Hamburg. Väter und Töchter, Erblasten und eine Umweltaktivistin: von Düffels „Der brennende See“ bündelt Generationenkonflikte.

Wolken sind ja am Ende auch bloß Wasser. Und Wasser, das ist seit jeher das Leitmotiv im Werk des Schriftstellers (und Schwimmers und einstigen Thalia-Dramaturgen) John von Düffel: Das Debüt „Vom Wasser“, der Kurzgeschichtenband „Wassererzählungen“, der am Meer spielende Roman „Houwelandt“, die „Gebrauchsanweisung fürs Schwimmen“ – unter anderem. Mit „Der brennende See“ bleibt John von Düffel nun also ganz in seinem Element – wobei er seinem neuen Roman einen zusätzlichen Clou hinzufügt: das fiktive „Wolkenbuch“ eines fiktiven Schriftstellers, in dem es tatsächlich um nichts anderes geht als um Wolken.

Wolkentürme, Wolkentiere – und nicht zuletzt: Wolkensterben. Der Tod ist überhaupt sehr präsent in diesem Roman; es ist der Tod des Wolken-Schriftstellers, der seine erwachsene Tochter Hannah in einem viel zu heißen April zurück in ihre Heimatkleinstadt führt. An (und gleich zweimal auch in) den Baggersee, in den schon ihr Vater täglich stieg und den nun einige im Ort zur Mülldeponie umwidmen und andere nach dem asketischen Schriftsteller, der „immer und überall zuerst ins Wasser“ ging, benennen wollen.

Was eine Gesellschaft nachfolgenden Generationen hinterlässt

Wasser also, immer und überall, die konstant knapper werdende Ressource. „Alles in ihm lief dem Wasser zu“, erinnert Hannah sich an den Vater, bevor sie erfährt, dass er sie kurz vor seinem Tod zugunsten einer eigenen Stiftung enterbt hat – und dass es da offenbar noch eine geheimnisvolle junge Frau in seinem Leben gab, womöglich eine zweite Tochter...? Hannah begibt sich auf die Suche und stößt dabei auf eine Jugendfreundin und deren Familie, auf einen hellsichtigen kleinen Jungen, einen schmierigen, übergriffigen Anwalt (mit dem sie trotzdem im Bett landet, auch das gewissermaßen als Teil der emotionalen Altlasten) und eine radikale junge Klimaaktivistin, die sich ihrerseits auf Vatersuche befindet.

Klug und feinsinnig verwebt von Düffel, der sich diesmal für eine weibliche Hauptfigur entschieden hat, die verschiedenen Handlungsebenen miteinander: Der Erbschaftskonflikt der Tochter spiegelt die übergeordnete Frage, was eine Gesellschaft den nachfolgenden Generationen hinterlässt. „Sie reiste, wie er reiste“, heißt es an einer Stelle über Hannah und ihren Vater, „mit leichtem Gepäck.“ Tatsächlich aber schleppen nahezu alle Figuren schwer an den Lasten der Vergangenheit und der Verdrängung, ihrer persönlichen und der kollektiven.

Ein Agitprop-Roman ist das Buch nicht

Denn auch darum geht es in „Der brennende See“ – vermutlich ist John von Düffel mit seiner Geschichte gar die erste Fridays-for-Future-Literarisierung gelungen. Eine entscheidende Szene spielt mitten in einer Freitagsdemonstration, in der es einer Gruppe von Vermummten gelingt, samt Fischkadavern (aus dem Titel-See, klar) den Rathausbalkon zu erklimmen.

Ein Agitprop-Roman ist das Buch trotzdem nicht. Eher liegen die drängenden gesellschaftspolitischen Themen der Gegenwart wie ein zusätzliches düsteres Gewittergrollen unter den Sommertagen, die im April ja gar keine sein dürften. Ein kurzes Wetter-Update (das von „heiter bis wolkig“ bis zum „Ausnahmezustand“ reicht) leitet jedes Kapitel ein, reichlich Alkohol vernebelt Hannah die klare Sicht. Von Düffel schreibt atmosphärisch dicht und formuliert genau, die Handlung ist anfangs nur scheinbar vorhersehbar und nimmt doch einige unerwartete Wendungen.

Am Ende ist eine Wolke übrigens keineswegs bloß Wasser. „Die letzte Wolke ist ein großer Rauch“, dichtet der tote Schriftsteller und mit ihm mahnt da wohl auch der lebende Autor John von Düffel. Die letzte Wolke nämlich ist „nicht Wasser, sondern Staub“.