Hamburg. Der Stahlplatten-Parcours des bedeutenden Konzeptkünstlers und früheren HfbK-Professors Franz Erhard Walther wird demnächst erneuert.
Franz Erhard Walther steht vor der Rotunde an der Rückseite der Hamburger Kunsthalle, sein Gesicht hat er der Sonne entgegengestreckt, die Augen sind geschlossen. Er scheint ganz im Moment zu sein. Was um ihn herum geschieht – der Verkehr in Richtung Wallringtunnel, die Menschen, die das Museum auf ihrem Weg zum Bahnhof passieren – nebensächlich. Vielleicht spürt er einem Gefühl nach, das hier vor mehr als 50 Jahren aufkam, als er für seine Wahlheimat ein Kunstwerk erdachte. Und das aber fast 20 Jahre lang nicht realisiert wurde.
„Sieben Orte für Hamburg“: sieben quadratische Platten aus Cortenstahl mit einem am menschlichen Körper orientierten Seitenmaß von 1,80 Metern. Bündig in Betonböden auf einem Sockel eingelassen und verschraubt, ziert die jeweilige Stirnseite ein zentraler Begriff. Die Platte mit dem eingravierten „Ort“, auf der Walther steht, war die erste, die 1989 dann doch installiert wurde. Von dort aus kann man den Blick gen Binnenalster schweifen lassen oder über die Brücke in Richtung Ohnsorg-Theater. „Ich habe mich bei der Auswahl der Orte von meinem visuellen Eindruck leiten lassen“, sagt der Konzeptkünstler bei einem Kurzbesuch in Hamburg.
Kunst Hamburg: Mit nur einem Kunstwerk das historische Hamburg kennenlernen
Fünf andere Platten verteilen sich in einem fast kreisförmigen Rundgang durch die City. Wer sie alle aufsucht, ist etwa eine Stunde unterwegs und kann dabei den historischen Stadtkern erfassen: von der Lombardsbrücke am Ufer der Binnenalster („Zeit“) und der Reesendammbrücke am Jungfernstieg („Raum“) über die Willy-Brandt-Straße an der Ecke Domstraße („Bewegung“) bis zur Ecke Altländerstraße/Springeltwiete („Körper“) und Ecke Meßberg/Fischertwiete/Pumpen („Innen Außen“). Allein die siebte Platte („Richtung“) fehlt. Das ursprünglich auf einer Grünfläche am Deichtorplatz gelegene Werk musste wegen der Großbaustelle am Johann Kontor neben den City-Hochhäusern entfernt werden.
Um mit der Kulturbehörde, dem Bezirk Mitte (dort ist die Platte derzeit eingelagert) und der Spiegelberger Stiftung einen neuen Ort dafür zu finden, ist Walther am Dienstag von Fulda nach Hamburg gereist. Beim Treffen vor dem neu errichteten Kontor ist der Künstler verblüfft, wie schnell sich dieser Platz gegenüber den Deichtorhallen verändert hat. Doch nachdem er eine schnelle Skizze angefertigt, die Entfernung von der Straße gemessen (sieben Schritte) und die Lichtverhältnisse gecheckt hat, fällt die Entscheidung für die Ecke Burchardstraße/Johanniswall innerhalb weniger Minuten.
Sigmar Polke und Gerhard Richter belächelten Walthers Textilkunst
Franz Erhard Walther lebt und arbeitet heute in Fulda, wo er 1939 geboren wurde und aufwuchs. Wo es ihm als junger Mann aber zu eng wurde. Seine Laufbahn begann Walther zunächst als Maler, merkte aber schnell, dass ihn dies zu sehr begrenzte; das Verhalten vom Körper im Raum hat ihn stets fasziniert, der Wechsel ins skulpturale Fach war daher zwangsläufig. Durch die Schneiderei der Familie seiner ersten Frau Johanna Frieß entdeckte er in den 1960er-Jahren für sich das textile Arbeiten in Verbindung mit dem Performativen: Er ließ lange schmale Stoffbahnen in signifikanten Farben produzieren, zu denen er strikte Werkanleitungen lieferte. Manche wurden zwischen Personen gespannt, andere planvoll nebeneinander gehängt.
In Deutschland tat man sich schwer mit der Rezeption dieser Textilkunst; seine Düsseldorfer Studienkollegen Sigmar Polke und Gerhard Richter belächelten ihn deswegen sogar. Also zog er 1967 nach New York, kam mit Minimal Art und Konzeptkunst in Kontakt, lernte Donald Judd, Richard Serra und Barnett Newman kennen. Andy Warhol schenkte ihm eine „Liz“ („die ich dann leider weiterverschenkt habe“, erzählt Walther schmunzelnd). 1969 dann der Ritterschlag: Das MoMA stellte ihn aus. „Plötzlich war ich ein Shootingstar und konnte von meiner Kunst leben.“
Kunst Hamburg: Dass die HfbK heute so renommiert ist, ist auch Walthers großes Verdienst
Das bekam man auch in seiner Heimat mit. Er wurde zur documenta eingeladen, Lenbachhaus München und Nationalgalerie Berlin zeigten ihn. Und es kam der Ruf an die Hochschule für bildende Künste Hamburg; dort lehrte er als Professor von 1970 bis 2005, bildete Rebecca Horn, Lili Fischer, Martin Kippenberger, Christian Jankowski, John Bock und Jonathan Meese aus. Zu vielen seiner ehemaligen Zöglinge hat er bis heute Kontakt. Dass die Hochschule zu einer der renommiertesten Deutschlands zählt und international angesehen ist, ist auch Walthers großes Verdienst. 2017 folgte ein weiterer Meilenstein seiner Karriere: Walther wurde auf der Biennale in Venedig als bester Künstler mit dem Goldenen Löwen aufgezeichnet.
Sich auf ein Kunstwerk einlassen, reflektieren, auseinandersetzen – dazu seien heute nur noch wenige Menschen bereit, kritisiert der Künstler. Die meisten fotografierten doch lieber sich selbst vor der Kunst. Aber genau darauf komme es ihm an, „die Möglichkeit der Benutzung der Werke durch den Betrachter“, kurz: die Aktivierung des Publikums, erzählt er beim Gespräch im Café Liebermann in der Kunsthalle. Das Museum besitzt einige seiner Arbeiten, zeigte zuletzt 2013 eine Ausstellung über den Künstler. Direktor Alexander Klar schaut kurz an seinem Tisch vorbei, will sich demnächst mal mit ihm verabreden. Das ist gar nicht so leicht; Walther ist gefragt, auch mit 84 Jahren. Aktuell läuft eine große Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle über ihn: „Bilder im Kopf. Körper im Raum“. Bei den Werkvorführungen können die Besucherinnen und Besucher ihn selbst live erleben.
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„Handlung kann Bestandteil des Werkes sein“, so der Künstler, auch mit Blick auf „Sieben Orte für Hamburg“. Damals habe er überlegt, wie er für sein geliebtes Hamburg im öffentlichen Raum arbeiten, etwas von Dauer schaffen könnte. Stoff kam dabei natürlich nicht infrage. Mit Stahl hatte er auch schon Erfahrung, so kam es zu den robusten Platten, die nun schon seit mehr als 30 Jahren das Stadtbild prägen. Mit dem Werk lädt er Betrachter dazu ein, im Rahmen der vorgegebenen Begriffe und Örtlichkeiten mental und individuell zu „handeln“. So kann der Begriff „Körper“ zum Beispiel persönlich oder allgemein, in Bezug auf die Umgebung, wissenschaftlich oder mythologisch gelesen werden. Manch einer sieht in den Platten eine gut verschraubte Abdeckung. Für Walther ist auch das okay.