Hamburg. Der Zusammenschluss von 100 Clubs wird 20 Jahre alt. Ein Gespräch über den „L‘amour toujours“-Eklat und weitere Herausforderungen.
Wer am Wochenende im Südpol raven, im Molotow rocken oder auf der MS „Stubnitz“ feiern möchte, wird mit persönlicher Ansprache oder Aushängen auf einige wichtige Regeln hingewiesen: Nein heißt nein, bei jeglicher aktiver Übergriffigkeit oder Belästigung erfolgt der sofortige Rauswurf, es gibt keinen Platz für sexualisierte Gewalt, Rassismus und Homophobie. Das Personal ist entsprechend geschult und jederzeit ansprechbar.
Awareness heißt das Konzept, das auch vom Clubkombinat Hamburg seit Jahren verbreitet, gefördert und mit bundesweiten Projekten ausgetauscht wird. Einer von vielen Meilensteinen, den der Interessenverein seit 2004 erreicht hat. Wie wichtig Awareness ist, zeigt auch der jüngste Skandal um Feiernde auf Sylt (und nicht nur dort), die auf die Melodie des Club-Klassikers „L‘amour toujours“ von Gigi D’Agostino ausländerfeindliche Parolen sangen.
Hamburger Clubkombinat über Gigi D’Agostino, Sylt und Intoleranz
Am 6. Juni feiert das Clubkombinat 20. Geburtstag im Südpol, auch weil der Gründungsort von 2004, der Schanzenclub Waagenbau, am 1. Januar schließen musste. Nur eines von vielen Beispielen für die Herausforderungen, denen sich die Hamburger Clubkultur stellen muss und über die wir mit Clubkombinat-Sprecher Thore Debor und Vorstandsmitglied Katharina Aulbach sprachen. „Das Dauerthema ist die Verfügbarkeit von Freiräumen und Flächen für Clubs und Open-Air-Veranstaltungen in einer immer stärker verdichteten Stadt“, sagt Aulbach, und ein Blick auf die Gründungsliste des Clubcombinats zeigt es: Einen Großteil der damaligen Clubs gibt es mittlerweile nicht mehr.
Hamburger Abendblatt: Eines der derzeit wichtigsten Themen in Hamburgs Nachtleben und bei Konzerten ist Awareness: Clubs, Personal und Publikum sollen achtsam sein und zusammen sichere Räume schaffen, die vor Missbrauch und Übergriffigkeit, Rassismus, Sexismus und Intoleranz schützen. Kann damit ausgeschlossen werden, dass auf dem Kiez Vorfälle wie im „Pony“ auf Sylt passieren, wo Besoffene auf die Melodie von Gigi D’Agostinos Lied „L‘amour toujours“ ausländerfeindliche Parolen sangen?
Thore Debor: Nein, gänzlich ausschließen können wir das natürlich nicht, denn Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem, das leider auch nicht halt vor den Türen der Clubs macht. Gigi D’Agostinos Lied „L‘amour toujours“ läuft vermutlich eher relativ wenig in den Läden unserer Mitglieder, da die Spielstätten überwiegend handgemachte Livemusik präsentieren.
Hamburger Abendblatt: Auch wenn das Clubkombinat hauptsächlich Livemusik- und Elektro-Clubs vereint statt Mainstream-Discotheken: Wie können Hamburgs Party- und Musikfans noch stärker gegen Intoleranz sensibilisiert werden?
Debor: Da hilft vermutlich in erster Linie Bildung und Aufklärung. Dies ist jedoch nicht nur Aufgabe der Clubs, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Live-Clubs leisten mit ihren vielfältigen und niedrigschwelligen Angeboten einen enormen Beitrag dazu, indem sie Räume für direkte Begegnung und Austausch bieten.
Dass sich Hamburgs Clubs so gemeinsam engagieren, war früher noch ungewöhnlich. Vor 20 Jahren schlossen sich 19 Hamburger Clubbetreibende und Veranstaltende aus der Szene im Waagenbau zum Clubkombinat zusammen. Was war seinerzeit der konkrete Anlass?
Debor: Oft ist ja Unzufriedenheit die Ursache für eine Vernetzung. Seinerzeit waren es vor allem der Mangel an legalen Plakatflächen und die undurchsichtige Verteilung der sogenannten Clubprämie von jährlich 50.000 Euro durch eine externe Jury. Die Stadt fragte dann nach Vorschlägen, wie man die Clubförderung sinnvoller aufstellen könnte, und so wurde aus vielen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern das Clubkombinat.
Mehr zum Thema Clubs in Hamburg
- Lost Places: Zehn legendäre Hamburger Clubs – und was aus ihnen wurde
- Von Techno bis Jazz: Die Top Ten der Hamburger Clubszene
- Clubs in Hamburg sterben aus: Wird Hansestadt jetzt Party-Provinz?
Dennoch hat es noch sehr lange gedauert, bis das Clubkombinat von den Behörden ernst genommen wurde, oder?
Katharina Aulbach: Wenn man sich die Chronologie anschaut mit den Club-Plakaten an S-Bahnhöfen 2007, die durch RockCity Hamburg e. V. angetriebene Einrichtung des Live Concert Accounts 2009 oder die Verleihung der ersten Hamburger Club Awards 2011, dann sind schon einige Jahre ins Land gezogen. Aber Vereinsgründungen oder die Gründung der Clubstiftung zur Stärkung privater Musikbühnen 2010 brauchen eben ihre Zeit, bis alle Aufgaben und Vorhaben abgestimmt und organisiert sind.
20 Jahre Clubkombinat in Hamburg: Mehr als 100 Musikspielstätten sind Mitglied
Wie viele Clubs und Musikspielstätten sind im Clubkombinat derzeit vereint? Mehr als 100?
Debor: Aktuell sind es 105, dazu kommen noch Veranstaltende und Fördermitglieder. Aber das ist natürlich eine fließende Zahl, gerade haben wir ein Mitglied verloren durch die Insolvenz des Wasserturm & Feuerteufel in Moorburg.
Das sieht man ja auch in der Liste der Gründungsclubs, von denen neun mittlerweile nicht mehr existieren oder gerade ihren Standort wechseln: Schilleroper, Click, Egal Bar, Mandarin Kasino und Tanzhalle St. Pauli sind Geschichte, Astra Stube, Waagenbau und Fundbureau verließen im Januar ihre Standorte an der Sternbrücke. Und jeder Club hat eigene Sorgen und Wünsche, wie kriegt man eigentlich alle Interessen unter einen Hut?
Aulbach: Dafür haben wir die Instanz des Vorstandes, in dem Themen und Meinungen vorsondiert werden und dann an die Mitglieder gehen. Der Vorstand ist auch Entscheidungsträger und Sprachrohr nach außen. Natürlich kriegen wir nie alle 100 Mitglieder an einen Tisch, aber es gibt Kernclubs, die eigentlich immer dabei sind, während sich andere eher heraushalten. Aber krasse Konflikte habe ich eigentlich nie erlebt.
Clubkombinat Hamburg: Awareness und Nachhaltigkeit sind aktuelle Themen
Was sind die großen Meilensteine, die das Clubkombinat erreicht hat?
Debor: Auf jeden Fall der Live Music Account, der derzeit ein Budget von 350.000 Euro hat und jährlich von der Stadt Hamburg zur Infrastrukturförderung für Livemusik-Clubs gestellt wird.
Aulbach: Für mich persönlich ist auch die Awareness Kampagne sehr wichtig und bundesweit vorbildlich. Das war 2003 wohl ebenso noch nicht auf die Agenda wie aktuell drängende Themen wie Nachhaltigkeit.
Debor: Ein maßgeblicher Meilenstein war auch 2012 die Gründung des Bundesverbandes für Musikspielstätten LiveKomm, den es ohne das Clubkombinat so nicht gegeben hätte. Deshalb hat die LiveKomm ihren Sitz auch in Hamburg und nicht in Berlin, was für einen Bundesverband durchaus ungewöhnlich ist. Die Anerkennung von Clubkultur auf Bundesebene, Fördermittel, die Bewältigung der Corona-Krise, da war und ist Hamburg mit seinen Clubs ein wichtiger Motor.
Clubs in Hamburg: Mangel an Freiräumen und Open-Air-Flächen
Gibt es neben den Meilensteinen auch so etwas wie einen Fels des Sisyphos, den das Clubkombinat wieder und wieder den Berg hochwälzen muss, ohne den Gipfel zu erreichen? Ein nerviges Dauerthema?
Debor: Ich erinnere mich an die Kranzniederlegung für die Clubkultur 2008, das Thema Clubsterben, was uns bis heute begleitet. Das Dauerthema ist die Verfügbarkeit von Freiräumen und Flächen für Clubs und Open-Air-Veranstaltungen in einer immer stärker verdichteten Stadt mit steigenden Mieten und Nebenkosten, Auflagen – und mehr Konflikten, in Lärmschutzfragen zum Beispiel.
Müssen diese Freiräume denn immer zwingend im Dreieck St. Pauli, Schanze, Altona sein? Zumindest scheint die Politik andere Quartiere beleben zu wollen, rund um die Deichtorhallen oder am Diebsteich zum Beispiel.
Aulbach: Das ist schon eine treffende These. Es würde schon einiges erleichtern, wenn wir uns von dem Gedanken trennen können, dass Wohnen und Clubkultur nebeneinander stattfinden müssen wie auf St. Pauli und in der Schanze. Der Südpol oder das Freundlich+Kompetent sind einige der Beispiele, dass es auch anders funktionieren kann. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass so etwas auch für das Molotow möglich wäre. Livemusik-Clubs in der Peripherie sind schwierig, das Publikum kommt nicht extra da hin, um die ganze Nacht oder zwei dort zu bleiben, sondern braucht auch Kneipen und Gastro im Umfeld für die Zeit vor und nach dem Konzert, auch unter der Woche.
Clubkombinat Hamburg: Der Umzug der Sternbrückenclubs verzögert sich
Aber egal welche Lösungen oder Ideen es gibt, immer verzögert sich alles. Die Neueröffnung für Fundbureau und Beat Boutique in den Deichtorhallen-Kasematten war für Frühjahr 2024 angekündigt, das PAL hatte für 7. März die erste Party an neuer Adresse mitgeteilt, Waagenbau und Astra Stube hätten auch schon etwas bald Verkündbares. Stattdessen: zirpende Grillen.
Debor: Ich kann jetzt nicht für konkret für einzelne Clubs sprechen oder mich aktiv an Spekulationen beteiligen. Aber bei Umzügen und Umbauten kann man leider nie Wetten auf Schlüsselübergaben abschließen. Wie lange es dauert, bis Bauaufträge, Abnahmen und Genehmigungen durch sind, ist leider eine Sache der Höhe der Stapel, die auf den Schreibtischen hin- und herbewegt werden.
Was muss das Clubkombinat anpacken nach der Geburtstagsfeier?
Debor: Uns hängt immer noch Corona in den Kleidern, und die aktuellen Krisen sind auch spürbar. Das Ausgehverhalten hat sich verändert. Wenn 500 Fans zu einem Konzert kommen und dabei 500 Euro Getränkeumsatz an der Bar bleiben, rechnet sich das nicht mehr. Man merkt das an der sinkenden Zahl von sogenannten Risiko-Bookings von Bands, die nicht garantiert für ein volles Haus sorgen.
Aulbach: Hamburg ist die Stadt in Deutschland, die in der Vergangenheit wahrscheinlich die meisten Nachwuchsbühnen hatte, das hat uns auch immer von Berlin unterschieden. Eine Musikstadt braucht Nachwuchs, und der braucht Bühnen. Die gilt es zu erhalten.