Hamburg. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, das Kunstspiel zum Mitmachen im Abendblatt. Diese Woche: „Carrie“ von der Künstlerin Anna Grath.

Es ist das Spiel mit dem verfestigten Blick auf die Dinge unseres Alltags, das Anna Grath mit ihren Installationen treibt. Mal ist es eine simple Korkwand mit Stecknadeln, die durch eine am unteren Rand angeheftete schiefe Bordüre wie zu einer Art Gardine wird, mal wird ein Stück Stoff so kunstvoll auf Glas gespannt, dass es wie ein abstrahierter Badeanzug wirkt. Betrachtet man eine ihrer Arbeiten, ertappt man sich dabei, wie man versucht, den ursprünglichen Zweck des Objekts zu rekonstruieren, etwa bei einem roten Basketballkorb, der aufgebogen und ohne Netz an der Wand montiert ist.

Kunstwerk „Carrie“: Ein Netz ist ein Netz ist ein Netz, oder vielleicht doch nicht?

Im hier gezeigten Bild stellt uns das Werk „Carrie“ aus dem Jahr 2018 die Frage: Taugt ein Einkaufsnetz wirklich nur fürs schnelle Shopping zwischendurch, oder haben wir es bislang in seiner Strapazier- und Tragfähigkeit unterschätzt? Bei der Künstlerin hält es zumindest einen Klumpen Zement zusammen.

Anna Grath, „Carrie“, 2018, 84 mal 45 mal 3 Zentimeter (Höhe mal Breite mal Tiefe),
Textilien, Beton G-2019-7
Anna Grath, „Carrie“, 2018, 84 mal 45 mal 3 Zentimeter (Höhe mal Breite mal Tiefe), Textilien, Beton G-2019-7 © © Anna Grath Foto: Robert Schlossnickel | © Anna Grath Foto: Robert Schlossnickel

Anna Grath betrachtet Gegenstände und Materialien in Form und Funktion intensiv, bevor sie sie von ihren eigentlichen Verwendungszwecken befreit und neu konstruiert. Das Spannende an „Carrie“ ist, dass die Materialien des Netzes und des Inhalts komplett im Gegensatz stehen, es geradezu absurd erscheint, Zement in einem Einkaufsnetz zu transportieren. Grath gelingt es aber, darin eine Balance zu finden und den verschiedenen Materialien eigene Grenzen und Möglichkeiten aufzuzeigen. „Das ehemalige Einkaufsnetz streckt und zieht sich in neue Formen, der Zement belastet das Netz, ist selbst aber nicht veränderbar. Die Ausgangsmaterialien erinnern dabei weiterhin an alltägliche Handlungen, die Wandarbeit selbst ist dagegen formal mit der Zeichnung verwandt. Das Netz kann als Schraffur gelesen werden, die Zementplatte als Form“, heißt es dazu in der Sammlung Online der Hamburger Kunsthalle.

podcast-image

Anna Gratz in der Kunsthalle Hamburg: Geboren wurde sie im Allgäu

Anna Grath, 1983 in Immenstadt im Allgäu geboren, studierte zunächst Kunst an der Universität Münster und wechselte später an die Hochschule für bildende Künste Hamburg, wo sie in der Klasse von Andreas Slominski ihr Diplom machte. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin in Hamburg. Vertreten wird sie von der Berliner Galerie Haverkampf Leistenschneider, die in ihrem Wirken ein regelrechtes Verteidigen der Rechte von Gegenständen sieht.

Mehr zum Thema

2020 nahm sie am Garten der Gegenwart in Harvestehude teil, einer einmaligen Kunstpräsentation im Grünen, initiiert von Margarita und Christian Holle. Im dazugehörigen Katalog heißt es sehr treffend: „Anna Grath kombiniert wie eine Gärtnerin, die neue Kreuzungen und Sorten außergewöhnlicher Pflanzen züchtet, diese Objekte zu raumgreifenden Wand- und Raumarbeiten. Die einzelnen Elemente werden gefaltet, gezogen, gebogen, gebeugt, gequetscht, gedehnt oder beschnitten. So bilden sich Prinzipien der Zucht, des Wachstums sowie Erziehung, Restriktion und Diktat in ihren konstruktiven und minimalistischen Arbeiten ab“.

Bei Anna Grath werden alltägliche Dinge zu abstrakten Zeichnungen oder Gemälden

„Carrie“ ist eine Dauerleihgabe des Fonds für Junge Kunst der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen an die Galerie der Gegenwart. Daneben beherbergt das Museum noch drei weitere Arbeiten der Künstlerin: „Strap 5“ (2019) besteht aus verschiedenen Säumen und Borten, die von beiden Seiten um eine Glasscheibe gewunden sind. Die normalerweise dekorativ bei Hand- und Näharbeiten verwendeten Stoffe dienen als Grundlage einer Wandarbeit, die an eine abstrakte Zeichnung erinnert. In „Elomen“ (2019) wurden Scharnierband und ein Kabelkanal in ornamentale Bögen gelegt und an der Wand aufgehängt, sodass diese wie weiche, formbare Materialien erscheinen und kunstvolle Ellipsen wie in einem abstrakten Gemälde bilden. Für „Peng“ (2015) wurde ein Kinderspielzeug über zwei Nägeln hängend in eine neue, streng lineare Form gebracht und somit in sein eigentliches Gegenteil verwandelt.