Hamburg. Die Dirigentin und Musikerin kam mit dem London Symphony Orchestra in die Elbphilharmonie. Drei Frauen standen dabei im Fokus.
Wie schön, wenn man es mit einer derart intelligenten und ausdruckssicheren Künstlerin wie Barbara Hannigan zu tun bekommt, bei der alles stimmig und aber so was von auf den Punkt ist. Schon das Programm-Konzept, auf nicht gerade launige Themen wie Verlust, Tod, Trauer und Abschied ausgerichtet, war exemplarisch gelungen: Das unvollendete Nicht-Finale von Bachs „Kunst der Fuge“, in der behutsam dosierten Orchestrierung des Avantgarde-Klassikers Luciano Berio, endet mit einem ins Nichts verklingenden Akkord-Fragment – der Schluss von Claude Viviers Trauer-Kantate „Lonely Child“ ähnlich, aber anders, mit einem einzelnen, letzten Glockenschlag, der abrupt zum Schweigen gebracht wird, damit die schreckliche Stille danach noch schmerzhafter nachklingt.
Dazwischen Bergs Violinkonzert, eine weitere Meditation über Tod und Leben, und Haydns „Trauer-Sinfonie“, die weniger frontal trauernd ist, als es der später hinzugefügte Name andeutet. All das mit dem immer und in jede Stilrichtung sattelfesten London Symphony Orchestra und einer Vokalsolistin, die nicht weniger als sensationell war. Diesmal nicht die Sopranistin Hannigan selbst, sie trat trotz ihrer Doppel-Berufung ausschließlich als Dirigentin ins Rampenlicht. Und, die letzte kluge Nuance: Ein Konzert am Abend des Weltfrauentags mit einer Dirigentin, einer Geigerin und einer Sängerin im Epizentrum der Aufmerksamkeit? Demonstrative, souveräne Punktlandung auch damit.
Elbphilharmonie: Barbara Hanningan liefert einen gigantischen Autritt
Anatomisch unmöglich, schon klar, aber: Die Orchesterleiterin Hannigan kann, wie auch immer, mit ihren Händen stumm vorsingen. Es muss eine wahre Freude sein, ihr die musikalischen Absichten von den Fingerspitzen abzulesen. In Bachs kontrapunktische Strukturen tastete Hannigan sich mehr und mehr hinein: Der fahle, gedämpfte Anfang, die sparsame Kolorierung wie mit matten Aquarell-Farben – Hannigan gelang es, die Balance zwischen Klangverschmelzung und analytischer Durchsichtigkeit zu bewahren.
Diese Musikerin mit Berg in Hamburg? Kein Zufall, sondern Spätfolge der „Lulu“-Produktion, die Christoph Marthaler ihr 2017 an der Staatsoper auf den Leib inszeniert hatte. Ende dieses Konzepts war, als Requiem für die erstochene Lulu, das (mit Zitaten auf Bach anspielende) Violinkonzert, befragt von Veronika Eberle, und Beginn einer Freundschaft, die zu dieser Wiederbegegnung führte. Eberles Ton fügte sich in Hannigans Berg-Bild, eher unterkühlt und schlank, eher fokussiert statt restromantisch ausreizend. Haydns 44. folgte, vom klassisch Zopfigen befreit, mit Gespür für die Bau-Strukturen, aber auch für die geistreich dosierten Unterhaltungselemente und Überraschungsmomentchen. Das verkleinerte LSO-Ensemble gehorchte schnittig und elegant.
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Patoulidou verkörperte existenzielle Einsamkeit
Aphrodite Patoulidou – hinter diesen Namen gehört ganz dringend ein Ausrufezeichen. Die Stimme dieser Griechin aus Hannigans Talentförderprogramm, schwebte geradezu überirdisch durch den Raum. Eine Erscheinung wie aus einem David-Lynch-Film, eine Nachtschattensirene, die von allerletzten Dingen zu berichten hatte, während das Orchester einzig hochexpressive Melodien, ganz ohne harmonischen Unterbau oder weiteren Halt, unter diesen morbiden Monolog legte. Patoulidou sang nicht nur ihren Part, sie verkörperte diese existenzielle Einsamkeit mit wenigen Gesten und Blicken,verletzlich und stark zugleich.
Nächste Hannigan-Konzerte: 14. April mit Katia & Marielle Labèque / 2. Mai mit Göteborgs Symfoniker. www.elbphilharmonie.de. Evtl. Restkarten