Hamburg. Mit „Zwischen Sturm und Stille“ will das Museum Kunst der Westküste im Maritimen Museum in Hamburg für Urlaubsstimmung sorgen. Klappt!

Wie ein Vogel, der über die Meereswellen fliegt, knapp über den hochspritzenden Schaumkronen – so fühlt man sich beim Betrachten des Triptychons „Nordsee“ von Jochen Hein. Von Weitem ist sein Seestück kaum von einer Fotografie zu unterscheiden, doch je weiter man sich nähert, umso mehr zerfällt das eben noch als Gischt oder Meeresgrün Identifizierte in viele winzige Farbmoleküle. „Einfach magisch“ schließt Ulrike Wolff-Thomsen ihren Kurzvortrag über die besondere Malweise des in Husum geborenen und in Hamburg lebenden Malers, dessen Spezialität das Farbewerfen auf am Boden liegende Leinwände ist.

Hein war schon mehrere Male Artist in Residence im Museum Kunst der Westküste (MKdW) auf Föhr, wo Wolff-Thomsen seit zehn Jahren Direktorin ist. Und sehr froh, diesen Künstler in ihrer Sammlung zu haben. Mit ihm eröffnet und schließt zugleich eine besondere Ausstellung: Mit „Zwischen Sturm und Stille“ ist das Föhrer Museum erstmals zu Gast im Internationalen Maritimen Museum Hamburg (IMMH), das für die rund 40 Gemälde und eine Skulptur das gesamte erste Deck freigeräumt hat. Für die bei vielen Hamburgerinnen und Hamburgern beliebte Destination und ihr Haus werben will die Kunstprofessorin, die einst aus Kiel nach Alkersum wechselte.

Föhr zu Gast im Hamburger Hafen: Mit Kunst für die Insel werben

Anders als das Gast-Museum, das durch den Gründer Peter Tamm (1928–2016) eine bedeutende Sammlung an Schiffsmodellen, Konstruktionsplänen, Fotografien und Marinemalerei besitzt, präsentiert das MKdW sein zentrales Thema Meer und Küste erweitert um eine weibliche Perspektive und um die Aspekte Alltagsleben und Freizeit: „Es geht um das Familienleben, die Rolle der Frauen, deren Männer zur See fahren, den aufkommenden Tourismus. Dies spiegeln Werke von Künstlern in einem visuellen Segeltörn entlang der Westküste von Norwegen, Dänemark und Deutschland bis zu den Niederlanden aus den Jahren zwischen 1830 und 1930. Ergänzt werden sie um zeitgenössische Positionen“, so die Direktorin.

Plakatmotiv zur Ausstellung „Zwischen Sturm und Stille“: Michael Ancher, „Zwei Fischer aus Skagen am Fenster im Lebensmittelgeschäft“, 1915.
Plakatmotiv zur Ausstellung „Zwischen Sturm und Stille“: Michael Ancher, „Zwei Fischer aus Skagen am Fenster im Lebensmittelgeschäft“, 1915. © Museum Kunst der Westküste, Foto: Lukas Spörl | Museum Kunst der Westküste, Foto: Lukas Spörl

Die Idee zu dieser Kooperation hatten der jetzige Direktor des IMMH, Peter Tamm junior, und Ulrike Wolff-Thomsen vor etwa zwei Jahren. An einer etwas weiter entfernten Küste: Damals zeigte das MKdW einige seiner Kunstwerke im Musée Océanographique in Monaco, und auch der Hamburger Unternehmer war dort zu Gast. Während des Abendessens lernten sich die beiden kennen. Bei seinem Besuch auf Föhr wurde das Projekt beschlossen. Als einen „Startschuss zum gegenseitigen Austausch der beiden jungen Privatmuseen und deren Freundeskreise“ sieht Wolff-Thomsen die Ausstellung und berichtet, dass der Freundeskreis ihres Museums 580 Mitglieder zählt – 140 davon kommen aus Hamburg. Zum Vergleich: Das Maritime Museum hat rund 600 Freundinnen und Freunde.

Volker Tiemanns Holzskulptur „Große Woge“ kommt in einer Plastikwanne daher

„Zwischen Sturm und Stille“ – kein anderes Bild in der Ausstellung kommt dem Titel so nahe wie „Zwei Fischer aus Skagen am Fenster im Lebensmittelgeschäft“ (1915) von Michael Ancher. „Anhand ihrer Öljacken und Hüte erkennen wir sofort, dass die beiden Fischer sind. Wir sehen das Meer nicht, aber es ist klar, dass die Männer aufs Wasser und aufs Wetter gucken. Sie befinden sich kurz vor dem Aufbruch, zwischen Sturm und Stille“, sagt Ulrike Wolff-Thomsen über das Plakatmotiv, das auch groß an der Fassade des Hamburger Museums hängt.

Der Titel ist aber auch insgesamt Programm bei der Ausstellung, gibt ihr die Dynamik aus Bewegung und Innehalten. So erzählen die Gemälde von Christian Krohg von stürmischer See und Seenot, etwa in „Mann über Bord“ (1905). Da berichtet ein Schiffsjunge seinen Kameraden in der Kajüte offensichtlich gerade von einem Unfall. Oder in „Augenzeugen“ (um 1895): Da überbringen zwei Seeleute mit hängenden Köpfen einer Frau des Nachts die traurige Nachricht vom Tod eines Kameraden. „Nordsee ist Mordsee“, hat der Filmemacher Hark Bohm schon ganz treffend formuliert. Der Künstler Volker Tiemann hat, inspiriert vom japanischen Maler Hokusai und dessen berühmtem Farbholzschnitt „Die große Welle vor Kanagawa“, die Holzskulptur „Große Woge“ (1995) in einer Plastikwanne beigesteuert.

Frühere Landarbeiterinnen trugen Masken zum Schutz vor Staub und Sonne

Im Raum nebenan transportieren die freilichtmalenden Skagen-Künstler Peder Severin Krøyer, Viggo Johansen, Laurits Tuxen und Michael Ancher unsere Sehnsucht nach idyllischem Leben am Meer so auf ihren hell leuchtenden Bildern von hohen Sanddünen und langen weiten Stränden aus dem 19. Jahrhundert, dass man sich sofort an die Nordspitze Dänemarks aufmachen möchte. So wie der Fotograf Joakim Eskildsen, der in „Skagen VI“ von 2008 diesem Lebensgefühl nachspürt.

Die Künstlerin Trine Søndergaard ist eine der zeitgenössischen Positionen im Maritimen Museum. Sie zeigt dort ihre Fotografie „Strude #1“ und bezieht sich damit auf die traditionelle Tracht, die auch bei den Friesinnen eine große Rolle spielte.
Die Künstlerin Trine Søndergaard ist eine der zeitgenössischen Positionen im Maritimen Museum. Sie zeigt dort ihre Fotografie „Strude #1“ und bezieht sich damit auf die traditionelle Tracht, die auch bei den Friesinnen eine große Rolle spielte. © Courtesy of the artist & Martin Asbæk Gallery | Courtesy of the artist & Martin Asbæk Gallery

Auch den traditionellen Trachten der Küstenfrauen widmet sich die Ausstellung mit einem eigenen Raum: Neben Werken, die das typische Dorfleben mit handarbeitenden Frauen, Kirchgängen und Feldarbeit zeigen, stellt die Künstlerin Trine Søndergaard ihre Analogfotografien aus, auf denen sie maskierte Frauen zeigt, die wie verschleiert aussehen. Auf den ersten Blick wirken sie in diesem Kontext fremd; dabei trugen auch die Landarbeiterinnen früher schon sogenannte Struden, um sich vor Sonne, Schmutz und Staub zu schützen.

„Die hier präsentierten Frauen wären also vor 100 Jahren gar nicht aufgefallen“, sagt die MKdW-Direktorin und leitet zum Inbegriff des Föhr-Malers Otto Heinrich Engel (1866–1949) über, der seinerzeit ein Fremdenzimmer im heutigen Museumscafé Grethjens Gasthof hatte. Von ihm stammen Bilder mit den inseltypischen Friesenhäusern und Stuben mit Nussbaum- und Mahagonimöbeln sowie das Gemälde „Strandleben am Abend“, die Urlaubsatmosphäre aufkommen lassen.

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Tritt man nach diesem besonderen und beglückenden Ausstellungsbesuch linker Hand aus dem Maritimen Museum, sieht man – im Idealfall – die Sonne auf der Elbe glitzern. Für noch mehr Küsten-Feeling mitten in der Stadt.

„Zwischen Sturm und Stille“ 3.5.–25.8., Maritimes Museum (U Überseequartier), Kaispeicher B, Koreastraße 1, täglich 10.00–18.00, Eintritt 17,-/12,-; www.imm-hamburg.de. In der Ausstellung können Besucher eine App mit Audioguide auf ihr Smartphone laden. Begleitend zur Ausstellung ist ein Magazin erschienen.