Die Staatsoper bemüht sich mit seinem Opern-Erstling „Almira“, 1705 für das Haus am Gänsemarkt komponiert, um Hamburgs Barock-Tradition
Hamburg . Als der Alte-Musik-Spezialist René Jacobs 2007 mit Telemanns Philosophen-Seifenoper „Der geduldige Sokrates“ in Hamburg gastierte, beerdigte er spielerisch und temperamentvoll viele der nicht ganz unberechtigten Vorurteile, die man gegen die Klischeeschleuder Barock-Oper und ihre Manierismen haben kann. Hamburg, auch Telemann-Stadt, blieb davon aber weitgehend unbeeindruckt.
Als nun aber Alessandro De Marchi, von der Staatsoper wieder einmal als externer Fachmann für barocke Hamburgensien dazuengagiert, die erste Aufführung von Händels Erstling „Almira“ an ihrem Entstehungsort Hamburg seit 1905 leitete, wurde klar, wo hier der Unterscheid zwischen „wirklich gut" und „vor allem gut gemeint" liegt, wenn es um diffizile Ausgrabungen geht. Und wenn dort der größte Szenenapplaus „Lascia ch’io pangia“ gilt, einem adoptierten und szenisch clever eingebauten Arien-Hit aus einer späteren Händel-Oper, sagt das auch einiges über die Qualität des Originalmaterials. Was die Sache mit dem Anspruch für ein Staatstheater mit einem derart noblen musikhistorischen Lebenslauf ja nicht einfacher macht.
Die „Almira“-Regie von Jetske Mijnssen, die sich damit für weitere interessante Aufgaben an der Dammtorstraße empfahl, trifft nur sehr wenig Schuld am Dilemma dieses nicht allzu euphorisch bejubelten Abends. Die Holländerin inszenierte das dramaturgisch reichlich konfuse Stück aus Händels erstem Lehrjahr als Opern-Komponist am Gänsemarkt unaufgeregt, mit viel Gespür für noble Zurückhaltung und interessante Hingucker-Elemente. Während die prächtigen Kostüme die Handlung vom Barock bis in die Neuzeit hineinflanieren ließ, erwies sich das Bühnenbild, ebenfalls von Ben Baur, als sinnfällige Mischung aus Arien-Präsentierteller und Es-war-einmal-Puppenstube. Ein schlichtes hölzernes Tableau-Gerippe, von allen Seiten einzusehen, ein schönes Sinnbild für die Vergeblichkeit aller Liebesmüh: Man kann sich drehen und wenden lassen deswegen und kommt doch nicht von der Stelle. Für Almiras Charakterzeichnung erfand Mijnssen drei Mädchen dazu, die, fast alle stumm, gestische Kommentare lieferten oder als Erfüllungsgehilfinnen assistieren. Die Geschichte über das amouröse Durcheinander, das die junge Königin Almira und ihren Hofstaat umtreibt, trudelte unterdessen mal mehr, mal weniger willkürlich vor sich hin, bis sich das Beziehungsgewese am Ende durch das genreübliche Überraschungsmoment in schönstes Wohlgefallen auflöste und das Ensemble die eigene Glückseligkeit besingen konnte, um das geläuterte Publikum danach wieder in die Wirklichkeit zu entlassen.
Vielleicht muss Oper hin und wieder so verwirrend rätselhaft sein, wie es hier zu sehen war, um zu den grundsätzlichen Fragen der Kunstform Musiktheater zurückzukehren: Wer liebt oder verachtet hier wen, und warum, und was haben diese brodelnden Gefühle mit uns, in unserem Hier und Heute zu tun? Bloß weil bei der putzigen Textzeile „Der Degen ist von geiler Hand gestohlen“ von einigen Premierengästen im Parkett leise gekichert wird, weil hier die vier Jahrhunderte Distanz zum barocken Tonfall durchschimmern, muss man sich noch längst nicht wie unter singenden Mumien fühlen. Das Bühnentier Händel, das Herzblut selbst auf große Entfernungen witterte, ist immer noch einer von uns.
Der junge Händel hat ja noch geübt und mildernde Umstände verdient
Nein, das eigentliche Problem dieses Abends war die Musik. Die auf dem Partiturpapier ebenso wie die aus dem Graben. Musik, die nicht bloß abgefertigt werden darf, weil sie über weite Strecken noch nicht so gut ist, dass sie eine mittelmäßige Ausführung aus eigener Kraft kompensieren könnte. Händel hat ja noch geübt und mildernde Umstände verdient. Wenn also Sopran-Wutausbrüche in seinem Gesellenstück „Almira“ nur im halbherzigen Irgendwie enden statt in einem dieser prächtig aufbrausenden Affekt-Abbinder späterer Londoner Profi-Opern, wenn es in den Rezitativ-Passagen rumpelt, weil der Azubi Händel anno 1705 offenkundig auf Zeit spielen wollte oder noch nichts Besseres hinbekam – dann braucht es mehr als einen Alessandro De Marchi, um den Puls dieser Inszenierung in die Höhe zu treiben und ihn dort zu halten. Genau dafür sind die vielen Möglichkeitsräume einer barocken Opernpartitur gedacht. Dieses Können fällt keinem Instrumentalensemble in den Schoß. Erst recht nicht an einem Mainstream-Opernhaus, das sich nur alle Jubeljahre damit beschäftigt. Und auch dann nicht, wenn man, wie De Marchi es tat, hier und da die Instrumentation aufpolierte und mit seinen solistischen Ergänzungen Effekt-Stützräder ans Orchester-Tutti schraubte.
Und es benötigt ein Sänger-Ensemble, dass bis in den letzten Höfling hinein begeistern kann. Hier jedoch brauchte Robin Johannsen lang, bis sie halbwegs in Einklang mit den Anforderungen der Titelrolle war. Mélissa Petit war spontan beeindruckender. Alle Herren blieben blass. Stimmen und Bühnenpersönlichkeiten, denen man zuhören will, als hinge in den drei Stunden Musik von der Ouvertüre bis zum Abwinken das eigene Leben davon ab, waren nicht dabei. Der internationale Markt ist gut bestückt. Man könnte sie finden und engagieren. Aber dann müsste man ihnen ein ebenbürtiges Orchester bieten wollen und können. Und damit schließt sich dieser Teufelskreis aus Soll und Haben, nachdem das Bühnenfinale ein melancholisches Nachspiel erhielt, bei dem sich zum „Lascia“-Motiv die Spielfläche vom Bühnenrand entfernte. Wie ein Traum, der wieder ins Unterbewusstsein zurückweicht.
Weitere Vorstellungen: 28./31.5., 6.,/9./15./19.6. Infos: www.staatsoper-hamburg.de