Hamburg. Der zweite Abend des London Symphony Orchestra changierte zwischen Showtime und Stille – mit einer trickreichen Trompeten-Mutprobe.
Wie gut aufeinander einjustiert ein Spitzen-Orchester ist, lässt sich nicht nur daran erkennen, wie beeindruckend es in ein Stück startet oder wie uhrwerkgenau alles passt. Sondern manchmal auch daran, wie es in ein Ende findet. Das London Symphony Orchestra war dafür, an seinem zweiten Gastspielabend in der Elbphilharmonie, ein Bilderbuch-Beispiel: Vaughan Williams‘ Fünfte, diese eigenwillig rätselhafte Einzelgänger-Meditation aus dem Weltkriegsjahr 1943, in seiner britischen Heimat ein kleineres Nationalheiligtum und auf dieser Kanalseite fast nie zu hören, endet mit einem Akkord, der behutsam zu verklingen hat. So etwas darf man um Himmels willen nicht stumpf auf den Bühnenboden fallen lassen, abwürgen oder klarkantig abschneiden. Der muss ganz sanft und liebevoll ausgeatmet werden.
Wie Sir Antonio Pappano, seit nicht einmal einem Jahr neuer LSO-Chefdirigent, das hinbekommen hat, mit einer unscheinbaren, dezent kleinen Geste nur – keine Ahnung. Muss Zauberei gewesen sein. Doch die Magie wirkte. Eben noch Musik, sanft verhügelt wie ein englisches Landschaftsidyll und genügsam ins Jenseits strebend, danach Stille. Sensationell.
Elbphilharmonie: Pappano, ein Dirigent, der weiß, was Orchester wünschen
Wem, wenn nicht diesem Orchester und diesem Dirigenten, sollte dieses Vokabular nicht tief in der DNA verwurzelt sein: splendid die Blech- und Holzbläser, marvellous der Gesamtklang, refined die Intensität im Ausdruck.
- Martha Argerich im Gruenspan statt in der Hamburger Laeiszhalle
- Elbphilharmonie: Krieg und Frieden und Asynchronschwimmen im Klang
- Mozarts „La clemenza di Tito“ in Hamburgs Staatsoper: Ein großes Vergnügen!
Mit ähnlich intensiv mattwarmen Farben wie in den nordischeren Panoramen der Weltverlorenheit des Finnen Sibelius (ihm hatte Vaughan Williams seine Fünfte gewidmet) zeichneten Pappano und das LSO klar die Linien nach. Der erste Satz wurde zur abgeklärten Sinnsuche, das koboldhafte Scherzo im zweiten war nicht so harmlos, wie es zunächst klang. Hinreißend, wie sanft die große Romanze im dritten Satz ausgebreitet wurde, bevor die weit ausholende Passacaglia des Finales ein letztes Mal ins Grübeln verfiel.
Elbphilharmonie: Alison Balsom besteht Mutprobe
Showtime satt dagegen im Vorfeld. Nach Barbers Trauerklößchen „Adagio for Strings“, das seidensanft bestens gelang, präsentierte Alison Balsom das neue Trompetenkonzert von Wynton Marsalis, der als Komponist so ehrgeizig ist wie als Bandleader. Sechs Sätze, 35 Minuten, ein Hindernisparcours mit Material genug für mindestens zwei Solokonzerte.
Der Jazzer in Marsalis wollte offenkundig ein weiteres Mal demonstrieren, auf wie viele Vorbilder er in einem einzigen Stück verweisen kann: Eine elefantöse Fanfare an Anfang und Ende, dazwischen Balladen und Blues, Ellingtoneskes, hochgejazzter Latin-Rabatz, virtuos Walzerndes, eine Prise New Orleans, jede Menge trickreicher Läufe und Loopings. Eine Mutprobe, die Balsom aber sehr solide bestand.