Hamburg. Ganz viel Bach: Das Elbphilharmonie-Konzert des Pianisten mit den Berliner Barocksolisten war wechselhaft, hatte aber auch Oha-Momente.

DEN Bach, den Seniorchef der Dynastie und in epischer Größe, den kennt man schon seit längerer Zeit von Igor Levit: Seine Einspielung von dessen Goldberg-Variationen ist 2016 erschienen. Aber mehr als dieser eine Bach in den Konzertprogrammen dieses Pianisten, der inzwischen sehr in anderen Repertoire-Regionen unterwegs ist?

Ein Grund für interessierte Hellhörigkeit. Mit den Berliner Barocksolisten – einem Ensemble, das kundiger heißt, als es über weite Strecken spielte – kam Levit in den Großen Saal der Elbphilharmonie.

Am Ende dieses qualitativ wechselvollen Abends war klar, nicht überraschend, aber immer wieder zu betonen: Carl Philipp Emanuel! Guter, sehr oft für Überraschungen guter Mann, dieser Bach junior, beileibe nicht nur, weil CPE Bach lange in Hamburg lebte und arbeitete (und zu Lebzeiten deutlich berühmter war als sein Vater). Eine seiner vielen Streicher-Sinfonias war ein kleiner Vorgeschmack auf Kommendes.

Elbphilharmonie: Bach, Bach und Bach – und Igor Levit

Pädagogisch wertvoll, aber praktisch mittelspannend war der Entschluss, auch dessen vier Jahre älteren Bruder Wilhelm Friedemann mit einer Streicher-Sinfonia würdigen zu wollen. Beide Brüder sind diffizile Zwischengrößen der Musikgeschichte – nicht mehr so ganz Barock, noch nicht ganz beinahe Klassik.

Will man diese empfindsame Musik zum Klingen und zum Leuchten bringen, sind Kompromisse und wohlwollendes Mittelmaß statt Extra-Engagement der schnellste Weg zur sich ziehenden Langeweile. Den das Berliner Ensemble leider für sich wählte, mit blutarmer Konsequenz durchgezogen.

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Auch die beiden väterlichen Beiträge (zwei Abschnitte aus der „Kunst der Fuge“ und das sechsstimmige Ricercar aus dem „Musikalischen Opfer“) fielen erstaunlich uneinheitlich aus: Ersterer blieb blässlich und unklar. Deutlich konturierter in der Architektur geriet das zweite kontrapunktische Meisterwerk. Weil die Konzentration auf sechs Einzelstimmen statt gut einem Dutzend Ensemble-Instrumenten alle Beteiligten zur detailfordernden Präzision zwang.

Bevor sich Levit für den Applaus mit Brahms‘ Intermezzo op. 116 / 4 bedankte, lieferte er mit dem d-Moll-Konzert BWV 1052 eine mustergültige Interpretation ab; der Flügel – historisch unpassend, aber klangphilosophisch schlüssig schlank bespielt – fügte sich ins Stimmengeflecht ein, anstatt es wuchtig zu übertönen.

Solist und Stück auf einer Wellenlänge, wie schön. Als abenteuerlicher in den Kleinigkeiten entpuppte sich das andere d-Moll-Konzert des Programms: CPE Bachs Cembalo-Konzert Wq 23, ein galant inszeniertes Versteckspiel, mit immer neuen harmonischen Drehungen und Wendungen, schnittig forschen Themen und Oha-Momenten.

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Levit machte diese Experimentierfröhlichkeit nur zu gern mit. Wurde eine Kadenz aus- und abschweifend und fabulierte vor sich hin, Haydn ästhetisch schon näher als Bach sen., gönnte Levit sich diesen Bonus. Sogar eine Ahnung von Beethovens noch späterer Wucht prangte schon am Horizont.

Scherte der Solo-Part immer wieder, nur ganz kurz aus den Konventionen aus, mit kleinen harmonischen Rückungen und Abstechern, war es das perlende Vergnügen, kurz zu verblüffen und danach so zu tun, als sei doch gar nichts gewesen – bis hin zu dem Trug-Schluss, mit dem der letzte Satz gegen alle Spiel-Regeln einfach abrupt abbrach. So schaffte Levit es, dass diese Musik auch mit einem modernen Flügel nicht mehr einzig historisch „rückwärts“ gehört werden, sondern als geradezu unerhört „modern“ und wie neu entdeckt werden konnte.