Hamburg. Alan Menkens Musik hat Generationen von Disney- und Musical-Fans verzaubert. Ein Treffen kurz vor der „Hercules“-Premiere in Hamburg.

Sein Vater war nicht mal eben Göttervater Zeus von Beruf, sondern „nur“ Zahnarzt. Seine göttliche Superkraft wurde ihm nicht in die gut gepolsterte Wiege gelegt, die musste er sich auf dem Weg nach ganz oben, wie in jedem guten Broadway-Musical, hart erarbeiten. Unter anderem als mäßig bezahlter Kinderlied-Lieferant (135 Dollar das Stück) für die „Sesamstraße“. Lange her, diese Gehaltsklasse. Inzwischen hat Alan Menken einen Spitzenplatz im ewigen Olymp der Filmmusik- und Musical-Komponisten mit seinem Namen auf der Rückenlehne: erste Reihe, unverbaubarer Panorama-Blick über einen einzigartigen Entertainment-Erfolg. „Arielle“, „Beauty and the Beast“, „Aladdin“ … Viel Spaß beim Nachgoogeln und Durchhören der vielen Klassiker. Und damit soll es jetzt auch gut sein mit den Wortspielereien über sein Projekt, das in der nächsten Woche Weltpremiere im Hamburger Musical-Theater Neue Flora hat.

„Hercules“, das Musical, steht frisch gekämmt für ein Comeback im Startblock, 27 Jahre nach „Hercules“, dem Zeichentrickfilm. Disney durch und durch natürlich, auch in dieser Version, mit fünf sexy, altgriechischen Musen, deren kommentierende Songs deutlich mehr nach klassischem Motown klingen als nach dem antiken Dramen-Chor am Bühnenrand. Mit einem herzensguten Helden, der sich wacker und jugendfrei bis zum Happy End durchkämpft, und zwischendurch wird ganz schön viel gesungen. Alles von Alan Menken, wieder mal.

Alan Menken vor Premiere: „Einen Oscar zu bekommen, das ist wirklich furchterregend!“

Wer den 73-jährigen Amerikaner trifft, kann anfangs an vier respekteinflößenden Großbuchstaben neben seinem Namen nicht vorbei: EGOT – Emmys, Grammys, Oscars, Tonys. Menken ist einer von gerade mal 16 Menschen, die in allen vier Showbiz-Kategorien Preise erhalten haben, auf Augenhöhe mit Legenden wie Audrey Hepburn, Andrew Lloyd Webber oder zuletzt Elton John. Acht Oscars (drei mehr als der von Menken mit Riesenrespekt auf den Knien verehrte John Williams), elf Grammys, einen Emmy und einen Tony Award hat Menken im Lauf der Jahre eingesammelt.

„Einige der Oscars habe ich auch wirklich verdient …“, amüsiert er sich, so viel Spaß auf eigene Kosten darf auf diesem Niveau sein, „zurück gebe ich sie jedenfalls nicht. Und übrigens: Einen Oscar zu bekommen, das ist wirklich furchterregend! Ich bin Komponist, warum soll ich vor all diesen Schauspielern stehen? Die wollen mich doch nicht reden hören! Unsereins ist nicht dafür gemacht, vor Milliarden Menschen zu stehen und – mit Worten! – unser Herz auszuschütten. Bei meinem ersten Oscar kam es mir so vor, als hätte mir ein Esel in die Nieren getreten. Wir und Schauspieler? Äpfel und Birnen.“ Genügend Lorbeeren für mehrere Karrieren also, für den Dauer-Schreiber Menken aber kein Grund, jetzt schon aufzuhören.

Der Komponist Alan Menken (links) und Thomas Schumacher, Chief Creative Officer Disney Theatrical Group, beim „Hercules“-Pressegespräch im Kent Club.
Der Komponist Alan Menken (links) und Thomas Schumacher, Chief Creative Officer Disney Theatrical Group, beim „Hercules“-Pressegespräch im Kent Club. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Nach dem einen Song ist immer wieder vor dem anderen Song. Diesen Teil seiner Arbeit sieht der Ohrwurm-Ausstatter Menken sehr pragmatisch. Beim Premieren-Werbespot-Talk im Kent Club hatte er einen ziemlich drastisch klingenden Tipp für jüngere Kollegen parat gehabt: Verliebt euch nicht in eure Arbeit!

Soll meinen: Rechnet immer damit, dass der noch ofenwarme Song von jemandem, der es kann, so schnell aus dem Stück oder dem Film herausgekegelt wird, wie er dort hinein sollte. Schon Kunst oder doch nur ein schöner Werkstoff, so eine vertonte Portion Herzblut? Er sei doch immer nur Teil eines großen Teamworks, „um mich geht es dabei nicht“, betont Menken, das wäre „egoistisch und unproduktiv. Mir ist klar, dass Musik eine Form der Kommunikation ist. Ich verheirate dafür mein Talent mit den Talenten anderer. Dabei blühe ich auf.“

Deswegen gibt es auch keinen liebevoll gestapelten Hoffnungshaufen für Material, das statt in Musical A später in Film B recycelt wird. Eine weitere Pauschal-Vermutung über seine Disney-Markenartikel räumt Menken gleich mit ab: „Ich schreibe nicht für Kinder. Ich schreibe für das Kind in jedem von uns. Ich bin Komponist und Architekt, ich baue ein Haus, in dem andere wohnen.“

Menkens Musik soll sich immer unmittelbar vertraut anfühlen

Die ersten Prüfrunden drehen seine Song-Rohlinge im unmittelbaren Kollegenkreis, also weder bei Nachbarn oder den eigenen Kindern, dann das größere Produktionsteam, die letzte Instanz ist dann das jeweilige Publikum. Für jedes fertige seiner Lieder, das es bis ins Rampenlicht schaffte, gab es durchschnittlich, im Laufe der Jahrzehnte, jeweils einen Titel, der im Dunkeln blieb, weil er vorher auf dem Büroboden gelandet war. „Gut sind sie immer noch – aber eben nicht für genau diesen Moment.“

Weil der Disney-Konzern nun mal der Disney-Konzern ist, mit dem Generationen groß wurden, und nicht die selbstlosere Heilsarmee, würden sie sich schon mit einem Wunsch nach mehr frischer Ware melden, sobald etwas Erfolg versprechend genug ist. Jetzt, für „Hercules“, mehr als ein Vierteljahrhundert zurückzugehen, um unter anderen Vorzeichen einen Stoff wiederzubeleben – das ist letztlich auch Business as usual in Menkens kühl rechnender, professionell auf Show geschminkter Branche. Da ist es ihm, als eine Art Elternteil, deutlich lieber, diese Änderungen im Leben dieses Sprösslings vorzunehmen, bevor es jemand anderes macht.

Neue Flora: Alan Menkens bringt „Hercules“ zum Tanzen

Zeit als Maßstab ist ohnehin sehr relativ in Menkens straff durchgetaktetem Metier. Ein Teil seines gar nicht geheimen, aber heiklen Erfolgsrezepts: In seiner Musik ist es immer „einige Jahre früher“. Man kann, soll, muss sich sofort wieder zu Hause wähnen, nach wenigen Noten schon. „Neu“ wäre schon praktisch als ein Grundaroma, aber vor allem soll sich diese Musik doch bekannt anfühlen, sofort verständlich, familiär, vertraut.

„Aber …!“, widerspricht der Kunst-Handwerker Menken sofort, „ich verwende ganz besondere Module, die Dinge hervorrufen, die einen Charakter, eine Kultur, eine Zeit formen. Ich male mit Farben, die eine Bedeutung haben. ,Arielle, die Meerjungfrau‘ hat mehr einfache Primärfarben als ,Der Glöckner von Notre Dame‘. Meine Lieder finden so einen Weg in die Erinnerungen und die Herzen des Publikums.“

Was seine Songs, über alle Unterschiede und Entwicklungsstufen der Projekte hinweg, unmittelbar „disneyable“ werden lässt? Sie entsprächen nun dem, was die Disney-DNA ausmacht, „ich bin ein Teil dessen, was Disney jetzt ist … Ein Vorteil ist dieser riesige Erfolg. Und ein Nachteil ist: Diese Dinge gehören mir nicht. Ich bekomme Tantiemen von ihnen, aber sie könnten mit meinen Songs auch einfach anstellen, wonach immer ihnen ist. Meine Position ist also sowohl enorm mächtig als auch enorm verwundbar. Disney und ich sind verheiratet.“

Arbeitsatmosphäre im Auditorium: Um das Musical „Hercules“ auf die Bühne zu bringen, wurden die Zuschauersitze im Stage Theater Neue Flora zu Arbeitsplätzen umfunktioniert.
Arbeitsatmosphäre im Auditorium: Um das Musical „Hercules“ auf die Bühne zu bringen, wurden die Zuschauersitze im Stage Theater Neue Flora zu Arbeitsplätzen umfunktioniert. © Stage Entertainment/Morris Mac Matzen | Stage Entertainment/Morris Mac Matzen

„Hercules“ in Hamburg: Hitmaschine Alan Menken braucht mehrere Projekte gleichzeitig

Der Hitmaschinen-Menken, den man sieht und hört, ist jedenfalls der einzige Menken, den man für das jeweilige Eintritts-Geld bekommt. Es gibt keine militant zwölftonigen Streichquartette, ganz hinten in einer Lebenstraum-Schublade geparkt, er möchte lieber den Kern eines musikalischen Genres so effektiv wie möglich einfangen, für so viele Menschen wie möglich.

Immer schön ein Projekt nach dem anderen? Das ist eindeutig nichts für Menken, „ich muss mit mehreren jonglieren, sonst wäre das so frustrierend …“ Momentan liegt deswegen ein Musical über die junge Krimiheldin Nancy Drew – so etwas wie eine entfernte Cousine der „Drei ???“ – auf seinem Arbeitstisch, neben einem Musical über George Orwells „Farm der Tiere“ und einer Musical-Fassung der Kino-Komödie „Nachts im Museum“.

Damit es nicht zu einfach wird mit dem Rumbringen der Arbeitszeit, kommt auch noch die Musik zum Musical-Film „Spellbound“ dazu, der in diesem Jahr bei Netflix erscheinen soll. „Eine meiner größten Ängste: Dass jemand meine Arbeit nimmt und sie verändert. Deswegen habe ich immer das Gefühl, verteidigen zu müssen, was ich erarbeitet habe. Immer im Spiel bleiben zu müssen.“

„Die eine Stelle in ,Aladdin‘, wenn der fliegende Teppich abhebt – that‘s so Brahms!“

Dass Hamburg als Spielort der „Hercules“-Premiere auch jene europäisch relevante Musical-Metropole ist, wo der ambitionierten „Hamilton“-Produktion, die am Broadway ein Riesenrenner war, kein jahrelanger Box-Office-Erfolg vergönnt war? Nicht schön, kann aber passieren. Der jeweilige Ort sei sehr ausschlaggebend, meint der Routinier Menken dazu, künstlerischer Erfolg – oder Misserfolg – sei eine andere Kategorie.

Andere Komponisten in anderen Genres gehen Reifungsprozesse durch, Menken hat das peterpaneske Privileg, in und mit seiner Musik immer jung bleiben zu dürfen, mehr noch: zu müssen. Er sollte tunlichst keine komplexen Schubert-Lieder voller Metaphern und Doppeldeutigkeiten schreiben, sondern im Zweifelsfall Musik, die schon ein zehnjähriges Kind problemlos und sofort inhalieren kann. „Meine Stärke waren immer Geschichten, die über eine emotionale Reinheit verfügen, mit einem Hauptcharakter, der ganz unbedingt sein großes Ziel anstrebt.“

Mehr zum Thema

Kurz wieder lustig wird das an dieser Stelle so grundsätzliche Gespräch bei hier in Hamburg gestellten Fragen an den ehemaligen Musikwissenschafts-Studenten Menken, wer wohl sein liebster Klassik-Komponist sei. „Beethoven?“ Knapp vorbei, nur wenige Hundert Meter Luftlinie vom Gängeviertel entfernt, in dem Brahms geboren wurde. „Aaah … Brahms! Ich liebe Brahms! Wirklich! Es gibt in ,Aladdin‘ eine Stelle, bei ,The Kiss‘, wenn der fliegende Teppich abhebt – that’s so Brahms!“

„Hercules“-Premiere am 24.3. im Stage Theater Neue Flora. Weitere Informationen: www.stage-entertainment.de