Hamburg. Die von Adam Fischer dirigierte Premiere dieser Oper bot ein beeindruckendes Ensemble – und eine zurückhaltende Regie.
Ein Scheinwerfer-Spot erhellte den Kopf und die Gesten des Dirigenten Adam Fischer im Dunkel des Staatsopern-Parketts – doch nicht als leicht durchschaubarer Ego-Effekt extra für diesen Premierenabend, sondern wegen der künstlerischen Notwendigkeit. Der nicht allzu üppig besetzte Orchestergraben war hochgefahren worden, um direktere Nähe und besseren Blickkontakt zum Geschehen auf der Bühne zu schaffen.
Mozarts „La clemenza di Tito“ in Hamburgs Staatsoper: Ein großes Vergnügen!
Und da stand Fischer nun und leitete eher mitgefühlt als frontal autoritär, mit Gesten, die zum durchdachten Mitmachen einladen, anstatt von oben herab Fleißarbeit abzurufen. Und war als Anblick, der tönende Folgen hatte, eine Freude. Von Standing Ovations am Ende dieses Abends darf Fischer wohl auch deswegen einen Großteil für sich verbuchen.
Qualitativ war Fischer mit seiner unaufgeregten, aber effektiven Arbeitsweise für die Staatsoper in den vergangenen Jahren immer wieder eine sichere Bank. Und auch bei seiner vorletzten Mozart-Neuüberlegung, der späten Seria-Oper „La clemenza di Tito“ (in der nächsten Saison soll diese Klassiker-Glückssträhne mit der sehr frühen Seria „Mitridate“ enden) war Fischer es, der den Laden zusammenhielt, anspornte, herausforderte, anflirtete und zu erstaunlichen Leistungen brachte, ohne dass man es in den Konzept-Gelenken dieser ästhetisch konsequenten und musikalisch höchst erfreulichen Produktion knirschen gehört hätte.
Staatsoper: „La clemenza di Tito“, Adam Fischers Mozart-Wünderchen
Das größere Problem in dieser Koproduktion mit den Opernhäusern in Kopenhagen und Monte-Carlo hatte also die Regisseurin Jetske Mijnssen zu bewältigen: Wie sinnstiftend, aber ohne Reibungsverluste umgehen mit diesem sperrigen Stoff und seinem durchschematisierten Erzählformat, das schon zur Zeit seiner Entstehung 1791, kurz vor Mozarts Tod, leicht antiquiert war? Was zumindest hinterfragen oder ganz weglassen bei der Prämisse von Mozarts kaiserlichem Auftraggeber, den antiken römischen Kaiser Titus in dem knatternden Plot um Verrat und Vergebung als Musterbeispiel weiser Herrschergüte in idealisierendes Licht zu bringen?
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Mijnssen szenisches Konzept beschränkte sich dafür größtenteils aufs formschöne, klar durchsortierte Hinstellen der Handlungsgegebenheiten. Ein leicht variierter, sehr heutiger Einheitsraum, der mit seiner dunklen Noblesse nach teurem Regierungssitz riecht. Darin – nach einem kurzen Upperclass-Party-Vorspiel, um das Intriganten-Personal einzuführen – sehr heutige Menschen in ihren dunklen, schmucklosen Bürouniformen, einer wie die andere. Der gottgleiche, göttergegebene Herrscher ist optisch nur noch einer von allen.
Staatsoper Hamburg: Schon guter Mozart ist unbedingt Teamwork
Die zwei Akte portionierte Mijnssen in vier Kapitelabschnitte, indem an der Rückwand in markanten Lettern auf „Delizia“ (Freude), „Potenza“ (Macht), „Tradimento“ (Verrat) und „Clemenza“ (Milde) als Episoden-Leitmotive verwiesen wurde. Kann man alles so machen, damit steht man dem Verlauf nicht groß mit Absichten im Wege und bringt die moralischen Anliegen des Stücks dezent und unprovokant auf heutigen Stand. Viel mehr war nicht, viel mehr musste in diesem Kontext und diesem Rahmen aber auch gar nicht. Dafür war hier die Musik zuständig.
Schon guter Mozart ist unbedingt Teamwork, herausragender ist ein Glücksfall, die Einsicht in diese Notwendigkeit hatte für diese Neuinszenierung ein stimmlich stimmiges Ensemble zusammengebracht, das harmonisch und rund aufeinander achtete und hörte. Michèle Losier war ein anrührender Sesto, Katharina Konradi eine Servilia, die tragische Größe ebenso vermitteln konnte wie dramatische Verzweiflung. Tara Erraughts Vitellia fing beeindruckend an und steigerte sich im Verlauf der Handlungswirren noch weiter. Interessant als Klangfarbe im Verwirrspiel der Gefühle und Intrigen war die Besetzung von Annio mit dem strahlend geschmeidigen Countertenor von Kangmin Justin Kim.
Mozart: Mijnssen liefert Debattenmaterial für das Nachdenken über die Oper
Trotz dieser durchgängig guten Leistungen, umrahmt von den wenigen Chorsätzen, war es aber letztlich Bernard Richter, der in der Titelpartie des moralisch wie emotional herausgeforderten Tito als feiner Mozart-Tenor den stärksten Eindruck hinterließ. Dass er in „Se all’impero, amici Dei“ hin und wieder mit der Feinarbeit an seinen Koloraturen zu kämpfen hatte, ist verschmerzbar, weil er ansonsten und überhaupt ungleich mehr Schönes und Strahlendes anzubieten hatte.
Getragen wurden er und alle anderen durch ein Orchestertemperament, in das Fischer mit viel Aufmerksamkeit und Detailneugier frischen Wind brachte. Alexander Bachl und Matthias Albrecht teilten die prominenten Klarinetten-Soli in den beiden Arien-Begleitungen salomonisch und klangschön untereinander auf. Nicht alle Akzente waren bis ins Extrem ausgereizt, nicht alle Tempo- und Dynamikabsichten, die Fischer sicher gern gehabt hätte, bekam er vom Tutti auch tatsächlich in aller Schärfe und Transparenz zu hören.
Aber dennoch: Keine lauwarmen Durchhänger diesmal, kein Gewollt, aber wieder nicht Gekonnt. Ein großes Mozart-Vergnügen. Und mit den allerletzten Momenten, immer wieder gern bei Regiekonzepten als Na-so-was-Volte genommen, lieferte Mijnssen auch noch Debattenmaterial für das Nachdenken über eine Oper, die gegenwärtiger ist, als man ihr zutraut.
Weitere Vorstellungen: 1. / 3. / 5. / 7. / 11. Mai, Infos: www.staatsoper-hamburg.de