Hamburg. Die Premiere der französischen Komödie wird vom Publikum gefeiert – so wie Hauptdarsteller Erkki Hopf zum Bühnenjubiläum.

Er möchte doch nur in Ruhe seine Platte hören. Deren Titel einen gar nicht mal so subtilen Hinweis auf den Charakter dieses Musikliebhabers bereithält: „Me, Myself & I“ heißt die Egozentrikerhymne des fiktiven Klarinettengranden Neil Youart, die Moritz soeben auf dem Flohmarkt erstanden hat. Eine Vinyl-Rarität, eine Sammlersensation, Erstpressung! Leider scheint das außer ihm niemand zu begreifen. Weshalb nicht nur Moritz, sondern auch das Publikum die gesamte Vorstellung über nur die ersten paar Takte zu hören bekommt. Immer und immer wieder.

Das ist auch schon die Ausgangslage, die der fabelhafte französische Dramatiker Florian Zeller für seine Hauptfigur arrangiert – um dessen Welt anschließend sowohl im übertragenen Sinne als auch buchstäblich derart in Schutt und Asche zusammenkrachen zu lassen, dass dessen Wunsch auf „blots een Stünn lang Roh“ nicht in Erfüllung geht.

Ohnsorg-Premiere: Inszenierung ist auch ein Jubiläumsgeschenk an ihren Hauptdarsteller

„Une heure de tranquillité“ heißt Zellers Komödie im französischen Original. Patrice Leconte hat sie vor ein paar Jahren für das Kino verfilmt, und auch auf einer Hamburger Bühne war das Stück schon einmal erfolgreich zu sehen: 2015, mit Herbert Knaup und Leslie Malton am St. Pauli Theater. Nun ist „Eine Stunde Ruhe“ am Ohnsorg-Theater angekommen und in Nora Schumachers Inszenierung auch ein Jubiläumsgeschenk an ihren Hauptdarsteller: Seit 30 Jahren ist Erkki Hopf nun Teil des Ohnsorg-Ensembles.

Sein Moritz ist deutlich bodenständiger, als der Michel von Herbert Knaup es war. Die bürgerliche Überheblichkeit steht bei Hopf und Birthe Gerken, die als seine Frau Nathalie im Schlabberlook immer wieder Gesprächsbedarf anmeldet, weniger im Vordergrund, was beiden Figuren in ihrer nicht übertrieben eleganten Altbauwohnung (Ausstattung: Peter Lehmann) womöglich sogar eine höhere Anschlussfähigkeit verleiht (allerdings manchmal auf Kosten der Fallhöhe geht).

Jascha Schütz (links, mit Erkki Hopf) spielt am Ohnsorg zum ersten Mal. Statt Sebastian möchte er gern „Fucking Rat“ genannt werden.
Jascha Schütz (links, mit Erkki Hopf) spielt am Ohnsorg zum ersten Mal. Statt Sebastian möchte er gern „Fucking Rat“ genannt werden. © Oliver Fantitsch | Oliver Fantitsch

Moritz ist ein recht durchschnittlicher Mittelklassetyp, seine Selbstbezogenheit ist vor allem Routine: Seine Ehe, sein bereits erwachsener Sohn, die Renovierung der Wohnung oder die Nachbarschaft – ihn interessiert das alles höchstens rudimentär. Nicht einmal das Verhältnis zur Geliebten ist von besonderer Leidenschaft geprägt, die bringt Moritz – schöne Ironie – ausschließlich für „Me, Myself & I“ auf.

Theater Hamburg: Ohnsorg-Schauspieler Florian Zeller hat ein Händchen für eskalierende Dialoge

Das haareraufende Kerlchen, mit dem man anfangs sogar Mitleid empfindet, steht also im Mittelpunkt, seiner selbst und der des Geschehens, und tatsächlich darf der arme Erkki Hopf die Bühne über die gesamte Premieren-Strecke nahezu nicht verlassen. Florian Zeller, der einen feinen Sinn für böse, vor allem aber geistreich eskalierende Dialoge hat, baut die Handlung um den Versuch, dem Klarinetten-Album zu lauschen. Es stören abwechselnd: die Ehefrau, die eine 20 Jahre alte Affäre beichten will, die Mutter (am Telefon), ein zunehmend zerrupfter Handwerker (Ali Ahmad), der trotz stereotyper Erwartungen kein Pole ist, sondern Portugiese und für seinen Job offenbar denkbar ungeeignet, der Nachbar, dem der Wasserschaden die eigene Wohnung verwüstet, und die beste Freundin der Gattin, die außerdem Moritz‘ derzeitige Bettgenossin ist (Beate Kiupel). Höhepunkt der vollendeten Lächerlichkeit: Oskar Ketelhut als alter Freund Peer, punktgenau serviert in Fahrradhelm und Leuchtgeschirr.

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Selbstverständlich scheitert Moritz in seinem Versuch, all die sich türmenden und potenzierenden Baustellen zu jonglieren – nicht einmal die bewährte Ignoranz hilft. Kein Wunder, dass der erwachsene Sohn (Jascha Schütz in seiner ersten Ohnsorg-Rolle) zu drastischen Mitteln greift, um die Aufmerksamkeit des Vaters zu ergattern. Identitätsfindung auf einem anderen Level: Der Sohn heißt Sebastian, will aber künftig auch von seinen Eltern mit einem reizenden neuen Namen angesprochen werden: „Fucking Rat“.

„Eine Stunde Ruhe“ am Ohnsorg: Dieser Abend ist wirklich sehr, sehr lustig

„Hat denn hier kein Mensch Sinn für Prioritäten?!“, ruft der aufdringliche Nachbar (Robert Eder), dem in all dem Chaos die komplette Wohnung absäuft, irgendwann verzweifelt. Womit er ziemlich präzise Zellers Pointen-Rezept beschreibt. Regisseurin Nora Schumacher und ihr Ensemble übersetzen die sich steigernde Hysterie mit einem sehr genauen Gespür für Timing. Was im ersten Teil vielleicht noch ein Quentchen mehr Zug vertragen hätte, surrt nach der Pause glänzend von einem herrlich absurden Moment zum nächsten. Dass zwischenzeitlich – unabsichtlich! – auch die rückwärtigen Flügeltüren haken, bis die Kulisse wackelt und die Schauspielerin Beate Kiupel einen veritablen Lachanfall unterdrücken muss, stört dabei den Fluss in keiner Weise, ganz im Gegenteil. Hochdeutsch schnacken übrigens nur der Nachbar und der Handwerker, das Gros der Dialoge passiert in allerschönstem und auch für Neueinsteiger gut verständlichem Platt.

Ausgerechnet „eine Stunde Ruhe“ wird man allerdings auch im Publikum eher nicht finden in der geglückten und vom Premierenpublikum einhellig gefeierten Vorstellung, aber dafür gute zwei Stunden Ablenkung vom Wahnsinn da draußen. Dieser Abend ist wirklich sehr, sehr lustig.

„Eine Stunde Ruhe“, bis 13. Januar 2024 am Ohnsorg-Theater, Karten unterwww.ohnsorg.de