Hamburg. Die italienische Mezzosopranistin hat in ihrem Archiv gestöbert. Am 14. Dezember singt sie in der Elbphilharmonie.

Wer kennt das nicht, als weltbekannte Koloratur-Mezzosopranistin mit prallvollem Terminkalender: Da geht man nach einer Zehn-Konzerte-Tournee noch ins Studio, um noch schnell die Ergebnisse aufzunehmen, bevor der musikalische Feinschliff zu verblassen droht. Nimmt dort mehr als genug für eine CD auf. Und dann, irgendwas ist ja immer, dann vergisst man das Ganze. Einfach so. Aus den Ohren, aus dem Sinn. Bis einen gut acht Jahre später, beim coronabedingten Muße-Sichten des eigenen Archivs, das Material taufrisch anlacht und ermutigt: Los doch, veröffentliche mich!

So in etwa soll es sich zugetragen haben, mit dem neuen und doch so gar nicht neuen Album, das Cecilia Bartoli kürzlich unter dem Titel „Unreleased“ herausbrachte, als Zeitreise in eine interessante Repertoire-Nische. 2013 nahm sie mit dem Kammerorchester Basel unter Leitung von Muhai Tang Konzertarien und Szenen auf, Mozart, Haydn, Beethoven, Myslivecek. Wiener Klassik, mal nichts Barockes und auch nicht die allergrößten Hits. Aber eben: Bartoli. Kassengold-Garantie, sollte man meinen. Und außerdem die Gelegenheit, ein jüngeres, stimmfrischeres Abbild der 2021er-Stimme zu hören, als wäre das alles erst gestern passiert.

Das neue Album von Cecilia Bartoli: eine hübsche Retro-Ergänzung

Gänzlich neu ist diese Repertoire-Farbe nicht, Cecilia Bartoli hat Mozart und Haydn schon gesungen. Haydns „Berenice“-Szene und Beethovens „Ah! Perfido“ – für eine Sopranistin im Original, nicht für eine etwas tiefere Mezzo-Stimme – haben Verwandtschaftliches. Die typische Brillanz, frische Schnelligkeit, ein leicht opernhafter Charme der Musik: Nach gut zwei Dutzend Alben eine hübsche Retro-Ergänzung ihres Werkkatalogs.

Auf diese Vorgeschichte angesprochen, hat Bartoli, da ist sie längst Profi genug, natürlich eine passende Antwort parat: „Ganz einfach: Wir hatten eine Woche Zeit, und die Situation war ideal.“ Als alle während Corona nichts machen konnten, sei die Idee mit der Archiv-Sichtung gekommen. „Ganz ehrlich: Es gab keine Pläne, das zu veröffentlichen! Der Plan war nur, es zu haben, als Dokument.“

Ihre Stimme hat Bartoli einmal mit einem guten Rotwein verglichen

Im Archiv soll jedenfalls noch mehr schlummern, von diesen Sessions, aber auch anderes, Überschüssiges von den beiden Vivaldi-Konzept-Alben zum Beispiel, die sensationell erfolgreich waren. Gluck ebenso. Studio-Aufnahmen, aber auch Live-Mitschnitte, „nach 35 Jahren Karriere ist klar, dass ich viele Projekte umgesetzt habe. Wir bräuchten aber Zeit, um das Archiv genau durchzuhören.“ Klingt ein bisschen nach der legendären Schatzkammer von Prince, in der sich etliche unbekannte Song-Berge befinden sollen. Der Vergleich gefällt ihr, aber beim „Unreleased“-Material sei es anders gewesen, und beim Wiederhören sei ihr das Gefundene „fantastisch“ vorgekommen.

Ihre Stimme hat die Römerin und Wahlzüricherin einmal mit einem guten Rotwein, einem Barrique, verglichen, begonnen habe sie als ein junger Weißwein. Den Lauf der Zeit an sich zu spüren und in sich zu hören ist also etwas, das ihrer Aufmerksamkeit sicher nicht entgeht. „Ist man jung, ist die Stimme noch nicht gereift, und man muss seine Technik erst entwickeln, vielleicht fehlen die hohen oder die tiefen Töne noch“, sagt sie. „Wird man älter, lernt man diese Technik, man kennt sein Instrument dann besser. Natürlich kann man in meinem Alter den Cherubino nicht mehr singen, selbst wenn man es mit der Stimme hinbekommt. Aber man muss ja auch glaubwürdig bleiben. Es gibt in jedem Alter Einschränkungen für die Stimme. Das Wichtigste ist, die nicht zu zeigen.“

Ein Opernstudio ist Teil ihrer Pläne für Monte Carlo

Es ist nicht so, dass Bartoli aktuell nicht genügend zu tun hätte: Die nächste Tournee läuft, ein Termin bringt sie demnächst auch zurück nach Hamburg, aber mit ganz anderem Material. Vor Kurzem hat sie ihr Engagement als Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele bis 2026 verlängert, inzwischen kam ein weiterer Chefinnen-Posten dazu, ab 2023 an der Oper in Monte-Carlo. Mit dem Fulltimejob einer Diva lasse sich das aber gut vereinbaren.

Die monegassische Opern-Saison sei nur kurz, die beginne im November und ende schon wieder im April, unmittelbar vor Salzburg. Alles andere laufe normal weiter, „das ist möglich“. Teil ihrer Pläne für Monte-Carlo sei auch ein Opernstudio, ein Laboratorium, um jungen Talenten Auftrittsmöglichkeiten zu geben, erst recht nach den beiden verheerend harten Corona-Jahren.

Cecilia Bartoli rückt mit Andeutung für das nächste Album heraus

Einer ihrer Lieblings-Kollegen, der Countertenor Philippe Jaroussky, tatsächlich auch keine 20 mehr, hat inzwischen das Dirigieren für sich entdeckt. „Dirigieren? Das ist schon eine Versuchung, aber heutzutage als Frau zu dirigieren ist noch sehr, sehr herausfordernd.“ Seit ihrem letzten Album, dem virtuosen Repertoire des legendären Kastraten Farinelli gewidmet, sind auch schon wieder gut zwei Jahre vergangen, was kann man demnächst von Bartoli an Entdeckungen oder Würdigungen erwarten?

Kaum überraschend reagiert sie so charmant wie wortkarg. Die bloße Erwähnung von Schubert-Liedern als mögliche Herausforderung lässt sie zwar selig seufzen, „das wäre schön …!“, doch sie sei nun mal so perfektionistisch bei ihren Ansprüchen der Textgestaltung und -durchdringung. „Dieses Niveau werde ich auf Deutsch wohl nie erreichen. Ich werde auch garantiert nie ein Wagner-Album aufnehmen …!“, reicht sie amüsiert hinterher.

Aber dann rückt sie doch noch mit einer Andeutung für das nächste Konzept-Album heraus: Händel, die großen Opernheldinnen. „Das könnte interessant sein.“ Abwarten, ob sich auch dazu noch etwas im Archiv findet.

Konzerte: 14.12. Elbphilharmonie / 16.12. Die Glocke, Bremen: Werke von Vivaldi, Händel und Pergolesis „Stabat mater“. Les Musiciens du Prince – Monaco, Franco Fagioli (Countertenor). Aufnahme: Cecilia Bartoli „Unreleased“ (Decca, CD ca. 17 Euro)