Hamburg. Ab der Saison 2025/26 leitet ein Duo das Ernst Deutsch Theater. Das sind die Ziele von Ayla Yeginer und Daniel Schütter.
Es ist ein echter Generationswechsel: In zwei Jahren gibt Isabella Vértes-Schütter (jetzt 61) nach dann 30 Jahren – unterbrochen nur von Volker Lechtenbrink (2004–2006) – die Intendanz des Ernst Deutsch Theaters ab. Zur Spielzeit 2025/26 übernehmen ihr Sohn Daniel Schütter (32) und Ayla Yeginer (40) die Leitung von Hamburgs größtem Privattheater (744 Plätze), das seit Jahren auch eine kleine Plattform-Bühne hat.
Was die neue Doppelspitze im Ernst Deutsch Theater plant
Dort hatten sich der ausgebildete Schauspieler Schütter und die in Kiel geborene studierte Wirtschaftswissenschaftlerin 2018 in der von ihnen mitgegründeten freien Theatergruppe Sexy Theater Menschen beruflich kennen- und schätzen gelernt.
Ayla Yeginer hatte sich in Hamburg mit ihren ersten Inszenierungen zeitgenössischer Stücke im früheren Winterhuder Theater Kontraste einen Namen gemacht, arbeitete danach am Ohnsorg-Theater, am Oldenburgischen Staatstheater und dem Stadttheater in Pforzheim. Im Vorjahr erhielt die Regisseurin für ihre überzeugende Adaption des Fallada-Romans „Kleiner Mann, was nun?“ im Ohnsorg-Studio den Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares. Ihren seit 2020 gültigen Vertrag als Schauspieldirektorin am Theater für Niedersachsen in Hildesheim hat Ayla Yeginer, Kollegin und Tochter des Ohnsorg-Oberspielleiters Murat Yeginer, zum Sommer 2024 nicht verlängert.
Ernst Deutsch Theater: Murat und Yeginer kommunizieren vor allem per WhatsApp
Der gebürtige Hamburger Schütter, auch Musiker, Synchronsprecher und Regisseur, spielte schon am Ohnsorg und war am Ernst Deutsch Theater zuletzt in „Don Carlos“ und in der Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ zu erleben. Obwohl ihr „Haupt-Meetingraum in WhatsApp-Sprachnachrichten“ (Yeginer) besteht, nahm sich die Doppelspitze in spe im Büro des Ernst Deutsch Theaters Zeit für ein exklusives Gespräch mit dem Abendblatt. Das Foyer und der große Saal sind vor dem Saisonstart am 24. August mit dem Drama „Am Ende Licht“ derzeit noch Baustelle.
Hamburger Abendblatt: Als das Ernst Deutsch Theater im Frühjahr die Nachricht verbreitete, die Intendanz mit Ihnen beiden von 2025/26 an neu zu besetzen, wollte das Haus das nicht an die große Glocke hängen. Dennoch war es für viele eine große Überraschung. Wie sehr hat Sie das bewegt?
Ayla Yeginer: Der Zeitpunkt, an dem das verkündet wird, ist ja für die Betroffenen meistens nicht ganz so überraschend (lacht). Ich war natürlich schon etwas länger im Bilde über meine Zukunft. Das war nicht der berühmte Anruf, bei dem man rückwärts vom Stuhl fällt. Dadurch, dass wir uns alle schon kannten, war das anders als bei mir damals mit Hildesheim, als ich dort 2020 anfing. Dies hier ist in guten Schritten mit uns gewachsen.
Sie jedoch, Herr Schütter, haben den ersten Schritt gemacht, um Ayla Yeginer für die Intendanz zu gewinnen?
Daniel Schütter: Mir war immer klar, dass ich das nicht allein machen will. Die Zeit mit einer Person, die an der Spitze eines Kulturunternehmens sitzt, ist in meinen Augen vorbei. Für mich war, nachdem ich Ayla kennengelernt habe, ziemlich früh klar, dass sie die richtige Person ist, um das mit mir zu machen.
Also bald nach der Gründung Ihrer freien Theatergruppe Sexy Theater Menschen 2018?
Schütter: Da kamen die Gedanken schon auf, ja. Für uns beide waren die Sexy Theater Menschen auch eine Art und Weise zu schauen, wie gut wir miteinander arbeiten können. Dadurch, dass ich in meiner Band kollektiv 22 schon vertraut war mit gemeinschaftlichem Arbeiten, konnte ich das auch in einem Theaterkollektiv sehr gut ausprobieren. Besonders dann, wie man miteinander umgeht, wenn man auf Probleme stößt.
Die Idee, die Leitung des von jeher privat geführten Ernst Deutsch Theaters abzugeben, ging ja von Ihrer Mutter Isabella Vértes-Schütter aus.
Schütter: Die Idee, dass das irgendwann auf mich fällt, gab es schon seit meiner Kindheit, ehrlich gesagt. Damals war natürlich sehr viel Spaß mit dabei, das Theater war irgendwie auch Familienhaus. Ernster wurde es in den letzten Jahren. Dass es früher kam als erwartet, war dann natürlich erst mal eine Hausmarke. Doch da mir schon klar war, mit wem ich das machen möchte und wie das Team aussieht. Schon als Ayla 2020 nach Hildesheim ging, sagte ich zu ihr: „Ich hoffe, ich kann dich irgendwann zurückholen!“ (beide lachen)
Ayla Yeginer hört im Sommer 2024 in Hildesheim auf. Heißt das, Sie beide haben mindestens ein Jahr Vorlauf, Ihre erste gemeinsame Spielzeit zu planen?
Schütter: Ein Jahr Vorlauf wäre utopisch. Wir sind jetzt schon dabei.
Was bedeutet das für den bisher freischaffenden Künstler Daniel Schütter? Ab wann steckt der im Korsett des Co-Intendanten?
Schütter: Ich habe mir meine Theaterschauspiel-Pause jetzt schon auferlegt. Die ging nach der „Großherzogin von Gerolstein“ bei uns am Haus Anfang Januar los ...
… und soll mehr als zweieinhalb Jahre lang bis Herbst 2025 dauern, sodass Sie nicht mal in kleineren Rollen am Haus zu erleben sind?
Schütter: Sag niemals nie. Ich habe mir erst mal vorgenommen, bis zur Übernahme der Intendanz nicht zu spielen, aber ich werde in unserer ersten Saison spielen, da bin ich recht sicher. Ich möchte jetzt einerseits den Fokus auf die Mitarbeitenden setzen, andererseits möchte ich auch meinem fünfeinhalbjährigen Sohn so viel Aufmerksamkeit schenken, wie ich kann. Da möchte ich auch die Zeit zu Hause genießen.
Ihre Mutter war damals, 1995 nach dem Tod ihres Mannes und Ihres Vaters Friedrich Schütter, bei der Übernahme des Intendanz sogar zwei Jahre jünger, als Sie es bei Ihrem Amtsantritt sein werden ...
Schütter: Es lässt sich fast ein Muster erkennen, wenn man sich überlegt, dass sich das Theater in ungefähr denselben Zeitabständen immer verjüngt hat – und zwar auf das gleiche Alter. Mein Vater war so alt, als er das Theater gründete, meine Mutter so alt, als sie es übernahm, und jetzt ich. Ich glaube, das ist ein Prozess, der solch einem Haus sehr gut tun kann.
Yeginer: Das heißt, wir müssen ungefähr 28 Jahre durchhalten … (beiderseitige Freude im Büro)
Was stimmt Sie als Schauspieldirektorin an der Landesbühne für Niedersachsen denn zuversichtlich, dass Sie mit dem dann immer noch jungen Herrn Schütter ein kreatives und produktives Leitungsduo an Hamburgs größtem Privattheater bilden werden?
Yeginer: Zunächst mal sind wir vom beruflichen Hintergrund her eine interessante Symbiose – zumindest eine vielversprechende. Bei uns kommen unterschiedliche Aspekte zusammen. Wir sind zwar beide im kreativen Bereich tätig und trotzdem in unterschiedlichen Segmenten unterwegs. Die Voraussetzungen, dass man sich wie wir als Menschen schon kennt, ist ein Geschenk. Das gibt es ja nicht so oft, wenn man neue Positionen übernimmt.
Und wie sieht es der Co-Intendant in spe?
Schütter: Wir haben das große Glück, dass wir dieselben Sachen nicht mögen (allgemeines Gelächter).
Zum Beispiel?
Schütter: Wenn man im Kunstverständnis, bei dem, was man sich ansieht, die gleichen Sachen nicht leiden kann und Ähnliches nicht cool findet, dann hat man schon mal die halbe Miete, in dem was man erarbeiten will. Wir haben natürlich unterschiedliche Ideen, was ganz schön ist, aber ein sehr ähnliches Verständnis von dem, was wir gut finden und was nicht.
Yeginer: Als wir uns kennengelernt haben, war es das ähnliche Bestreben, dass wir Inhalte transportieren wollten, gesellschaftskritisch-politisch arbeiten wollen.
Daraus abgeleitet: Was kommt für Ihren Spielplan gar nicht infrage?
Yeginer: Bestimmte gesellschaftliche Diskurse dürfen nicht verletzt werden, ethisch-moralisch.
Schütter: Wenn ich mal ein Beispiel nennen darf: Ich habe eine große Abneigung dagegen, dass wir in Deutschland im Theater französische Filmkomödien rauf- und runterspielen, die eine komplett andere Kultur voraussetzen. Stoffe, in denen man sehr nonchalant mit Rassismen umgeht, die spielen wir bei uns auf vielen Bühnen ganz normal. Das finde ich sehr problematisch, weil man dabei den Kulturkreis und unsere Vergangenheit komplett vergisst und die Lacher gern aufseiten von rassistischen Witzen zieht. So etwas wird bei uns mit Sicherheit nicht passieren.
Andererseits beklagen in Hamburg andere privat geführte Bühnen, es gebe insbesondere im Genre Komödie zu wenig gute deutschsprachige Autoren!
Yeginer: Es geht gar nicht so sehr um die Sprache, sondern um das, was einem gewissen Humor zugrunde liegt, dem typischen französischen oder dem britischen. Da ist ja eine Entwicklung, wie man mit dieser Form des „humoristischen Rassismus“ umgehen darf. Fraglich, wie gut man das adaptieren kann in einem Land, das eine ganz andere Historie hat und auch humortechnisch an einer anderen Stelle steht.
Wann planen Sie denn die Finalisierung ihres Spielplans für 2025/26?
Schütter: Wir planen die ganze Zeit, in dem Rahmen, dass Ayla ihre Pflichten in Hildesheim nicht eingeschränkt hat. Momentan sitzen wir hier auch mit Isabella und Jens-Peter Löwendorf zusammen und gucken uns an, was den Betrieb ausmacht. Und wir lesen uns ein in das ganze Geschehen und überlegen uns auch Prozesse für den Wandel. Dieser Prozess hat im Frühjahr begonnen mit der Ankündigung, dass Ayla und ich die Intendanz übernehmen sollen. Wir bauen immer wieder Spielpläne. Das ist eine sehr ego-freie Arbeit, niemand versucht seine Idee durchzudrücken.
Sie stehen vor dem Spagat, die dann hoffentlich noch mehreren Tausend Abonnenten bei der Stange zu halten und das Ernst Deutsch Theater zugleich für neue, jüngere Zuschauergruppen interessant zu machen!
Yeginer: Wie alle Theaterschaffenden wollen wir natürlich genau das probieren. Doch Veränderung ist ja eigentlich etwas sehr Positives, sie wird nur schnell mit Angst verknüpft. Doch man braucht sich vor nichts zu fürchten, das können wir schon jetzt sagen. Es sind Chancen und neue Ideen, die miteinfließen. Wir werden vom bisherigen Spielplan-Spektrum nicht total abweichen und sagen: Ab jetzt werden wir nur noch französische Komödien spielen (lacht). Wir werden versuchen, dem „Erbe“ treu zu bleiben und dabei neue Impulse zu setzen.
Wie soll das geschehen?
Schütter: Wenn ich von Menschen höre, die seit 57 oder sogar 60 Jahren Abonnenten des Ernst Deutsch Theaters sind, dann weicht es mir das Herz auf, das finde ich wunderschön. Das Letzte, was Ayla und ich wollen, ist, diese Menschen vor den Kopf zu stoßen. Natürlich muss man das Zeitgeschehen und die künstlerischen Strömungen beachten, sodass man Theater nicht allein für Abonnenten macht. Aber wir wollen auf keinen Fall Theater machen, das eine treue Ernst-Deutsch-Theater-Gängerschaft ausgrenzt.
Wie wichtig ist es für Sie, dass Jens-Peter Löwendorf als Geschäftsführer weitermacht?
Yeginer: Die kaufmännische Seite ist die Basis für alles. Wichtig ist aber, dass es nicht darum geht, dass hier zwei jüngere Personen kommen und glauben, sie wüssten, wie man alles richtig macht. Der Impuls ging ja von Isabella aus, sie sagte: „Man muss wach bleiben, die Fenster zur Vergangenheit offenhalten und die Türen zur Zukunft aufstoßen.“ Wir maßen uns in keiner Weise an, dass wir Dinge besser wissen oder können als jemand, der das seit Jahrzehnten macht. Deshalb sind wir ja im engen Austausch, deshalb bin ich so dankbar, dass es kein klassischer Intendantenwechsel ist.
Daniel, sind Ihre Mutter, die Noch-Intendantin Vértes-Schütter, und der Geschäftsführer Löwendorf für Sie auch Mentoren?
Schütter: Zunächst mal sind wir beide sehr glücklich, dass uns Jens-Peter Löwendorf erhalten bleibt und wir einen kaufmännischen Geschäftsführer an der Seite haben, der dieses Haus in dieser Funktion seit vielen Jahren mit Isabella leitet. Wenn man als Kulturschaffender in Eigenverantwortung durch die Welt läuft, dann geht damit eine gewisse Blauäugigkeit einher, die natürlich für solch einen großen Betrieb nicht passt. Die nimmt mir Isabella sehr gut.
Yeginer: Es macht mich sehr glücklich, dass sie und Jens-Peter Löwendorf uns auf Augenhöhe begegnen, das gibt uns sehr viel Sicherheit. Er bringt ganz viel Know-how mit, und trotzdem ist das null überheblich und belehrend.
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Was Sie beide an Jens-Peter Löwendorf schätzen, wissen wir jetzt. Was schätzen Sie, Herr Schütter, besonders an Ayla Yeginer?
Schütter: Erstens ist sie eine hervorragende Regisseurin. Ich habe mir in Hildesheim alles angeguckt, was sie in letzter Zeit gemacht hat und war hellauf begeistert. Ihre „Hamlet“-Inszenierung in der abgelaufenen Spielzeit zum Beispiel war eine der besten „Hamlet“-Inszenierungen, die ich je gesehen habe. Und so einen Sonnenschein mit so viel Klarheit, mit so viel Intellekt – sie ist einfach eine beeindruckende Person.
Und Sie, Frau Yeginer, was schätzen Sie an Daniel Schütter?
Yeginer: Seine offene Herzlichkeit und vor allem seine Loyalität, die ich schon in den vergangenen Jahren erfahren durfte. Ich habe ein großes Vertrauen, generell auch in die Familie. Von der Grundhaltung sind wir positive und freundliche Menschen. Und seine wirklich explosive Kreativität, die beeindruckt mich immer wieder. Daniel ist eine positive Büchse der Pandora, eine enorm kreative.
Angesichts dieser großen gegenseitigen Wertschätzung haben Sie sich gewiss schon auf ein Eröffnungsstück Ihrer ersten gemeinsamen Spielzeit verständigt?
Yeginer: Na klar, das ist absehbar. Das werden wir zu gegebener Zeit bekannt geben – mit viel Konfetti und Bumbum (lacht).
Eine Uraufführung zum Start wäre doch mal was Schönes – und ein echtes Wagnis!
Schütter: Wir werden es mit dem Spielplan im Frühjahr 2025 sehen (lacht). Da gibt es sehr viele Ideen, alles muss auf seine Umsetzbarkeit überprüft werden. Verraten können wir schon, dass unsere plattform-Bühne dann nicht nur Fremd- oder Jugendproduktionen zeigen wird, es sollen dort auch eigene Produktionen kommen. Wenn wir diesen Wunsch verraten, verraten wir nichts Falsches.