Hamburg. Ein Sechsteiler erzählt vom Aufstieg des Designers in den 70er-Jahren als tragische Liebesgeschichte. Daniel Brühl glänzt als Modezar.
Irgendwann, Folge vier oder so, ist der Fächer da. Das leichte Lispeln meint man auch mitunter zu hören, im Deutschen mehr als im Französischen. Deutsch wird im jetzt auf Disney+ anlaufenden sechsteiligen Biopic „Becoming Karl Lagerfeld“ öfter gesprochen. Mal ist es nur ein Fluch („Scheiße!“), der dem mundschnellen, aber eigentlich so steifen, immer kontrollierten Pariser Couturier entfährt. Dann wieder tauscht er sich mit seiner Mutter (knorrig deutsch: Lisa Kreuzer) in der Sprache ihrer Herkunft aus. Er, der berühmte Modeschöpfer in Paris, wohnt mit jener Mutter in den Siebzigerjahren zusammen. Er könne, sagt er einmal, nichts dafür, dass „Mutti“ lustiger sei als alle anderen.
Karl Lagerfeld ist, vielleicht, der berühmteste männliche Hamburger des 20. Jahrhunderts. 2019 ist er gestorben, als „Kaiser Karl“. Die Journalistin Raphaëlle Bacqué gab ihrer Biografie genau diesen Titel. Die Miniserie, die auf Grundlage jenes Buchs entstand, trägt nun einen anderen, weniger germanischen, also internationalen Titel. Was ein wenig schade, aber am Ende doch ganz egal ist. Die Produktion ist großes Karl-Kino, eine von formidablen Darstellern, allen voran dem großartigen Daniel Brühl („Rush“, „Inglourious Basterds“), getragene Erzählung über die Modewelt der Lagerfelds und Saint Laurents, die schwule Subkultur und eine tragische Liebe.
„Becoming Karl Lagerfeld“ (Disney+): Auch Yves Saint Laurent spielt eine Rolle
Wobei man, was Letzteres angeht, auch von einer Ménage-à-trois (in diesem Fall muss man das endlich mal genau so schreiben) gesprochen werden kann. Lagerfelds Aufstieg gegen viele Widerstände wird vor dem Hintergrund der doppelten Liaison Jacques de Baschers (Théodore Pellerin) zum einen mit Lagerfeld und zum anderen mit Lagerfelds Erzrivalen Yves Saint Laurent (Arnaud Valois) geschildert. Raum bekommen dabei auch die beiden anderen Protagonisten. Der gescheiterte Autor, drogensüchtige Hedonist und labile Müßiggänger Bascher, das manisch-depressive Genie Saint Laurent, das auf öffentlichen Anlässen Nervenzusammenbrüche erleidet, in die Psychiatrie muss und Bascher liebestoll hinterherrennt.
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„Becoming Karl Lagerfeld“ zeigt den aus Deutschland eingewanderten Lagerfeld („Für die Franzosen sind wir alle Nazis“) als im Schatten Saint Laurents stehenden Außenseiter, der selbst im Modehaus Chloé, das er groß gemacht hat, kleingehalten wird. Die Modeszene erscheint, anders etwa als in der Christian Dior gewidmeten Haute-Couture-Denkmalsetzung „The New Look“, als Schlangengrube. Die glamouröse Serie verdichtet Lagerfelds Kampf um Anerkennung zu einem Zweikampf mit der bösen Eminenz der Modeszene, Saint Laurents Geschäfts- und Lebenspartner Michel Bergé (Alex Lutz).
Lagerfeld, dessen einziger Genuss und Mittel gegen die immerwährende Einsamkeit Süßwaren sind (ganz hager bleibt Brühl im Verlaufe der Handlung nicht, wobei diese weit vor den fetten Karljahren endet), erscheint als asexueller, distanzierter Ehrgeizling, der dem orientierungslos in der Libertinage des queeren Paris treibenden Bascher eine echte Liebesbeziehung verweigert. Der dramaturgisch gekonnt gebaute Plot zeigt, wie Lagerfeld die Liebe verschmähte (und Baschers Lotterleben damit beförderte), um beruflich vorankommen zu können. Und wie er sich gleichermaßen vom anarchischen Bascher bremsen lassen musste, als Bergé wegen Saint Laurents Durchdrehen einen Rachebann gegen Lagerfeld verhängte.
„Becoming Karl Lagerfeld“: Die Lektion, die Marlene Dietrich dem Hamburger erteilte
Triumphe und Fehlschläge halten sich bei Lagerfeld die Waage. Einmal erhält er eine Lektion von Marlene Dietrich (Sunnyi Melles). Es muss bei einer ihr gewidmeten „Vogue“-Ausgabe um sie gehen, findet sie, nicht um ihn. Im eitlen Gewerbe der Stardesigner ein schwieriges Unterfangen. Die beiden Deutschen in Paris also, da gibt es vor dem Knall auch folgenden Dialog:
Dietrich: „Sie kommen aus Hamburg. Gute Gegend, Blankenese.“
Lagerfeld: „Aber aufgewachsen bin ich in Schleswig-Holstein, meine Eltern hatten dort ein Gut.“
Dietrich: „Ein hanseatischer Erbe, der jetzt Mode in Paris macht.“
Lagerfeld: „Ich war im Herzen immer Pariser und Couturier.“
Neue Disney-Serie „Becoming Karl Lagerfeld“: Szenen von Brühl und Pellerin sind die Höhepunkte
Die französische Produktion ist gut geschrieben und mit opulenter Ausstattung gefilmt. Könnte sein, dass die 70s-Styler, die hier im modemäßig hochgepitchten Paris zwischen gockelig und classy über die Boulevards flanieren, tatsächlich gut angezogen sind. Welcher durchschnittlich modeinteressierte Betrachter weiß das schon ganz genau? Was so oder so gefällt, sind Look und Rhythmus der Serie, die bei allem Drama den Humor nicht vergisst. Die Szenen von Brühl und Pellerin sind die Höhepunkte von „Becoming Karl Lagerfeld“, das Nicht-zu-ihm-Hinkönnen von Lagerfeld ist vor allem Baschers Tragik, aber auch die des Karl Lagerfeld.
In der Konkurrenz mit „The New Look“ (Apple TV+) und „Cristóbal Balenciaga“ (ebenfalls Disney+) trägt die Lagerfeld-Serie klar den Sieg davon. Unter Zuhilfenahme historischer Mode-VIPs erzählt „Becoming Karl Lagerfeld“ unterhaltsam von Liebe, Ambition und Eifersucht – und Paris. Die Stadt, sagt Lagerfeld einmal zu Andy Warhol, ist „eine konstante Übung in Demütigung“.