Hamburg. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, das Kunstspiel zum Mitmachen. Diese Woche: „Germania und die Trauerfichten“ von Ann Böttcher.
Die schwedische Künstlerin Ann Böttcher, Jahrgang 1973, arbeitet mit feinen, detaillierten Bleistiftzeichnungen sowie mit Collagen und Textilien. Thematisch ist der Wald ein immer wiederkehrendes Thema in ihrem Werk und darin besonders die Fichte. Die Künstlerin verbindet dieses Motiv mit politischen und kulturellen Projektionen auf die Natur und in diesem Zusammenhang besonders dem Nationalsozialismus sowie der Verbindung der Romantik mit Nationalismen. Schon früh waren die Bilder Caspar David Friedrichs Bezugs- und Ausgangspunkte für Böttchers Schaffen; so entstand etwa ihre Zeichnung „Pause“ (2000) nach dem Friedrich-Gemälde „Frühschnee“ (um 1827), weil der Bildausschnitt sie an einen Wald aus ihrer Kindheit erinnerte.
Dass Ann Böttcher sich auf Friedrich bezieht und gleichzeitig mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt, kommt nicht von ungefähr. Der Autor Florian Illies („Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten“) sagte im Interview mit dem Abendblatt: „Friedrich war in seiner Zeit ein wirklicher nationalistisch gesinnter Mensch. Man muss es eben aus seiner Zeit begreifen: Damals bedeutete nationalistisch zu sein, demokratisch und eher links zu sein. Er wollte die zersplitterten deutschen Länder zu einem Land zusammenführen und gegen die Fremdherrschaft rebellieren. Es gibt diese patriotischen Bilder von ihm, Hünengräber, von Eichen umgeben. Die wurden 100 Jahre später wiederentdeckt und dann, besonders fatal, von 1933 an von den Nationalsozialisten zu nationalen Ikonen erklärt. Und Friedrich galt plötzlich als germanischer Maler, als Schutzpatron der deutschen Kunst.“
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Erst Jahrzehnte später wurde der Romantik-Maler aus Greifswald aus dieser ideologischen Klammer befreit und in der von Direktor Werner Hofmann kuratierten ersten großen Retrospektive 1974 in der Kunsthalle wiederentdeckt. In der Ausstellung „Kunst für eine neue Zeit“ zum 250. Jubiläum von Caspar David Friedrich ist nun auch Ann Böttcher vertreten. In der zweiten Etage der Galerie der Gegenwart ist unter anderem ihre vierteilige Serie „Germania und die Trauerfichten“ (2006) zu sehen.
Hierbei wird die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus besonders deutlich. „Das erste Blatt der Serie basiert auf einer Fotografie der Kolonnaden am Neuen Palais in Potsdam und zeigt Einschusslöcher aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges“, schreibt die Kuratorin Ruth Stamm im Ausstellungskatalog zu „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“. „Mit dem Motiv der Kolonnaden als Verweis auf Rom und dem Titel ‚Germania‘ bezieht Böttcher sich zudem auf Tacitus‘ gleichnamiges Werk aus dem Jahr 98 n. Chr., das vielfach als Grundlage für romantische Nationalismen herangezogen und für die nationalsozialistische Ideologie instrumentalisiert wurde.“
Die drei folgenden Blätter der Serie (hier nicht abgebildet) zeigen die im Titel genannten Trauerfichten. Im Gegensatz zur NS-Bildsprache, die aufrecht dargestellte Bäume als Ausdruck des „Urdeutschen“ benutzte, stellt Ann Böttcher ihre Fichten gebeugt dar. „Für die Künstlerin sind sie gebückt unter der Last der Bedeutungen, die im Laufe der Geschichte auf sie projiziert wurden“, so Stamm.