Abschied: Mozarts “La clemenza di Tito“, die letzte Staatsopern-Premiere von Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny.
Hamburg. Als er im Januar 1998 Lohengrin in kurze Pennäler-Hosen und ein wilhelminisches Klassenzimmer steckte, spuckten orthodoxe Wagnerianer Gift und Galle. Nach der Premiere tobten auch die meisten Kritiker, allerdings vor Begeisterung. Zehn Inszenierungen später verabschiedet sich Staatsopern-Hausregisseur Peter Konwitschny mit Mozarts "La clemenza di Tito" - und ließ zum Finale seiner Maßstäbe setzenden Ära noch einmal die sprichwörtliche Rampensau raus, um Freund wie Feind vorzuführen, was sie in den letzten sieben Jahren an ihm hatten.
Etliche der Zutaten kamen einem dabei allerdings sehr bekannt vor: Die handliche Küchenzeile war wieder dabei, Spielen im Zuschauerraum und am Lichtschalter. Es gab überraschende Lautsprecher-Aktionen, schauspielernde Musiker auf der Bühne - diesmal Solo-Klarinettist Rupert Wachter als Schlapphut-tragender Gevatter Hein - und natürlich einen Comedy-Einschub, der das Original-Stück minutenlang lahmlegt. Macht aber nichts, nimmt man gern mit, ist immer wieder schön.
Wo Mozart in der schon zu seinen Lebzeiten verstaubten Seria-Oper über Rache, Eifersucht und Gnade dröhnen und das Personal museal herumstehen läßt, belebte Ingo Metzmachers bühnenästhetisches Gewissen die Geschichte um den penetrant gütigen Imperator Titus mit viel Tempo und Ironie. Aus dem zähen Huldigungs-Brocken wurde so ein leckerer, reichlich luftiger Kaiser-Schmarrn. Auf dem Bühnenvorhang stand in güldenen Lettern: "Zustände wie im Alten Rom". "Die spinnen, diese Römer", frei nach Obelix, wäre auch nicht ganz verkehrt gewesen.
Fehlen wird's schon, dieses respektlose Wegbügeln von Deutungs-Bedenkenträgern und Opern-Traditionen: Um Distanz zu dem betagten Genre abzubauen und Schwung in die Geschichte zu bekommen, ließ Konwitschny die Secco-Rezitative auf deutsch singen; um zu verdeutlichen, daß auch antike Römer nur Menschen waren, ließ er den Kaiser zur Feier des Tages eine Kiste Bier ausgeben. Wenn Titus mal Ruhe vom vielen Bejubeltwerden und Intrigantenbegnadigen haben wollte, zog er sich zu seiner Erbauungslektüre ins imperiale Klohäuschen zurück, um von dort aus seine Regierungsgeschäfte zu verrichten. Statt aus ewigem Marmor wurde ganz Rom von Helmut Brade aus billigem Pappmache gebaut, und nachdem das Kapitol dekorativ abgefackelt wurde (Licht: Manfred Voss), hatten alle Römer unschöne Brandflecken in der Toga. Gespielt wurde von Anfang an auf durchgängig hohem Niveau, gesungen mit kleinen Anlaufschwierigkeiten. Helmut Lippert hatte in der Titelpartie zunächst einige Mühen, entwickelte sich aber im Laufe des Abends prächtig. Ebenso Yvi Jänicke, deren Sesto vom Typ zum Charakter reifte. Mit Danielle Halbwachs (Vitellia), Aleksandra Kurzak (Servilia) und Maite Beaumont (Annio) hatte das Haus drei starke Aktivposten in die Besetzungsliste eingebracht, die sich auch an Ausstrahlung und Spielwitz nichts nahmen.
Daß Metzmacher bereits zu Beginn des zweiten Aktes einen kleinen Triumphmarsch in Richtung Chefpult genießen konnte, hat kurz vor dem Wechsel nach Amsterdam nicht nur mit der aktuellen Wehmutswelle zu tun, die so manchen Theaterdonner der letzten Spielzeiten großzügig wegspülte. Das klang schon sehr nach generellem Dankeschön für insgesamt 40 Premieren und ein anderes, provokant aufrichtiges Verständnis von Musiktheater.
Doch der scheidende Generalmusikdirektor widerlegte mit diesem letzten Premieren-Dirigat auch das Vorurteil, zwei Händchen für die Moderne und deswegen keins mehr frei für jemanden wie Mozart zu haben. Dieser hier trug keinen alten Zopf, war beileibe nicht so klebrig-süß wie die Mozartkugeln, die der von Tito begnadete Sesto - auch das ein typischer Konwitschny - während des Finales an die niedlichen kleinen Arena-Löwen verfütterte.
Schon die Ouvertüre war al dente, fast schon ruppig und rabiat (anfangs kamen die Philharmoniker kaum hinterher); doch das gab sich, und danach formte Metzmacher einen Orchesterklang, der bei aller Geschmeidigkeit seine Ecken und Kanten behielt und entschieden gegenwärtiger klang, als das Sujet vermuten ließ, dem er entstammt. Der Kreis schloß sich mit der Ouvertüre, die wie im Musical als Rausschmeißer-Abspannmusik lief, während das Ensemble im Schlußapplaus badete und Konwitschny ein letztes Mal und hocherfreut seine Paraderolle des Watschenregisseurs spielte.
Weitere Aufführungen: 11., 14., 17., 25. Mai, 3., 11., 15. Juni, jeweils 19.30 Uhr. Karten (4-77 Euro) unter Tel. 35 68 68.