Die Meistersänger Cecilia Bartoli und Philippe Jaroussky gehen auf barocke Schatzsuche. Krimi-Autorin Donna Leon ist mit von der Partie.
Ihre Namenscousine Cäcilie gilt als Schutzheilige der Musik und insbesondere der Kirchenmusik, was fast zu gut passt, um nur ein Zufall zu sein. Denn eine bessere, cleverere und hartnäckigere Anwältin als den römischen Koloratur-Mezzo Cecilia Bartoli könnte sich die Alte-Musik-Szene kaum wünschen. Vivaldi hat sie als Opernkomponisten rehabilitiert, Salieri vom Königsmörder-Image befreit, das ihm seit dem Hollywood-Mozart in "Amadeus" anhing wie eine Klette, sie hat Gluck wieder belebt, auf dem Album "Sacrificium" huldigte sie der sinnlichen Vokalakrobatik barocker Kastraten.
Nun also das siebente Themenalbum, nach drei Jahren Arbeit, Agostino Steffani (1654-1728) gewidmet, einem in Europa weit herumgekommenen Norditaliener, der bislang nur eine Fußnote für Frühbarock-Spezialisten war. Steffani war Komponist, Diplomat, Geistlicher, Gelehrter, in Hannover in einen saftigen höfischen Affärenskandal verwickelt, vielleicht war er Spion, vielleicht Kastrat.
Was La Bartoli ausgräbt und ins Rampenlicht bringt, wird dank massiver Vermarktung zum Markenartikel. Nicht nur, weil es eine mitreißende Bühnenpersönlichkeit ist, die sich diese Mühe macht, sondern weil sie kompetent genug ist, um weniger lohnende Kleinmeister auch weiterhin in den Notenarchiven verstauben zu lassen. Kein Wunder also, dass sie ihr Plädoyer für einen Unbekannten "Mission" nennt und ihr diese Mission bestens gelingt.
Ein kleines, feines Kapitel von Steffanis Lebensgeschichte spielt in Hamburg. Einige seiner Hannoveraner Opern wurden zwischen 1695 und 1699 am Gänsemarkt ins Programm genommen, seinem Renommee hat das nicht geschadet. In Werken von Reinhard Keiser und Händel, der einige Jahre später in Hamburg erste Opern-Erfahrungen sammelte, finden sich Anspielungen auf Steffanis effektvolle Instrumentation. Und es gibt noch eine weitere, aktuellere Hamburgensie: Auf die Spur zu Steffani wurde Bartoli auch durch einen Hinweis von NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock gebracht, mit dem sie eine "Norma"-Produktion verbindet und der ebenfalls als musikhistorischer Trüffelsucher bekannt ist.
Dass Steffanis besondere Spezialität Kammerduette für zwei Stimmen und Begleitung waren, belegt das vokale Gipfeltreffen von Bartoli mit dem Countertenor Philippe Jaroussky, unter anderem im Klageduett "T'abbracchio, mia Diva". Die beiden Stimmen, dezent aufs Continuo gebettet, mischen und umschwärmen sich aufs Feinste. Doch auch der Rest des handverlesenen Steffani-Sortiments ist prächtig, effektsicher aufgebauscht in den Bravourstücken, von "I Barocchisti" temperamentvoll in instrumentale Szenen gesetzt. Es war wohl die Nähe zur sinnlichen Unmittelbarkeit von Händels Musik, die eine weitere Barocksüchtige ins Such-den-Komponisten-Spiel brachte, die berufsvenezianische Krimi-Autorin Donna Leon. Sie ergänzte Bartolis Überzeugungsprojekt um einen komplett Brunetti-freien Musikwissenschaftskrimi, in "Himmlische Juwelen" spielen ominöse Dokumentenkisten aus den Vatikan-Archiven eine wichtige Rolle. Das kann man als halbwegs unterhaltsame Sättigungsbeilage zu der opulent ausgestatteten CD lesen, muss man aber nicht. Bartoli ist die mit Abstand bekannteste Schatzgräberin der Branche. Allein ist sie mit diesem Ehrgeiz schon längst nicht mehr.
Ihr Steffani-Duettpartner Jaroussky, der zuletzt dem Venezianer Caldara zu posthumen Ehren verhalf, und ihr Steffani-Dirigent Diego Fasolis stehen im Mittelpunkt einer weiteren faszinierenden Ausgrabung: "Artaserse", eine prächtig überbordende Oper des Süditalieners Leonardo Vinci (1696-1730), dessen größter Erfolg zu Lebzeiten.
Warum, wird schon in den ersten Minuten klar, einer Ouvertüre mit Pauken und Trompeten, die mit Wucht ins antike Persien entführt, in einen dieser verworrenen Machtkämpfe, für die Vincis Librettist Metastasio von Zeitgenossen gefeiert wurde. Auch Vincis Leben ist nicht frei von Mysterien, er starb, gerade mal 34, angeblich an einer von Frauenhand vergifteten Tasse heißer Schokolade.
Die Handlung seines "Artaserse" ist lediglich Folie und Spielwiese für eine virtuose Arie nach der anderen. Das Koloratur-Feuerwerk wirkt so aufputschend wie eine Überdosis Adrenalin. Denn für "Artaserse" kamen nicht weniger als fünf Spitzen-Countertenöre ins Aufnahmestudio, neben Jaroussky wirkten auch Max Emanuel Cencic und Franco Fagioli mit. Mehr Spitzen-Hochtöner in einer einzigen Opern-Neueinspielung, das geht kaum.
Cecilia Bartoli: "Mission" I Barocchisti, Diego Fasolis (Decca). Vinci: "Artaserse" Philippe Jaroussky, Max Emanuel Cencic, Franco Fagioli, Daniel Behle u. a. Concerto Köln, Diego Fasolis (Virgin Classics). Im Oktober erscheint die iPad-App "Mission" (iTunes).Donna Leon "Himmlische Juwelen" Diogenes, 295 S., 22,90 Euro.
TV-Tipp: "Jaroussky singt Caldara" 7.10., 18.30 Uhr, Arte