Hamburg. In einem Garten in Harvestehude sind bis Anfang November Arbeiten von 28 Künstlerinnen und Künstlern open air zu sehen.
Die französisch-amerikanische Pop-Art-Künstlerin Niki de Saint Phalle wollte mit ihrem Tarot-Garten in der Toskana einen „kleinen Garten Eden verwirklichen, wo sich Mensch und Natur treffen“. In dem beeindruckenden Labyrinth aus Riesenfiguren, Mosaiken und Spiegeln sollte „alles“ möglich sein. Die Künstlerin selbst fand sich und die Liebe zu ihrem Mitstreiter Jean Tinguely darin; der Garten gilt als ihr Lebenswerk und ist bis heute ein Ort der Hoffnung und der Freiheit.
Kunst im Grünen zu erleben ist immer besonders, man denke nur an die traumhaft gelegene Fondation Maeght nahe Nizza, wo man Giacomettis Skulpturen begegnet, oder an die gigantische Werkschau NordArt in Carlshütte bei Rendsburg. Doch Open-Air-Art war noch nie so verlockend wie jetzt zu Corona-Zeiten. Auch für Margarita und Christian Holle war die Entdeckung ihrer „kleinen Oase“ in Harvestehude eine glückliche Fügung. Seit zehn Jahren lädt das Paar zum Salon der Gegenwart nach Hamburg. Ob er in diesem Herbst stattfinden kann, steht in den Sternen. Und so entschlossen sich die Kunstliebhaber, Galerien in ganz Deutschland um aktuelle Arbeiten für draußen zu bitten.
Verwilderter Garten in Harvestehude als Ort für Kunst
Den Ort dafür hatten Holles schon länger im Auge: Zur Immobilie an der Rothenbaumchaussee 145, wo bis vor Kurzem noch Behördenakten gewälzt wurden und die nun leer steht, gehört auch ein wunderschön angelegter, aber verwilderter Garten. „Lediglich einmal im Jahr haben die Mitarbeiter dort ihr Sommerfest gefeiert, sonst wurde er überhaupt nicht genutzt“, sagt Margarita Holle fast schon empört. Sie ließ in Absprache mit dem Vermieter kleine Wege anlegen und Schneisen ins Gebüsch schlagen, wählte die Werke in den Galerien oder direkt in den Ateliers aus, organisierte die Transporte. Innerhalb von nur sechs Wochen konnte der Garten der Gegenwart für Besucher geöffnet werden.
„Anders als in einer Galerie, in der ich Bilder mal hier- und mal dorthin hängen kann, musste ich ganz genau überlegen, wo die teils sehr schweren Skulpturen platziert werden sollten“, erzählt Margarita Holle an ihrem Lieblingsplatz, einem Rasenstück mit Korbstühlen zwischen der aktuellen Keramik-Skulptur „Children Of Dust“ von Anselm Reyle und Kachelkunst der türkischstämmigen Künstlerin Nevin Aladag („Jali Arrow 1“, 2018).
28 Künstlerinnen und Künstler gilt es zu entdecken
„new horizon is a wave“: Die blaue Neonschrift von Ewa Partum prangt wie das übergreifende Motto an der gegenüberliegenden Hauswand. „Diese Form der Ausstellung freut mich besonders für die Kreativen, die durch den Lockdown keine Möglichkeit hatten, gesehen zu werden“, sagt die Kunstgärtnerin.
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28 Künstlerinnen und Künstler (ausgeglichenes Geschlechterverhältnis!) gilt es zu entdecken. Mal en passant wie Lilia Kovkas kaputter Grabstein, der wie zufällig auf dem Boden liegt, oder Fabian Knechts Baumstumpf („Bruch#3“, 2019). Mal wirken die Werke wie die Relikte des Vormieters, etwa die überdimensional große, schwarze Nelke an der Hauswand („Clove“, 2018, von Paul Morrison). In dem verbeulten Papierkorb aus Metall hat noch schnell jemand seinen Büromüll entsorgt (Arbeit von Olaf Metzel); ein Blumenstrauß wurde scheinbar achtlos in einen grünen Mülleimer gestopft (FORT). Die Schaukel von Henriette Grahnert ist eine ausdrücklich benutzbare Installation.
Streetart-Künstlerin Katharina Grosse sorgt für Höhepunkt
Ganz anders dagegen Jeppe Heins „Modified Social Bench NY#14“ von 2015: Auf der gebogenen Parkbank in Neonorange kann niemand sitzen, man kann sich nur mit dem Rücken anlehnen und von dort aus Christian Awes Farberuptionen beim Verfall durch Wind und Wetter beobachten. Der Künstler hat sich für Leinwände entschieden, als Symbol für Kunst und Kultur, die durch Corona buchstäblich „im Regen stehen“.
Für einen Höhepunkt der bewusst nicht kuratierten Ausstellung sorgt die Streetart-Künstlerin Katharina Grosse, die ihre raumgreifenden Arbeiten aktuell im Hamburger Bahnhof in Berlin ausstellt. Eine ihrer regenbogenfarbenen Acrylarbeiten auf glasfaserverstärktem Kunststoff, „o. T.“, 2016, räkelt sich prominent auf dem Rasen.
Im Garten der Holles ist alles möglich
Im Garten der Gegenwart können Besucherinnen und Besucher in der Kunst geradezu versinken, können sich von ihr inspirieren lassen, von ihr lernen. Man kann einfach eine gute Zeit haben, so wie kürzlich ein Paar, das sich mit Picknickdecke und Verpflegung einen ganzen Tag im Garten der Holles aufhielt. Ebenso wie im Tarot-Garten von Niki de Saint Phalle ist eben alles möglich.
Ende des Jahres soll das Haus Nummer 145 abgerissen werden. Die Kunst wird dann wiederum Platz machen für Wohnungen. Den Garten der Gegenwart wird es also nur ein einziges Mal in dieser Form geben. Auch das eine Verheißung.
Garten der Gegenwart bis 8.11., Rothenbaumchaussee 145 (U Hallerstraße), Mi 16.00–18.00, Sa/So 13.00–17.00, Eintritt frei, nur mit Anmeldung unter www.gartendergegenwart.de