Hamburg. Punktlandung: Mit John Williams‘ 2. Violinkonzert machte die Geigerin ihr Publikum im Großen Saal spielend zu Fans blutjunger Stücke.
Vom Filmmusik-Gott John Williams, damals immerhin schon ein ehrwürdiger Mittachtziger, zu erwarten, dass er auf seine älteren Tage sein Erfolgs-Vokabular links liegen lässt und alles total unjohnwilliamsig klingt? Nur weil er, nach mehr als einem Dutzend anderer Solostücke, sein zweites Violinkonzert für eine Münchnerin zu Papier bringen wollte, die ihn geschickt mit Lebkuchenpaketen bestochen hatte? In der Traumfabrik Hollywood wäre das womöglich ein interessanter Plot-Startblock gewesen. Im echten Leben – und im realen Konzert – passierte es eindeutig so nicht.
Vor neun Monaten erst war Anne-Sophie Mutter, als bekennende „Star Wars“-Süchtige zutiefst geehrt von diesem Freundschaftsbeweis nach Noten, zum ersten Mal mit dem interessant spröden Spätwerk Baujahr 2021 in der Elbphilharmonie zu Gast gewesen, damals mit Boston Symphony und Andris Nelsons. Runde zwei dort mit diesem Bravourstück war nicht ganz so prominent gecastet, ihre Tourneepartner waren nun das Orchester aus Dallas mit dessen Chef Fabio Luisi.
Konzert Hamburg: Mit Anne-Sophie Mutter ins Elbphilharmonie-Ohrenkino
Ein „nur“ verbietet sich aber als eilige Pauschalabwertung. Und Williams‘ Handschrift – die saftigen Streichersätze, die mal eben hineingeworfene Effektzauberei mit den Holzbläsern, die kleinen, raffiniert gesetzten Pathos-Sahnehäubchen – funkelte immer wieder, klar erhörbar, durch. Dass sie nicht prägnanter und überzeugender wirkte, lag wohl auch daran, dass sich die Gäste aus Texas und ebenso ihr Dirigent bei ihrem zweifachen Debüt erst auf die Akustik dieses Saals einjustieren mussten. Bis zur Pause wirkten sie dort doch eher eingeschüchtert als eingeladen oder gar bis ans hinterste Geigenpult entspannt.
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Bevor die geigende Sensation dieses Abends auf die Bühne kam und ihr Publikum in 30 Minuten zu Fans blutjunger Violinkonzerte verwandelte, präsentierte auch dieses US-Orchester kürbewusst ein manierlich zeitgenössisches, aber nicht wirklich umwerfend aufregendes Auftragsarbeitchen seiner aktuellen „composer in residence“ als Tour-Souvenir. Angélica Negron hatte mit „What Keeps Me Awake“ eine zeitgemäße Kleine Nachtmusik schreiben wollen, einen grübelnden Tagebucheintrag über jene Stunden im Dunklen, in denen Gedanken ziellos kreisen und man verwirrt dem eigenen Puls zuhört, der sich genau so als zart pochender Rhythmusfaden durchs Orchester zog. Tat nicht weh, zog sich nicht, verflüchtigte sich wie einer dieser Traumreste, an die man sich beim nächsten Tageslicht doch schon nicht mehr erinnern kann.
Beim Wiederhören mit JW II stellte sich ein leichter Déjà-vu-Effekt ein, nachdem sich die erste Rührung darüber gegeben hatte, wie freundschaftlich Williams „seiner“ Solistin hier, da und dort großzügig weite Präsentierflächen ihres noch viel größeren spieltechnischen Könnens eingerichtet hatte. Natürlich war das alles in jedem Moment toll: die Kadenzstrecken in den vier Sätzen, bei deren Anblick nur eine Anne-Sophie Mutter keine erkennbaren Panikattacken aufkommen und hören lässt. Die Gelegenheiten, den one and only Anne-Sophie-Mutter-Ton satt leuchtend auftrumpfen zu lassen.
So kennt man sie, nahezu egal, mit welchem Repertoire, so will (oder muss?) ihre Fan-Gemeinde so etwas von ihr hören. Punktlandung also für ein Konzert, das genauso sehr wie Maßarbeit wirkt wie das himbeerfarbene schulterfreie Kleid, in dem Mutter und JW II bereits bei der Saal-Premiere 2023 geglänzt hatten. Einzig mögliche Zugabe, natürlich: etwas mehr Williams, „Helenas Thema“ aus dem letzten „Indiana Jones“-Spektakel.
Tschaikowskys Fünfte: Aufbrausende Inbrunst kam etwas zu kurz
Den Rest des Konzerts mussten Dallas und Luisi ohne Promi-Rückenwind bestreiten. Tschaikowskys Fünfte (damals, bei Nelsons, war es die Fünfte von Prokofiew gewesen), das geht immer, erst recht auf Tourneen, das muss sitzen. Saß es auch, nur eben noch nicht so überzeugend druckvoll, wie es Orchester abliefern, die den Standard in der Elbphilharmonie inzwischen sehr hoch eingepegelt haben.
Luisi hatte alles blitzsauber poliert und traute sich deutlich weiter aus dem Kleinlauten heraus, das noch die erste Konzerthälfte mitbestimmt hatte. Die Feinabstimmung funktionierte, das Horn-Solo im langsamen Satz war wie aus dem Lehrbuch, das gesamte Blech allerdings – bei US-Orchestern gern die sichersten Wow-Effekt-Verursacher – spielte eher mittelscharf. Die ganz große, straff aufbrausende Inbrunst kam noch etwas zu kurz, die Luft nach oben blieb ungefüllt.
Nächstes Mutter-Konzert: 3.9., mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra und Manfred Honeck (Dirigent): Mendelssohn-Violinkonzert, 5. Sinfonie von Mahler. Elbphilharmonie, Gr. Saal, evtl. Restkarten an der Abendkasse.