Hamburg. 50 Jahre kreuz und quer durch die Musik: das legendäre Streichquartett mit einem Best-of-Programm im Großen Saal der Elbphilharmonie.

Als dieses Streichquartett, das nicht klassisch oder gar brav sein wollte, seine Abenteuerarbeit begann, saß Richard Nixon als Präsident im Weißen Haus und kurz danach, trotz „Watergate“, doch nicht im Gefängnis. Das kalifornische Kronos Quartet spielt und spielt und spielt seitdem, inzwischen ein halbes Jahrhundert, kreuz und quer und rauf und runter durch alle Stilnischen und -schubladen, unzählige Maßanfertigungen aus allen Himmelsrichtungen. Man kann das, akademisch verpackt, „eklektizistisch“ nennen und durchanalysieren, man kann sich aber auch einfach nur anschnallen und Stück für Stück überraschen lassen.

Ihr Konzert, oder doch eher: ihre Performance im Großen Saal der Elbphilharmonie hätte mühelos etliche Stunden länger sein können, sie beschränkten sich zunächst auf Kostproben aus ihrem „50 for the Future“-Sortiment. Und es war, wie schön und rührend inzwischen, ein Wiederhören wie immer: der leicht metallische, nüchterne Sound aus den Lautsprechern, die Lichteffekte, die professoral zerstreut dahingenuschelten Ansagen vom Bandleader David Harrington. Die meisten Lieferanten-Namen waren unbekannt, doch schon die Zutaten (darunter alte Telefone und Dinge zum Saitenbearbeiten, die Ähnlichkeit mit Spülbürsten hatten) und die Vielfalt waren bestens, und wenn Kronos das spielt, kann es per se nicht langweilig sein.

Elbphilharmonie: „Gebt euren Popos schon mal einen Abschiedskuss“

Im Opener „Little Black Book“ von Jlin knüppelte Cellist Paul Wiancko auf eine Bassdrum ein, während die anderen drei harsche Akkorde schrubbten. Aleksandra Vrebalvs „Gold Came From Space“ begann mit ätherischem Science-Fiction-Flirren, völlig losgelöstes Zeug, das sich in sphärisches Raunen auflöste und freischwebend vor sich hin waberte.

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Natürlich ist Kronos politisch, und klar ist auch, auf welcher Seite des Spektrums. Terry Riley, ein großer alter Mann des Minimalismus, hat den Sun-Ra-Klassiker „Nuclear War“ als Grundlage für sein eigenes „Kiss Yo‘ Ass Goodbye“ genommen, die x-te Beschwerdeeinreichung des Quartetts gegen Intoleranz und allzu einfach wirkende Parolen. Andererseits: Rileys „Lunch In Chinatown“ war genau das und nicht mehr, ein komplett harmloser kleiner Sketch über vier Musiker, die sich übers Essen unterhalten und nebenbei hin und wieder ein bisschen auf ihren Instrumenten unterwegs sind. Nur nicht sich selbst allzu ernst nehmen.

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Elbphilharmonie: Klangereignisse hängen an hauchdünnen Fäden

Seriös wurde es nach der Pause mit zwei Evergreens aus dem Uraufführungsbestand: Sofia Gubaidulinas 4. Quartett und Steve Reichs „Different Trains“. Die eine hat ein Mobile erschaffen, in dem Klangereignisse an hauchdünnen Fäden hängen und doch nicht zerbrechen, weil die vier Kronosse diese Musik wie rohe Eier behandeln. Der andere verschraubt auf verstörend faszinierende Streicher-Loops mit Live-Rhythmen, dazu die Stimmen aus dem Off, die zur Sprachmelodie werden, während sie Reichs Biografie mit Stimmen von Holocaust-Überlebenden in Verbindung bringen. Ein Meisterwerk, bei Kronos in den bestmöglichen Händen, immer wieder.

Geiger John Sherba und Bratscher Hank Dutt aus dem Ensemble-Mittelbau gehen demnächst tatsächlich in Ruhestand, David Harrington gab aber Entwarnung. Es wird Neue geben, es wird weiter gehen mit Kronos, immer weiter. Muss ja.

Aktuelles Album: „Black Angels“ (Nonesuch, LP, ca. 36 Euro)