Hamburg. Hamburgs progressivster Ausstellungsort und ein schräger Trip: Die Künstlerin Lila-Zoé Krauß ist Enkelin einer Hamburger Ikone.

Wenn im Kunsthaus die Tür zum Ausstellungsraum verschlossen ist, hat das meist etwas zu bedeuten. Es ist ein bisschen wie im Kino, wenn sich der Vorhang öffnet: Man weiß nie, welche Welten sich einem auftun. Am Freitagvormittag dringt kein Laut aus dem White Cube; in schwarzer Schrift ist über dem Eingang zu lesen, dass Lila-Zoé Krauß hier ihre Arbeit „After her Destruction“ präsentiert.

Und die Künstlerin ist auch selbst vor Ort: wasserstoffblonde kurze Haare, schwarz geschminkte Augen, schwarzer Blazer zu Kniebundhosen, viel Goldschmuck. Die HfbK-Absolventin, Jahrgang 1994, lebt und arbeitet in Hamburg und Wien. Auch wenn das Wort abgegriffen ist, passt es zum ersten Eindruck: flippig.

Ausstellung Hamburg: Albtraum im Kunsthaus! Dieses Mädchen ist nicht ganz normal

Lila-Zoé Krauß ist die Enkelin der berühmten Rathaus-Fotografin Erika Krauß, die 2013 im Alter von 96 Jahren starb. „Wir hatten ein enges Verhältnis“, sagt sie. Deren Leidenschaft, gesellschaftliche Ereignisse abzubilden, sich damit auseinanderzusetzen, hat sich offenbar auf die Künstlerin übertragen. Allerdings nicht nur auf eine Gattung bezogen.

Lila-Zoé Krauß verbindet in ihren Arbeiten selbst produzierte elektronische Musik mit Malerei, Licht, Tanzchoreografie, Sound und Kostümdesign. Ausgangspunkt ihrer aktuellen, autofiktionalen Arbeit „After her Destruction“ ist die Beziehung zwischen Mutter und Tochter.

Kunsthaus: Ergreifende Multimedia-Oper über das Anderssein

Die Künstlerin spielt darin die Hauptrolle „Girl“: „Nachbarn raten der Mutter von ‚Girl‘, sie ärztlich untersuchen zu lassen, weil sie nicht ganz normal zu sein scheint“, erklärt Kunsthaus-Direktorin Anna Nowak die Story. Daraufhin begibt sich „Girl“ selbst auf die Suche nach ihrem angeblichen Defekt – und findet im Internet das Programm „The Art of Mind“. Um ihren Verstand zu erkunden, verbindet sich das Mädchen damit. Ihr Kopf ist verkabelt, eine Stimme aus dem Off vertont ihre Gedanken, Ängste, Wünsche. Ein irrer Trip, schräg und poetisch, beginnt.

Ausschnitt aus Lila-Zoé Krauß‘ Sci-Fi-Oper „After her Destruction“, in der die Figuren Kostüme tragen, die an antike Helden, Varieté-Stars oder Star-Wars-Filme erinnern.
Ausschnitt aus Lila-Zoé Krauß‘ Sci-Fi-Oper „After her Destruction“, in der die Figuren Kostüme tragen, die an antike Helden, Varieté-Stars oder Star-Wars-Filme erinnern. © Lila-Zoé Krauß | Lila-Zoé Krauß

Sofort ist das Publikum in einer (alb)traumartigen Sci-Fi-Welt gefangen, die auftretenden Figuren tragen Kostüme, die mal an antike Helden, mal an Varieté-Darsteller und mal an Stars-Wars-Filme erinnern. Die gespielten und getanzten Szenen werden durchbrochen von wissenschaftlichen Erkenntnissen über Träume und Erinnerungen, die als Teaser auf drei großen Leinwänden eingeblendet und aus dem Off gesprochen werden, während „Girl“ in Großaufnahme zu sehen ist.

Wenn aus der Krankenakte ihrer realen Mutter Christin Krauß („MOW“) vorgelesen wird, erscheint ihr Gesicht, wie es langsam in sich zerfällt. Reizüberflutung total. Wären da nicht die Elektroklänge mit der glasklaren und doch träumerischen Stimme der Künstlerin, die einen durch diese ergreifende Multimedia-Oper tragen.

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„Es geht um gesellschaftliche Normen, Patriarchat, Gewalt, Handlungsfreiheit und die Fragen, was eigentlich ‚normal‘ ist und wer bestimmt, was ‚normal‘ ist“, sagt die Künstlerin. In einer Szene doziert eine Frauenfigur, während sie sich die Augen mit Kajal umrandet, „es gibt keine Normalität“ oder zumindest immer: „eine andere Realität“. Der Fortune Teller antwortet auf „Girls“ Frage, warum Menschen nicht anders sein wollen: „Sie mögen keine Veränderungen, denn sie können schmerzhaft sein.“ „Ich bin ein Schizo-Körper, ein Monster im Übergang“, spricht ein anderer Darsteller.

Nicht nur Lila-Zoé Krauß beweist mit ihrem intimen und tabubrechenden Gesamtkunstwerk großen Mut. Auch das Kunsthaus beweist sich einmal mehr als Hamburgs progressivster Ausstellungsort.

Lila-Zoé Krauß: „After her Destruction“ bis 28.7., Kunsthaus Hamburg (U Steinstraße), Klosterwall 15, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 6,-/4,- (erm.), www.kunsthaushamburg.de