Hamburg. Ein Gespräch über Geschlechterkampf und Moral mit zwei Schauspiel-Größen, die das gemeinsame Spiel sichtlich genießen und das Festival eröffnen.

Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin hat einen wunderschönen, holzvertäfelten Ballettsaal. Man sieht allerlei Musikinstrumente. Am Boden liegen Dutzende Briefe. Sie sind wichtige Requisiten, denn hier proben derzeit Caroline Peters und Martin Wuttke die Premiere von „Gefährliche Liebschaften“.

Der Briefroman (1782) von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos eröffnet in einer szenischen Einrichtung von Jan Bosse, koproduziert vom Burgtheater Wien, an diesem Sonnabend das Hamburger Theater Festival. „Gefährliche Liebschaften“ geht am St. Pauli Theater über die Bühne, bevor bis zum 24. Juni weitere hochkarätige Gastspiele an diesem Haus und anderen Hamburger Theatern folgen.

Peters und Wuttke geben die Hochadligen Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont, die ihre Hassliebe in durchtriebenen Liebes-Intrigen mit unschuldigen, tugendhaften Opfern ausleben. Anlass für ein Gespräch über Geschlechterkampf, Moral – und René Pollesch mit zwei Schauspiel-Größen, die das gemeinsame Spiel sichtlich genießen.

Hamburger Theater Festival: Caroline Peters und Martin Wuttke eröffnen das Schauspiel

Hamburger Abendblatt: Der Briefroman war ja zu seiner Zeit ein gewaltiger Aufreger. Er galt als unmoralisch, hielt sich nicht an die damaligen Normen. Wie wirkt das in unserer heutigen, gewandelten Lebenswelt?

Caroline Peters: Es ist ein Klassiker. Wir reden darüber, dass der Text ausstellt, wie falsch die Figuren sich verhalten. Aber die Charaktere sind so stark, dass man sie eben trotzdem mag.

Martin Wuttke: Man begegnet einer strategischen Perfidie, die ja in unserer Gesellschaft durchaus eine Rolle spielt. Insofern kommt es uns nicht vollkommen fremd vor. Das, was da skandalös war zu diesen Zeiten, die Boshaftigkeiten und strategischen Winkelzüge, die da ausgebreitet werden, gehören zum politischen Leben, aber auch zu unserem gesellschaftlichen Leben dazu.

Zwei, die sich verstehen: Caroline Peters und Martin Wuttke spielen beim Hamburger Theater Festival gemeinsam in „Gefährliche Liebschaften“.
Zwei, die sich verstehen: Caroline Peters und Martin Wuttke spielen beim Hamburger Theater Festival gemeinsam in „Gefährliche Liebschaften“. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Kann man den Briefroman auch als Kritik am Patriarchat lesen?

Peters: Das finde ich eigentlich nicht. Man kann da was Emanzipatorisches hineinlesen. Es gib einen Brief von der Marquise de Merteuil, wo sie darlegt, wie sie sich das alles selbst erarbeitet hat und wie sie sich selbst kreiert hat und dass die Welt so funktioniert zwischen Männern und Frauen im Herrschaftsgefüge. Aber sie ist ja nicht kritisch in einem revoltierenden Sinne, sondern stolz darauf, einen wahnsinnig cleveren Weg dadurch zu finden.

Wuttke: Ihre Erziehungsangebote als junge Frau haben ihr nicht dazu dienen können, zu einer souveränen Person zu werden, das hat sie sich selbst angeeignet. Die Perfidie, mit der sie sich bewegt in so einer Gesellschaft, die offensichtlich nötig ist, um eine souveräne Frau zu sein, die musste sie erfinden.

Caroline Peters über Schauspielhaus: „der größte Flop des Jahrhunderts und gleichzeitig der größte Spaß“

Der Vicomte de Valmont entwickelt ja dann tatsächlich echte Liebesgefühle für Madame de Tourvel. Was zerstört diese Liebe?

Peters: Das Spiel. Wenn ein echtes Gefühl ins Spiel kommt, ist es natürlich schwierig für Leute, die ununterbrochen mit falschen Gefühlen spielen und sich taktisch verhalten. Es ist besser, keine echten Gefühle für irgendwen zu haben, die könnten ja durchbrechen und stärker sein als die Strategie und die Fassade.

Es ist ja ein Geschlechterkampf, wobei hier die Frau die Leidenschaftliche ist und alles dem Spiel unterordnet, während der notorische Verführer auf einmal echte Liebe empfindet. Wie sehen Sie beide Ihre Rollen?

Wuttke: Das sind Spieler. Die betrachten ihr gesellschaftliches Leben als ein einziges Spielfeld, in dem man eine bestimmte strategische Geschicklichkeit beweisen muss, um erfolgreich leben zu können. Darin spiegelt sich auch ein Blick auf die Gesellschaft. Sie sind bereit, zu lügen und zu betrügen, um das Spiel zu gewinnen.

Peters: Bestimmte Sachen spielt man nur, um gespielt zu haben, oder um ein Level zu gewinnen. Da steckt nicht immer einer Notwendigkeit dahinter, sondern der permanente Wunsch, die Puppen tanzen zu lassen. Es gibt dahinter keine Ideologie oder eine Überzeugung. Es existiert nur das Spiel. Das ist ja auch heute nicht ungewöhnlich, wenn es darum geht, eine bestimmte Karriere zu verfolgen, einen bestimmten Reichtum zu erlangen oder eine soziale Stufe zu erklimmen.

Wie fühlt es sich an, so durch und durch amoralische Figuren zu spielen?

Wuttke: Lustvoll.

Peters: Das ist herrlich. Jeder Satz kann daraufhin geprüft werden, ob man eine Information für sich nutzen kann. Die Figuren haben ja keine Konfrontation und keinen Konflikt. Es geht immer nur um ein weiteres Schachbrett.

Martin Wuttke: „Am Schauspielhaus ist es immer etwas rüder“

Wuttke: Und darin sind sie sich höchst einig. Komplizen geradezu. Sie sind beide Könige darin – auch wenn es in dem Roman sehr schlecht endet. Diese durchsichtigen Boshaftigkeiten, die wir auch in unserer Gesellschaft kennen. Das ist das Vergnügen daran.

Es ist ja ein gedanklicher Schlagabtausch der Geschlechter, den Jan Bosse als szenische Lesung auf die Bühne des St. Pauli Theaters bringt. Wie wird der Text auf der Bühne lebendig?

Peters: Wir sind ja beide da - mit einer Musikerin - und hören dem anderen zu, wie er das liest, was man selbst geschrieben hat. Daraus entstehen Reaktionen. Man kann das Zuhören benutzen, und das tritt dann wirklich gut in einen Dialog.

Wuttke: Das Erfreuliche und Unterhaltsame an dem Briefroman ist ja grundsätzlich, dass das Publikum mehr weiß als die Beteiligten, während die, die die Briefe schreiben, verstrickt sind. Und das ist eigentlich ein Komödienprinzip.

Caroline Peters und Martin Wuttke haben beide schon an mehreren Hamburger Bühnen gespielt.
Caroline Peters und Martin Wuttke haben beide schon an mehreren Hamburger Bühnen gespielt. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Was ist das Besondere an der Übersetzung von John von Düffel?

Die Sprache ist etwas gerader als in den Übertragungen von Heinrich Mann, in der sich die Sprache sehr viel komplizierter, komplexer darstellt. Es gibt eine Beschleunigung, die in dem Punkt gipfelt, an dem sie sich gegenseitig den Krieg erklären.

Welche Aufgabe reizt Sie grundsätzlich mehr, die Klassikeradaption oder das zeitgenössische Stück?

Peters: In den 1990er-Jahren, als ich anfing, waren die Leseproben wie ein dreiwöchiges germanistisches Seminar. Das war interessant, aber es ging auch darum, die Sprache Kleists so zu spielen, als wäre das natürlich. Das finde ich schwierig. Ich kann aber einen Klassiker wie im Museum spielen und eine Zeitreise erleben. Sonst bin ich eher dafür, neue Stücke zu schreiben. Vor acht Jahren haben wir beide in Henrik Ibsens „John Gabriel Borkman“ von Simon Stone am Wiener Burgtheater gespielt. Das war eine Überschreibung, und da hieß es vielfach, es sei eine Überheblichkeit, einen Klassiker so zu behandeln. Jetzt ist das völlig normal und durchgesetzt. Wenn man allerdings mit einem René-Pollesch-Text auf die Bühne geht, sagt man die ganze Zeit Sätze, die sofort reinhauen und eine Wirkung haben.

Caroline Peters über das Schauspielhaus: „Es hat mich immer sehr glücklich gemacht, dort aufzutreten“

Wuttke: Das hängt immer stark mit den Arbeitszusammenhängen zusammen. Es sind nicht immer die Stoffe. Der Vorteil an den Arbeiten mit Pollesch war, dass wir zusammengesessen haben, und es hieß ‚Sprich das, was du da geschrieben has.t.‘ So ähnlich betrachte ich auch die Texte, die mir hier begegnen. Mich interessiert nicht so sehr, aus welcher Zeit das kommt. Das verändert sich auch durch die Konstellation, in der man arbeitet.

Sie haben beide auch mehrfach in Hamburg gearbeitet. Welche Erinnerungen haben Sie an die Stadt und ihre Theater?

Peters: Nur positive. Die ersten Jahre der Intendanz Tom Stromberg am Schauspielhaus Anfang der 2000er-Jahre waren der größte Flop des Jahrhunderts und gleichzeitig der größte Spaß. Das Schauspielhaus ist ein wahnsinnig schönes Haus. Es hat mich immer sehr glücklich gemacht, dort aufzutreten.

Wuttke: Ich mag beide Theater wahnsinnig gern. Ich habe gerne am Thalia Theater unter Jürgen Flimm gespielt und hatte herrlichste Auseinandersetzungen mit ihm, die man auch haben konnte und musste. Und ich mag das Schauspielhaus. Das Publikum des Thalia Theaters hatte immer einen speziellen Twist, zu sagen ‚das ist unser Theater‘. Am Schauspielhaus ist es immer etwas rüder. Sie sind beide sehr unterschiedlich auf spezifische Weise. Beides konnte ich gut genießen.

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Sie haben ja auch beide in Abenden des vor Kurzem gestorbenen René Pollesch mitgewirkt. Wie kann man das Neue, das er geschaffen hat, am Leben erhalten?

Wuttke: Das kann man natürlich nicht ohne ihn und damit ist es auch zu Ende. So traurig es ist, aber so große Künstler sind nicht zu ersetzen. Es war genau nicht sein Ziel, ein Werk zu schaffen, das am Ende erratisch in die Welt starrt und über Generationen weitergetragen wird, sondern es war eine radikal andere Arbeitspraxis, die sich auf die Menschen bezogen hat, mit denen er gerade gearbeitet hat. Das ist eine radikale Entscheidung für das Theater gewesen, von der man lernen und über die man weiter nachdenken kann und sollte. Das ist durchaus nicht tot. Ich glaube, dass René Pollesch einer der wirklich großen Erneuerer des Theaters war.

Am Sonnabend eröffnen Sie nun mit ‚Gefährliche Liebschaften‘ das Hamburger Theater Festival. Wie laufen aktuell die Proben mit Regisseur Jan Bosse?

Peters: Wir sind zusammen da hineingeworfen und stemmen das in einer Woche. Wir hören uns gegenseitig gut zu. Es geht auch darum, den Raum für Spontaneität zuzulassen.

Wuttke: Es ist sehr angenehm, sehr offen. Wir haben jetzt ein paar Tage Zeit, und es könnte vielleicht eine gelungene Skizze werden. Es muss gar nicht so etwas Geschlossenes werden, es kann etwas Unfertiges bleiben. Und wenn dieses Vergnügen, skizzenhaft zu sein und nicht alles genau auszupinseln, sich auf das Publikum überträgt, dann wäre das äußerst wünschenswert.

Hamburger Theater Festival 25.5. bis 24.6., diverse Theater, Infos und Karten unter www.hamburgertheaterfestival.de