Hamburg. Ein dramatisches Künstlerpaar, das es zu entdecken gilt. Und eine der besten Hamburg-Reportagen überhaupt. Tipps für Lokalpatrioten.
Diesen Text sollte niemand übersehen, der sich für poetische Beschreibungen Hamburgs erwärmen kann. Kenner haben ihn immer auf dem Schirm, zuletzt fand er Eingang in das Pracht-Kompendium „Hamburg literarisch“. Nun erscheint Larissa Reissners unerreichte Hamburg-Reportage noch einmal in einem eigenen, allein der Schriftstellerin und Revolutionärin vorbehaltenen Band: „1924. Eine Reise durch die deutsche Republik“. Die Deutsch-Russin Reissner, die 1895 in Polen geboren wurde und 1926 in Moskau an Typhus starb, ist für ihre Reiseberichte berühmt.
Der bekannteste ist tatsächlich der Revolutionsbericht „Hamburg auf den Barrikaden“. Er handelt, zunächst sprachlich ziemlich trocken und mit Blick auf den politischen Kampf, vom „Hamburger Aufstand“, der manchen auch als „Barmbeker Aufstand“ geläufig ist. Die KPD wollte damals, am 23. Oktober 1923, nach russischem Vorbild (1917!) auch das Nachkriegsdeutschland umstürzen. Schnell war klar, dass dies nicht klappen würde; der Staat schlug die Aggressoren zurück, nachdem diese Dutzende Polizeireviere gestürmt hatten. Eine politisch aufgeheizte Zeit blieb diese Epoche.
Neue Bücher für Hamburg: Joseph Roth nannte Larissa Reissner „Die Frau auf den Barrikaden“
Weshalb die von Schriftsteller Steffen Kopetzky („Damenopfer“, „Propaganda“) herausgegebene Reportagensammlung Reissners Texte aus den Jahren der geplanten Weltrevolution nebeneinanderstellt. Impressionen aus Petersburg, Berlin, dem Ruhrgebiet. In den 1920ern, als der Kommunismus irrigerweise noch eine Hoffnung war, blickten viele auf die Welt wie die Revolutionärin Reissner. Man sah die Besitzenden und die Arbeitenden, und man wusste, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Joseph Roth nannte seine Kollegin „Die Frau auf den Barrikaden“. Herausgeber Kopetzky zitiert einen explosiven Satz der 19-jährigen Reissner: „Ich kann reiten, schießen, aufklären, schreiben, Korrespondenz verschicken und notfalls sterben.“ Sie bewarb sich damit um eine Mitarbeit bei den Bolschewiki. In deren Sinne sollte sie anschließend vor allem schreiben, auf Russisch und auf Deutsch.
Auch unter Ausklammerung des kämpferischen Blicks kann man Reissners Hamburg-Reportage vor allem mit großem Genuss lesen. Der Hafen ist der Ort der Ausbeutung von Menschenkraft, klar. Aber bildlich beschreiben, mit sprachlichem Reichtum will sie ihn doch: „Die Elbe, dieses alte schmutzige Einkehrhaus für die Strolche des Ozeans – baut und erweitert ununterbrochen ihre Hinterhöfe.“ Hamburg, das bist du irgendwie immer noch, 100 Jahre später: „Auf diese Weise gehorcht ganz Hamburg ebenso sehr der Mittagspfeife der Werften, dem morgendlichen und abendlichen Namensaufruf an den Ufern der Elbe, wie die kleinste Pfütze, ein armseliger Froschteich, dem fernen Pulsschlag des Ozeans gehorcht, der Hamburg seine Reichtümer und seine unermüdlichen Winde schickt.“
Ebenfalls im Jahr 1924, wir hatten dieses Jahr eben schon, ist der Fluchtpunkt der weit ausholenden Erzählbewegung des Romans „Kellertänzer“ angelegt. Er stammt von Nils Jockel, der lange als Kurator im Museum für Kunst und Gewerbe arbeitete und seinen Roman in der Hamburger Kunstszene der 1920er-Jahre ansiedelt. Dieser Roman ist ein Kunst- und Künstlerroman, der selbst durchaus kunstvoll arrangiert ist. Er spielt auf verschiedenen Zeitebenen. In der Gegenwart ist es der nicht mehr ganz junge Museumsmann Nick Lainwander, der auf dem Dachboden des Ausstellungshauses alte Tanz-Masken entdeckt, Verkleidungsungetüme, die in den expressionistischen, goldenen 20ern eine Mordsschau waren. Sie wurden vom (realen) Künstlerpaar Lavinia Schulz und Walter Holdt gefertigt. Aufsehen erregte dieses mit seiner Kunst, reich wurde es nicht.
Neuer Roman „Kellertänzer“: Ein dramatisches Künstlerpaar in einer aufregenden Zeit
Sie erschoss ihn am 18. Juni 1924, dann versuchte sie dasselbe bei sich selbst. Sie erlag ihren Verletzungen. Der gemeinsame Sohn, ein Säugling, war danach ein Waisenkind. In Jockels Roman nun ist es dieser Sohn, der den Erzähler Nick Lainwander in der Gegenwart kontaktiert, um mehr über seine Eltern herauszufinden. Von dieser Recherche handelt „Kellertänzer“ hauptsächlich.
Er ist in vielen Teilen ein historischer Roman, der an etlichen Schauplätzen das Hamburg von vor 100 Jahren zeigt. Der Autor Jockel hält die Fäden seiner Erzählung fest in der Hand, die Dialoge sind lebendig, Zeitkolorit wird reichlich aufgetragen. Das dramatische Paar Schulz und Holdt führte ein aufregendes Leben in einer aufregenden Zeit, Nils Jockel setzt ihm mit diesem Hamburg-Buch ein Denkmal.