Hamburg. Der Pianist mit Gershwin, dem Orchestra dell‘Accademia Nazionale di Santa Cecilia und Jakob Hrůša in der Elbphilharmonie.

Es hilft ja nichts: Rom liegt auf dem gleichen Breitengrad wie New York, ist also schon geografisch nicht Havanna. Für das Orchestra dell’Academia Nazionale di Santa Cecilia ist diese Tatsache kein Grund, sich nicht doch – wenigstens für einige Minuten – mal eben nach Kuba zu fantasieren und sich in den Hüften karibisch locker machen zu wollen. Als stilistische Kurzreise war die Idee, das Gastspiel-Programm in der Elbphilharmonie mit Gershwins „Cuban Overture“ überraschend zu beginnen, daher durchaus sympathisch ehrgeizig.

Doch auch die vierköpfige, kräftig beschäftigte Latin-Percussion-Abteilung im Schlagwerk bekam es nicht hin, dem gesamten Orchester seine antrainierte und ansonsten ja fundamental wichtige Korrektheit für diese zehn Minuten grundsätzlich abzuschalten. Temperamentsausbrüche nach Noten bleiben dann eben doch Temperamentsausbrüche nach Noten. Jakob Hrůša, als Erster Gastdirigent dieses Orchesters ein Freund der Familie, tat allerdings eine Menge, um das launige Stückchen trotzdem auf vorzeigbaren Trab zu bekommen. Damit reichte es für den charmanten Spaß, Gershwins Karibik-Postkarten-Vertonung als Appetizer zum Einstieg zu hören, auch wenn die Stimmung auf der Bühne wohltemperiert und gediegen blieb.

Elbphilharmonie: Wenn schon Tastenakrobatik, dann auch richtig

Mit dem Auftritt von Daniil Trifonov änderte sich das, schlagartig. Auch er bog mit Gershwins Klavierkonzert, dem weniger populären Cousin von dessen „Rhapsody in Blue“, vom erwartbaren Repertoire-Weg ab. Dass Trifonov zwei versierte Händchen für Blue Notes hat, hatte er bei seinem letzten Elbphilharmonie-Abend mit einer Portion Art Tatum bewiesen. Dieser Gershwin ist fast 100 Jahre alt, aber unter Trifonovs energiegeladenen Virtuosenfingern war von musealem Respekt nichts zu hören. Trifonov balancierte lässig zwischen orchestriertem Jazz und Gershwins Anleihen bei prankenpflichtiger Spätromantik à la Rachmaninow, als sei das alles nur höchstens halb so haarig.

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Das Salon-Blues-Solo im langsamen Satz bekam der Cecilia-Trompeter ganz ansehnlich hin, Trifonov griff diese Vorlage auf und ließ seine Synkopen cool funkeln, bevor er mit sich mit nach wie vor großem Spielspaß in die rasanten Ragtime-Andeutungen des Finales warf und keinerlei Probleme damit hatte, dabei auch noch das gesamte Orchester mitzuziehen. Eine erstklassige Show, alles in allem. Damit man vor so viel Staunen nicht vergisst, dass er auch anders kann, zauberte Trifonov als Zugabe Rachmaninows Bearbeitung vom ersten Satz der 3. Violin-Partita von Bach hinterher. Nicht analytisch sezierend, sondern fröhlich lossprudelnd. Wenn schon brillante Tastenakrobatik, dann auch richtig.

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Und weil dieser Russe bereits zweimal indirekter vorkam, durfte er nach der Pause ganz und gar ins Rampenlicht, ohne Trifonov zwar, aber mit seinen drei „Sinfonischen Tänzen“, seiner letzten Komposition. Das Tutti und sein Chef machten daraus ein dramatisch pathossattes Handlungsballett, saftig groß besetzt und von Hrůša tadellos ausgebreitet. Mit einen seidensanft gespieltem Altsaxofon-Solo im ersten Satz, einem raffiniert dahinspukenden Zwielicht-Walzer im zweiten und dem offenkundig auch morbide untertönten Finale mit einem gut erkennbaren „Dies irae“-Zitat, in dem Rachmaninow sich schon aus dieser Welt zu verabschieden schien.

Aktuelle CD: „Rachmaninoff for Two“ Daniil Trifonov, Sergei Babayan (DG, CD ca. 22 Euro). Nächste Hamburger Trifonov-Termine: 3./4.10. Ravel Klavierkonzert mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und Alan Gilbert.