Hamburg. Guy de Maupassants fantastische Novelle „Der Horla“ wird von Matthias Brandt und Jens Thomas zu neuem Leben erweckt. Ein starker Abend.
Wer schon mal eine Lesung des Schauspielers Matthias Brandt und des Pianisten und Stimmperformers Jens Thomas besucht hat, kennt die Rituale des Unspektakulären. Zwei schwarz gekleidete Herren betreten die Bühne, einer setzt sich an den Flügel, der andere nimmt am Lesepult Platz. Alles sehr unaufgeregt. Doch aus dieser so schlichten Anordnung bringen die beiden Performenden bald Textzeilen zum Glühen, Klänge zum Vibrieren, und erzielen damit maximale Wirkung.
Gruselig: Merkwürdige Dinge gehen vor im Deutschen Schauspielhaus
Für seinen Auftritt im gut besetzten Schauspielhaus hat sich das Duo diesmal „Der Horla“ (1886) vorgenommen, eine schaurige, fantastische Novelle des französischen Schriftstellers Guy de Maupassant. Sie beginnt harmlos. Der Protagonist erwacht in seinem Landhaus, freut sich an der Natur und an einem auf der Seine hinter dem Garten vorbeiziehenden Dreimaster. Doch bald gehen merkwürdige Dinge vor sich. Der Schlaf wird schlecht und schlechter. Seelische Verstimmung macht sich breit. Ein Wasserglas entleert sich auf geheimnisvolle Weise. Bald beschleicht den Erzähler das Gefühl der Gegenwart eines unsichtbaren Wesens.
Matthias Brandt gelingt der Übergang vom selbstgewissen bis zum in den Wahnsinn abdriftenden Erzähler fulminant. Mal lässt er seine Hand in der Luft tanzen, mal hält er sich am Flügel fest. Immer expressiver wird der Vortrag, je mehr sich alle Gewissheiten des Erzählers auflösen.
„Der Horla“: Die Seiten eines Buches wenden sich wie von unsichtbarer Hand
Neben ihm flüstert und keucht Jens Thomas, stimmt eine Melodie an und wird zum unheimlichen Gegenpart. Häufig tupft er ein paar Töne hin, die das gesprochene Wort Brandts mal illustrieren, mal konterkarieren. Besonders beunruhigend gelingt ihm der Kontrast, wenn er hochemotionale französische Chansons anstimmt, die in ihrer Lieblichkeit so gar nicht zum Geschehen passen wollen und einen eindringlichen Widerspruch erzeugen.
Immer dramatischer wird die sprachlich-musikalische Zwiesprache der beiden. Der Erzähler versucht den ominösen Gast zu überlisten, schmiert sich die Hände mit Grafit ein, um sicherzugehen, dass nicht er selbst die Wasserkaraffe austrinkt. Doch am nächsten Tag ist sie erneut leer. Spuren sind keine zu finden. Die Seiten eines Buches wenden sich wie von unsichtbarer Hand.
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Schauspielhaus: Freunde gepflegter Schauerromantik kommen auf ihre Kosten
Für den Erzähler wächst sich die Situation zu einem Kampf mit einer unbekannten paranormalen Macht aus. Sprachlich ist das von Maupassant grandios eingefangen. Freunde gepflegter Schauerromantik kommen auf ihre Kosten. Immer kurzatmiger, abgehackter und fiebriger formt Matthias Brandt die Worte von Verzweiflung, Angst, Wahnsinn – und auf seltsame Weise wirkt diese Erzählung sehr heutig in ihrem Ringen um Wahrnehmung und Verstandeskraft in einer Welt, die aus den Fugen scheint. Das Außen („hors-là“) bemächtigt sich des einsam Schreibenden, der im Tagebuch seinen Gesprächspartner findet – und irgendwann realisiert, dass die Vernichtung des unsichtbaren Gegners den totalen Ich-Verlust und die Selbstzerstörung bedeutet.
Man darf dieses Programm zu den stärksten dieses herausragenden Künstler-Duos zählen.