Hamburg. Der Startenor servierte in der Laeiszhalle ein rein italienisches Programm. Das hätte als übel übersüßtes Dolci-Desaster enden können.
Mal abgesehen davon, dass er von seinen Fans allen Alters auch für das Vorsingen eines vergilbten Telefonbuchs aus Wiesbaden bejubelt würde: Jonas Kaufmann hätte es sich einfacher, und vor allem populärer machen können als mit dieser Programmzusammenstellung.
Italienische Opernarien, italienische Opernarien und noch mal nichts als italienische Opernarien, das hätte als übel übersüßtes Dolci-Desaster im grünweißroten Klischee enden können, alles ganz knapp vor „Fernsehgarten“-Mitschunkeln.
Doch Kaufmann sang und strahlte lieber auch dorthin, wo es interessanter und unbekannter wurde. Die Herausforderung sollte sich ja schließlich lohnen. Also: Verdi einerseits und Verismo andererseits, Mittelbekanntes und Exemplarisches, aus Opern wie Giordanos „Fedora“ oder Cileas „L’Arlesiana“ ausgewählt, die nun wirklich keine Dauergäste in den Spielplänen sind.
Jonas Kaufmann: Der Tenor für die italienischen Momente im Leben
Dass der inzwischen auch stimmlich dekorativ grau melierte Tenorissimo der Herzen sich seinen Hamburger Tourneetermin nicht in den Großen Saal der Elbphilharmonie gelegt hat, sondern in den der Laeiszhalle, ist nicht nur aus seiner Sicht verständlich. Anderes Ambiente, beherrschbarere Akustik.
Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, ab Mezzoforte aufwärts gern solide wuchtbrummig unterwegs, und Kaufmanns Stamm-Dirigent Jochen Rieder hatten dort aber hin und wieder schon ihre liebe Mühe mit der Lautstärke-Balance und der dennoch unabkömmlichen Leichtigkeit, sobald Verdi, ganz im Eifer seiner dramatischen Gefühlswogen, orchestral in die Tutti-Vollen geht.
Doch Kaufmann stand bereits ganz vorn an der Rampe, an ihm lag es also nicht, wenn nicht alles die verdiente Aufmerksamkeit und Klarheit bekommen konnte.
- Jonas Kaufmann: „Ich werde kein Fan der Elbphilharmonie“
- Laeiszhalle statt Elbphilharmonie: Jonas Kaufmann wienert sich so durch
- Elbphilharmonie: Jonas Kaufmanns Pianist legt gegen Publikum nach
Man war hier nicht nur gehorsam begleitende Klangtapete für den Auftritt des Stars im Frack, mit den jeweils passenden Orchestereinleitungen zu den Arien sollte auch eingestimmt werden. Das gelang mal mehr, mal weniger mittelgut; interessanterweise wurden gerade die Nicht-Verdi-Kostproben geschmeidiger und weniger pauschal in den Saal behauptet.
Jonas Kaufmann: Eine Opern-Bühne wäre auch schön gewesen
Zum Aufwärmen der Stimmung begann Kaufmann mit Verdis „Celeste Aida“, schon dort durch seinen sanft abgedunkelten Ton mit dem kräftigen Kern interessant gereift. Die charismaverstärkenden Jahresringe stehen dieser Stimme, auch wenn die Leichtigkeit in der Höhe so ganz und gar leicht nicht immer wirkte. In der gehobenen Mittellage jedoch ist dieser Tenor, sobald er sich entspannt ins Genießen seiner Kunst fallen lässt, mit seiner satten Durchsingkraft, die ihre Reserven punktgenau abrufen kann, eine Wonne.
„Dio! Mi potevi scagliar“ aus „Otello“ ließ eine Bühne und eine einordnende Inszenierung deutlich vermissen, so blieb es bei einer starken Szene, nur leider ohne würdigenden Rahmen. Schade, dass es über die gesamte Konzertdauer nichts und niemanden aus Fleisch und Blut als Gegenüber gab. Kaufmann litt, liebte, wütete und grämte sich wieder und wieder ins Leere. Er blieb als nun mal einziger Protagonist, egal in welcher Handlungsetappe, ungespiegelt, unherausgefordert, unwidersprochen.
Jonas Kaufmann: ausgiebiger Zugabenteil
Auch der zweite Teil wurde mit einem Opern-Ohrwurm eingeleitet, nach dem Prolog aus Leoncavallos „I Pagliacci“ folgte das berühmte, tragischdramatisch aufgeheizte „Vesti la giubba“ des traurigen Clowns, in dem Kaufmann nobel und aufrecht gestaltend blieb und diesen Schmerz nicht ständig in pathetischen Schluchzern ertränkte, weil es sich gerade so dankbar anbot.
Aus Giordanos „Fedora“ schaffte es einzig ein Orchesterstückchen als Füllmaterial ins Sortiment, die Renommier-Arie „Amor ti vieta“ blieb hier ungesungen, interessanter Ersatz dafür war ein anderes Schmachtstückchen aus diesem dankbaren Genre, aus Cileas „L’Arlesiana“.
Bevor Kaufmann und sein Orchester, stürmisch und mit stehenden Ovationen gefeiert, in den ausgiebigen Zugabenteil abbogen, rundeten das herzschmerzschöne Intermezzo und das finale „Mamma, quel vino è generoso“ aus Mascagnis „Cavalleria rusticana“ diesen Auftritt ab.
Aber einer, einer aus der Zuckerl-Dose ging ganz am Ende schon noch rein: das sonnige, zeitlos zu Herzen gehende „Non ti scordar di me“, die Geigen säuseln herzig zum „Vergiss mein nicht“, die Spitzentöne sitzen, das Leben als Tenor kann auch mal nur so schön sein.
Aktuelle CD: „Insieme. Opera Duets“ mit Ludovic Tézier (Bariton), Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Sir Antonio Pappano (Sony Classical, ca. 19 Euro)