Hamburg. Schönheit, die nach der Katastrophe die Welt retten soll. Mode-Ikone, die mit Nazis schläft – praller Stoff für die Serie „The New Look“.
Paris, Frankreich und Europa werden direkt nach dem Krieg, unter Schmerzen, wiedergeboren. Aber der Triumph der Demokratie, die Euphorie nach der Vertreibung der teuflischen Deutschen bietet nicht ausreichend Nährstoff für geschundene Seelen. Es braucht Schönheit. Couture soll das eben noch besetzte Land wieder groß machen. Mit welchen Verlusten, Kämpfen und Momenten des Verrats der Siegeszug der Modedesigner verbunden ist, davon erzählt die nun auf Apple TV+ laufende zehnteilige Serie „The New Look“.
Diesen „New Look“ kreierte einst die Mode-Ikone Christian Dior (1905–1957). Seine Karriere nahm nach Kriegsende Fahrt auf: Er symbolisiert in der von „The Sopranos“-Autor Todd A. Kessler verantworteten Serie das unbelastete, moralisch integre Frankreich. Ben Mendelsohn spielt den Modeschöpfer mit Akkuratesse und ist dabei, eh klar, immer gut angezogen. Selbst wenn er am Herd steht und kocht. Überhaupt sind auch die schauspielerischen Leistungen in diesem in langen Bögen erzählten Mehrteiler oft exquisit.
TV-Serie „The New Look“: Juliette Binoche spielt Coco Chanel
Das trifft im besonderen auf Juliette Binoches Verkörperung der legendären Coco Chanel (1883–1971) zu. Zickig, robust, eiskalt: „The New Look“, das sich erklärterweise auf wahre Ereignisse stützt, etabliert Chanel früh als von ihren Nazi-Verbindungen kompromittierte gefallene Heldin und folgt ihr ins langjährige Schweizer Exil.
Mit opulenten Bildern und generöser Ausstattung werden hier Kollobaration und Widerstandskampf in Szene gesetzt. Dabei nimmt sich die Serie viel Zeit, um etwa von Christian Diors Schwester Catherine Dior („Game of Thrones“-Star Maisie Williams) erzählen, die Mitglied der Résistance war und nach Ravensbrück deportiert wurde.
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Die edle Anmutung von „The New Look“, die schönen Bilder und die dramatischen Vorgänge im Krieg und in der Modeszene – der seinen Förderern loyale Dior musste auch in sich selbst Widerstände überwinden, um sein eigenes Haus gründen zu können – können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Zentrum der Serie merkwürdig unbesetzt bleibt.
„The New Look“ setzt 1955 ein, dem Höhepunkt der Karriere Christian Diors. Coco Chanel, die Königin a. D., kehrt endlich nach Paris zurück („Dior ruinierte die Mode, ich kam zurück, um sie zu retten“). Anschließend wird im Rückblick von für beide Modemacher oft traumatischen Kriegs- und Nachkriegsjahren erzählt. Persönlich begegnen sie sich in „The New Look“ aber nur einmal.
So unternimmt „The New Look“ also in Wirklichkeit den Versuch, ein doppeltes, parallelgeschaltetes Biopic zu sein. Coco Chanels Leben war nicht erst einmal Gegenstand in Kino und Fernsehen, ihre zwischenzeitliche Liasion mit den Deutschen spielte bisher eher keine Rolle. Chanels Liebesbeziehung mit dem Nazi-Spion Hans Günther von Dincklage („Spatz“, dargestellt von Claes Bang) nimmt in der komplett in Paris gedrehten Serie breiten Raum ein. Kurzfassung: Auch von den Zeitläuften ausgebremste Fashion-VIPs agierten opportunistisch. Dass sie Agentin des Deutschen Reiches wurde, war ein Geheimnis, das Chanel nach dem Krieg sorgsam zu hüten trachtete.
„The New Look“ auf Apple TV: Verräterinnen wurde der Kopf rasiert
Nach dem Krieg begann die Zeit, in der alte Rechnungen beglichen und Opfer beklagt wurden. Frauen, die sich mit Besatzern eingelassen hatten, wurden kahl geschoren. Von jenseits der Grenze kamen ausgemergelte Überlebende der deutschen Lager zurück. Dieser Erzählstrang, der von der Wucht und dem Verderben des Nazi-Unheils berichtet, ist atmosphärisch dicht.
Die Produktion (eine zweite Staffel ist geplant) hat fraglos Kino-Niveau, und mit Stars wie John Malkovich (als Dior-Kollege Lucien Lelong) und Glenn Close (als Modejournalistin Carmel Snow) ist Hollywood-Glamour vertreten. Apple-Serien sind, Verzeihung, sauteuer, und das sieht man ihnen immer an.
Aber die cineastische Verdoppelung jener Schönheit, die auch der Mode-Christian Dior in die Welt bringen wollte, hat über die Dauer der zehn Episoden oft auch etwas Ermüdendes. Übrigens auch, wenn es um die dramatischen Qualitäten der Naziherrschaft geht, den schon so oft ins Bild gerückten Zynismus der Aggressoren und den Heroismus der Überfallenen.
Am Ende ist die wendige Einzelkämpferin Coco Chanel das, was einen verlässlich zur nächsten Folge skippen lässt. Zu dem Geschäftspartner, mit dem sie nach 1945 um ihr Haus streitet, sagt sie einmal, dass sie als Frau immer schon unterdrückt worden sei; mehr noch als er, der Jude.
„The New Look“ ist ab 14.2. auf Apple TV+ abrufbar.