Hamburg. In der Saison 2024/25 spielt Isabella Vértes-Schütter vom Ernst Deutsch Theater auf Platt. Was die neuen Leiterinnen sonst planen.

Erneut auf die Fensterbank steigen wollte Michael Lang diesmal nicht. Das hatte er vor einem Jahr bei der Vorstellung der künftigen Spielzeit im Rangfoyer des Ohnsorg-Theaters getan, um den Anwesenden zu veranschaulichen, was auf das Bieberhaus am Hauptbahnhof zukäme, wenn der Bund und die Deutsche Bahn dort einen neuen Tunnel bauten und das Ohnsorg für drei bis fünf Jahre ausquartiert werden müsste.

Vor 2030 sei das jedoch gar kein Thema, sagte der Intendant am Mittwoch. „Und vor einem Jahr bin ich ja nach der Aktion abgestürzt“, spielte Lang scherzhaft auf seine Erkrankung im Verlauf der Turbulenzen im Verein Niederdeutsche Bühne Hamburg an, dem Eigentümer des Theaters.

Der langjährige künstlerische Leiter des Ohnsorgs, Murat Yeginer, hat das Haus Anfang April vorzeitig verlassen, die Spielzeit 2024/25 mit seinen beiden Nachfolgerinnen Anke Kell (Schwerpunkt: Dramaturgie) und Nora Schumacher (Schwerpunkt: Regie) aber noch zu einem Gutteil geplant. Und für Anfang März 2025 hat Yeginer noch etwas Besonderes in Arbeit: Dann wird in seiner Regie sein musikalisches Schauspiel „Oddos See – Eine irre Fahrt“ auf Grundlage von Homers Epos „Odyssee“ Uraufführung feiern. Der Clou: Darin gibt Isabella Vértes-Schütter, Noch-Intendantin des Ernst Deutsch Theaters und ausgebildete Schauspielerin, ihr Debüt auf der Bühne am Heidi-Kabel-Platz.

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„Oddos See“ ist zugleich eine Kooperation des Ohnsorgs mit dem Ernst Deutsch Theater und dem Lichthof Theater, die Yeginer im Vorjahr angeregt hatte. Sein Schauspiel ist als mittleres einer Trilogie geplant, deren Stücke unabhängig voneinander für sich stehen. Die neuartige Zusammenarbeit gleich dreier verschiedener Hamburger Privattheater soll Ende Juni noch einmal explizit der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Isabella Vertés-Schütter, Intendatin des Ernst Deutch Theaters, gibt in „Oddos See“ ihr Schauspieldebüt im Ohnsorg.
Isabella Vertés-Schütter, Intendatin des Ernst Deutch Theaters, gibt in „Oddos See“ ihr Schauspieldebüt im Ohnsorg. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Gleich zwei der fünf weiteren Neu-Inszenerungen im Großen Haus haben die neuen künsterischen Leiterinnen aus den USA nach Hamburg respektive Schleswig-Holstein versetzt. Neil Simons Komödien-Klassiker „Barfoot in‘n Park – Verliebt, verlobt, verkracht“ inszeniert Nora Schumacher in Frank Grupes plattdeutscher Übersetzung zum Saisonauftakt am 25. August selbst. „Die Geschichte der beiden jungen Eheleute ist absolut zeitlos“, beschreibt die Regisseurin den ursprünglich im New York der 1960er-Jahre spielenden Stoff. Sie probt ihn im Sommer mit Marco Reimers und Lara-Maria Wichels in den Hauptrollen.

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Und frei nach Ken Ludwigs in 16 Sprachen übersetzten Komödienerfolg „Otello darf nicht platzen“ heißt es am 3. November als plattdeutsche Erstaufführung „Alarm in‘t Theaterhuus - Carmen darf nicht platzen“. Plattdeutsch-Papst Peter Nissen hat das Stück von Cleveland (Ohio) nach Holstein verlegt, die gesangsstarke Caroline Kiesewetter spielt eine verhinderte Star-Sopranistin, Publikumsliebling Erkki Hopf ihren Ehemann. Max Claessen, einst Regie-Assistent am Thalia Theater, gibt sein Regie-Debür am Ohnsorg.

Anders als in dieser Saison werden die Stücke für 2024/25 meist plattdeutsche Titel und hochdeutsche Beititel haben. Das hätten sie in Absprache mit Intendant Lang je nach Anteil von Platt-und Hochdeutsch entschieden, teilten die neuen künstlerischen Leiterinnen mit. Überwiegend auf Hochdeutsch spielt stets das Weihnachtsmärchen im Ohnsorg.

Nora Schumacher, die mit Märchen-Adaptionen im Ohnsorg begonnen hatte und zuletzt „De leven Öllern“ (im Oktober auch live im NDR Fernsehen) und „Eine Stunde Ruhe“ inszeniert hat, lässt es sich in ihrer neuen Funktion nicht nehmen, ein weiteres Märchen auf die Bühne zu bringen: „Die Weihnachtsgans Auguste“ (Premiere: 15.11.) frei nach Friedrich Wolf mit Ensemblemitglied Rabea Lübbe als snackender Gans.

Thomas Manns‘ „Buddenbrooks“ zum 150. Geburtstag op Platt im Ohnsorg

Mit Urich Huubs Stück „Annas Slaapstuuv – Entführung auf Bestellung“ glaubt das Ohnsorg „eine Komödien-Perle, die lange unentdeckt blieb“ (Anke Kell), ausgegraben zu haben. Das Stück spielt in einem Schlafzimmer. Der gebürtige Ostfriese Ekat Cordes, der bereits am Oldenburgischen Staatstheater und am Berliner Maxim Gorki Theater in Berlin inszeniert hat, gibt damit am 12. Januar 2025 sein Hamburger Regie-Debüt.

Lara-Maria Wichels und Marco Reimers spielen ab Ende August in „Barfoot in‘n Park“.
Lara-Maria Wichels und Marco Reimers spielen ab Ende August in „Barfoot in‘n Park“. © Oliver Fantitsch | Oliver Fantitsch

Rechzeitig vor Thomas Manns 150. Geburtstag und dessen 70. Todestag bringt das Ohnsorg dann im April „Buddenbrooks – Eine Familiensaga“ in einen Bühnenfassung (Regie: Marc Becker) des frühren Thalia-Dramaturgen John von Düffel heraus, ehe die Spielzeit im Großen Haus im Juni mit der Komödie „Tiet is Geld – Jetzt oder nie“ enden wird. Ins Plattdeutsche übertragen von Ensemblemitglied Meike Meiners und inszeniert von Regie-Novizin Krystyn Tuschhoff.

Ohnsorg-Studio-Leiterin Conelia Ehlers, die auch die plattdeutsche Übersetzung für die „Buddenbrooks“ liefert, stellte für die kleine Bühne (64 Plätze) des Traditionstheaters zwei neue Stücke vor. Ende April 2025 wird im Studio „Novecento – De Geschicht vun den Ozeanpianist“ plattdeutsche Erstaufführung feiern. Für Alessandro Bariccos Geschichte, die vor Jahren in äußerst passendem Ambiente auf Hamburgs Theaterschiff spielte, finden sich in Jasper Brandis‘ Regie erneut zwei Darsteller zusammen, die schon in der Hemingway-Adaption „De ole Mann un de See“ brilliert hatten: Holger Dexne und Mario Ramos (Musik).

Ohnsorg-Theater: Auslastung noch 20 Prozent unter Vor-Corona-Niveau

Zuvor hat im Februar als Produktion des Ohnsorg-Studios „Nils Holgersson – En Wunnerbore Reis“ in einer Bühnenfassung von Regiseurin Julia Bardosch auf Platt- und Hochdeutsch Erstaufführung, als Klassenzimmerstück für Sechs- bis Zehnjährige. In welcher Schule Selma Lagerlöfs Roman spielt, ist allerdings noch Geheimsache.

Transparenter war da ein Großteil der Zahlen, die Michael Lang präsentierte. Mit 61,4 Prozent Auslastung für die Saison 2022/23 konnte er bis zum 31. Juli im Großen Haus 13 Prozent mehr Gäste begrüßen als in der noch stark von Corona beeinträchtigten Spielzeit zuvor. In absoluten Zahlen: 111.563 in 654 Vorstellungen inklusive 49 auf noddeutscher Tournee. Damit jedoch immer noch etwa 20 Prozent weniger als in der letzten Vor-Corona-Saison 2018/19. In der laufenden Spielzeit stieg die Auslastung auf 71,2 Prozent (Stand: Anfang April). Wobei sich „Eine Stunde Ruhe“ mit Erkki Hopf (63 Prozent) und „Rumpelstilzchen“ (95 Prozent) als Publikumsrenner erwiesen.

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„Wenn wir alle Corona-Förderhilfen, die wir erhalten haben, vollumfänglich behalten dürfen, dann bleibt unser finanzielles Ergebnis ausgeglichen. Die Liquidität ist ohnehin gesichert“, sagte Lang. Obwohl das Ohnsorg in den Corona-Jahren 2020 bis 2022 so viel gespielt hatte wie kein andesres Hamburger Privattheater, seien es mit aktuell 2500 Abonnenten rund 2000 weniger als vor der Pandemie. Lang blickte weit voraus: „Die Zukunft dieses Theaters wird maßgeblich davon abhängen, wie es uns gelingt, die nachfolgenden Generationen für die plattdeutsche Sprache und unsere norddeutschen Spezialitäten zu begeistern, obwohl sie ja in aller Regel damit nicht mehr aufgewachsen sind.“ Dafür stieg er nicht etwa auf die Fensterbank, es hielt ihn auf seinem Stuhl.

Programm Ohnsorg-Theater unter www.ohnsorg.de