Hamburg. Festival mit Luft nach oben: Start des „Kosmos Bartók“-Festivals mit Alan Gilbert, Igor Levit und dem NDR Elbphilharmonie Orchester.

Festival-Stimmung zum Wochenende, deswegen kam für den Abflug in den „Kosmos Bartók“ das große Multimedia-Besteck im Großen Saal der Elbphilharmonie zum Einsatz: Live-Übertragung durch den NDR, live auch im Stream des Konzerthauses. Arte übertrug ebenfalls mit und spendete damit seinen grenzüberspannenden Prestige-Segen. Hochauflösende Bilder und gut ausgepegelte Töne, nur die Schokoladenseiten sollten es sein an diesem Abend.

NDR-Chefdirigent Alan Gilbert war wohl der Motor der ambitionierten Idee, über eine Woche lang ausschließlich Werke von Béla Bartók in die Programme aller NDR-Klangkörper zu blocken, nach dem Motto: die größten Bartók-Hits der Neunzehnzehner, -zwanziger, -dreißiger und -vierziger, und dazu einer der Besten von heute. Wobei „Hit“ für das schillernde Schaffen dieses großen Vielseitigen nach wie vor eine sehr relative Popularitäts-Maßeinheit ist. Die angestrebte Best-of-Werk-Show hatte sich zudem kurz vor knapp deutlich reduziert, weil der prominenteste, viel beschäftigte Festival-Solist Igor Levit sein Engagement aus unerklärt gebliebenen „künstlerischen Erwägungen“ von den drei Klavierkonzerten auf das Dritte reduziert hatte. Und dieses eine, so schön es auch ist, nun an gleich vier Abenden spielt.

Alles ist ja eindeutig sehr gut gemeint, alles wurde mit öffentlich-rechtlicher Routine – Stichwort Bildungsauftrag – durchorganisiert und präsentiert. Aber doch, es fehlte Entscheidendes bei dieser Eröffnung. Die letzte Prise spontan aufbrausender Zauber, das entscheidende Quentchen Abenteuerspaß und Lust auf gegenseitiges Anfeuern und Ausreizen der Möglichkeiten. Es wurde ein schöner, kein großartiger Abend, ein Konzert mit Sicherheitsgurt im Kopf.

Elbphilharmonie: Levit, Gilbert, Bartók und ein Sicherheitsgurt im Kopf

Für den niedrigschwelligen Zugang ins Sortiment sollte das „Divertimento für Streichorchester“ sorgen, ein in sich enorm zwiespältiges Stück, weil es sowohl forsch-fröhliche Volksmusikanklänge bietet, die Gilbert listig schlingernd und federnd als erste Kostprobe servierte; andererseits verdunkelt sich die Stimmung im Mittelsatz, wird bitterzart verschattet. Man bekam, obwohl Gilbert die Temperamentsausbrüche vor allem ordentlich regelte, eine solide, erste Ahnung von der Vielschichtigkeit und vom stilistischen Können Bartóks, auch von der Dringlichkeit dieser Musik, sich von innen heraus gegen Konventionen und Erwartungshaltungen als widerspenstig zu positionieren, Überraschendes, Überrumpelndes, Überwältigendes inbegriffen.

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Diese Anteile jedoch ließ Levits erster Durchgang mit Bartók 3 zu sehr vermissen. Sein riesiges Können erlaubt es ihm, natürlich, weitaus mehr als anständig und unfallfrei durch ein Klavierkonzert dieses Schwierigkeitsgrades zu kommen, ob, wie hier, mit Noten-iPad oder ohne. Aber tatsächlich gespielt, gewagt, geflirtet mit der Kunst des Moments wurde eher wenig. Levit unterzeugte. Es blieb beim Arbeiten mit dem Material auf hohem Niveau, wobei Gilbert das Orchester aufmerksam dazukoordinierte, aber nicht allzu weit mit oder für Levit ins Risiko ging.

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Und der Solist selbst? Der ließ seinen ersten Einsatz zart aufblühen, genoss die vielen folgenden Wendungen und Wandlungen, grätschte auch mal verschmitzt und vollgriffig dazwischen, um sich über das Orchester hinweg wieder bemerkbar zu machen. Im lieblichen Mittelsatz kam er im Dialog mit den Streicherpassagen zu tief atmender Ruhe. All das hatte viel aufrichtig Schönes.

Schon schön, aber noch nicht sensationell

Im Rausschmeißer-Finale allerdings hätten unentwegt Funken fliegen müssen. Levit hätte alle im Großen Saal schwindlig spielen müssen, lässig und schnittig zugleich von einem Taktwechsel zum nächsten flitzend. Er buchstabierte aber noch zu sehr und steckte im Fleißeifer fest. Für den begeisterten Beifall aus den Fankurven in den Rängen bedankte Levit sich mit Brahms‘ verträumtem Es-Dur-Intermezzo op. 117/1. Bleibt abzuwarten, wie sehr dieser Bartók in seinen nächsten Konzertrunden an Format und Spannung gewinnt.

Das abschließende „Konzert für Orchester“ sollte verstanden werden, wie es heißt: als kräfteverbrennender Zehnkampf mit Noten, bei dem jede Disziplin, jede Muskelgruppe des Klangkörpers heftig gefordert wird. Gilberts energisch fordernde Gesten versprachen aber oft mehr, als das Tutti in den wild abwechslungsstark komponierten fünf Absätzen praktisch einhielt. Das gewollt täppische Stolpern der zwei Fagotte durch den zweiten Satz, das raffinierte Vexierspielchen mit Operetten-Zitaten im vierten Satz, das rasante Auftrumpfen im Finale, das sich in einen Schlussspurt steigert, für den alle noch das letzte bisschen Pulver verbrennen sollten? Schon schön war es, aber auch noch nicht sensationell.

Dieses Programm wird am 4.2., 18 Uhr, wiederholt, evtl. Restkarten. Der Stream ist in der Elbphilharmonie-Mediathek abrufbar. Levit spielt Bartóks 3. Klavierkonzert auch in den Konzerten am 9.2. und 10.2., evtl. Restkarten. Infos unter www.ndr.de/kosmosbartok. Aktuelle Levit-Einspielungen: „Mendelssohn: Lieder ohne Worte“ (Sony Classical, CD ca. 18 Euro). „Fantasia“ Musik von J.S. Bach, Liszt, Berg und Busoni (Sony Classical, 2 CDs ca. 15 Euro).