmal also, sehr viel Maßarbeit, zugeschnitten auf die Hauptperson, den Publikumsliebling, die größte, reifste, fast alle und alles überstrahlende Stimme. Und mitzubedenken, wenn man sich jetzt das Elbphilharmonie-Gastspiel anhörte und sah.

Denn auf interessante Weise ist Bartoli dieser Partie inzwischen entwachsen. Die 56-Jährige über-spielte, über-trieb und über-höhte diese Rolle, ist hörbar nicht mehr der hehre Jüngling, den sie dort stimmverkörpern sollte, sondern eine reife, größere, intensivere Persönlichkeit. Ein ganzer Mann, gewissermaßen. Damit reizte sie die klassischen Konventions-Vorgaben des Stücks sehr weit aus, zu ihren eigenen Gunsten.

Was einerseits anrührte und beeindruckte, weil es den Rollen-Charakter individueller und eindringlicher machte. Andererseits irritierte es aber auch leicht, weil es die Musik und ihre dramatischen Absichtsmöglichkeiten fast aushebelte. Und dass Bartoli als Sesto von Mozart die begleitende Solo-Klarinette als Mit-Spieler auf der freigeräumten Bühne geschenkt bekam, ist ein Bonus, der allein optisch einiges hermachte.

La Bartoli als Sesto mit ersten Altersringen war durchaus toll

Sehr freie Bahn zum begeisterten Schlussapplaus also, könnte man meinen. Orchesterchen und Chor wurden von Gianluca Capuano schnittig straff geführt, die Rezitativ-Begleitungen waren mitunter etwas zu eifrig untermalend. Der Rest des Casts war sehr ordentlich, konnte der leading diva aber nicht das Wasser reichen: Alexandra Mareallier als Vitellia hatte Hausherr Christoph Lieben-Seutter anfangs als kränkelnd angesagt.

Mélissa Petit und Peter Kálmán funktionierten als Servilia und Publio, wie sie sollten. John Osborn als final gnädiger Titus, tenoral eine halbe Nummer zu energisch, klebte arg eng an seinen Noten, die er als einziger mit Seitenblicken ehrfürchtig vom Tablet ablas, als wären es Moses’ Gebotstafeln.

In der Hosenrolle des Annio hatte die Mezzosopranistin Lea Desandre mit dessen zwei Arien nicht allzu viele Gelegenheiten, um Bewunderung auf sich umzulenken. Aber die nutzte sie großartig, mit geradezu lieblichem Charisma. La Bartoli als Sesto mit ersten Altersringen war durchaus toll. Lea Desandre könnte ein anders toller Sesto der nächsten Generation sein.

CD: Lea Desandre „Handel. Eternal Heaven“ Dunford, Davies, Ensemble Jupiter (Erato, ca. 17 Euro). „La Clemenza di Tito“ Academy of Ancient Music, Christopher Hogwood, Bartoli u.a. (Decca, 1995, 2 CDs)