Hamburg. Der Hamburger festigt zwei Abende lang seine Spitzenposition zwischen Entertainer und Songwriter. Schön, selbstironisch – und geplant.
Man kann nicht behaupten, dass Olli Schulz versuchen würde, sich einzuschmeicheln. „Es war scheiße, in Stellingen aufzuwachsen“, ruft er beim ersten von zwei ausverkauften Abenden in der edel-optics.de Arena ins Publikum. Und natürlich holt er damit all die Jugendlichen ab, die darunter leiden, im Vorort zu leben. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass kaum Jugendliche da sind: Schulz ist mittlerweile 50, er hat mit „Vom Rand der Zeit“ jüngst sein achtes Album veröffentlicht, er ist vor allem im Umfeld von Joko und Klaas sowie von Jan Böhmermann medial ultrapräsent. Und sein Publikum ist mit ihm älter, reifer, gesettleter geworden. Kann man da noch mit Stellingen- oder Schnelsen-Bashing punkten?
Schulz kann. Weil er ein Teenager im Körper eines Fiftysomething ist, das macht den jungenhaften Charme dieses Musikers aus. Allerdings weiß er, dass das eine Illusion ist. Und dieses Wissen sorgt für die Tiefe seiner Musik. „So schreibt man seinen Song“ ist einerseits eine schmissige Popnummer mit quiekenden Keyboards und treibender Rhythmusgitarre, auf der anderen Seite aber auch die Erinnerung an die Zeit, als es noch Plattenläden statt Streamingplattformen gab, in denen man seinen Musikgeschmack ausbilden konnte. Die Grundstimmung ist ein halb fröhliches „Weißt du noch?“ Weißt du noch, damals, als wir den Vorort hassten? Und als wir obskure Punkplatten kauften? Ach ja.
Olli Schulz in Hamburg: Der Humor ist in die Zwischenansagen ausgelagert
Musikalisch bewegt sich Schulz sicher in dieser Nostalgieschiene: Praktisch der gesamte Abend ist im gepflegten Songwriter-Sound gehalten, mal mit Schlenkern zu Americana, mal in den Westcoast-Rock, den die vierköpfige Band satt und stilsicher intoniert (und dass der Klang in der Wilhelmsburger Halle oft dumpf versackt, wird diesen ausgefeilten Arrangements kaum gerecht). Es gab einmal eine Zeit, in der Schulz seinen melancholischen Humor auch in andere Genres zu kleiden versuchte, davon ist mittlerweile nur noch der zaghafte Hip-Hop von „Passt schon“ geblieben, Elektronik oder Hardcore sind vollkommen verschwunden.
Was ebenfalls in den Hintergrund getreten ist: Schulz’ Hang zum höheren Blödsinn. Spaßnummern wie „Mach den Bibo“ oder „Bettmensch“ spielt er nicht mehr, wenigstens gibt es im Zugabenblock zu „Die Ankunft der Marsianer“ eine Kissenschlacht, und das obskure Intro zum Fake-Musical „Kommissar Ärmchen“ hat ebenfalls absurde Qualität.
Olli Schulz: Seine Selbstironie ist auch Absicherung gegen Kritik
Davon abgesehen, ist der Humor in die Zwischenansagen ausgelagert. Die sind kürzer gehalten als früher, dafür aber mehr auf den Punkt: Bei „Bessere Version“ beschreibt er, wie ihn Deutschpop-Legende Annette Humpe beim Textentwurf unterstützt habe, „Als Musik noch richtig groß war“ widmet er all den Besuchern, die nur ihrem Partner zuliebe mitgekommen sind. Noch vor einigen Jahren waren die Redebeiträge bei Olli-Schulz-Konzerten gefühlt umfangreicher als die Musik, das ist mittlerweile anders geworden – der Sänger weiß, was er erzählen will, das macht er, ansonsten geht es um Musik. Für die Gags und die Witze hat er sich längst andere Ausspielformate gesucht, Podcasts oder Fernsehshows.
Die Sicherheit, mit der er sich auch in diesen Feldern bewegt, ist ein Hinweis darauf, was für ein guter Entertainer Schulz ist. Bei „Stadtfest in Bonn“, im Original ein Duett mit Ina Müller, holt er sich die zwei Zuschauerinnen Hilke und Shirley auf die Bühne. Und nachdem diese Müllers Part textsicher absolvierten, plaudert er noch kurz, ein schnelles Selfie, dann Verabschiedung – früher hätte er aus diesem Spiel ein minutenlanges Geschäkere gemacht, heute ist es zweckdienlicher Teil einer genau durchkomponierten Show.
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Das funktioniert nicht immer. „Spielerfrau“ spielt er aus dem Publikum heraus, und um diese Szene aufzubauen, imaginiert er einen Dialog mit seinem „Indie-Gewissen“, das ihm vorwirft, seine alten Ideale verraten zu haben. „Wirkt ein bisschen inszeniert, ‘ne?“, ironisiert er die nur halb lustige Idee selbst. Und natürlich ist so eine Selbstironie auch Absicherung gegen Kritik: Das Konzert ist ein Boomervergnügen, weiß, heterosexuell, männlich. Aber Schulz weiß um diese Problematik, dann macht er einen Witz auf eigene Kosten, und dann geht es wieder. Er kann mittlerweile genau einschätzen, wann ein Witz nötig ist und wann nicht, das ist schön.
Es ist nur sehr genau geplant. Dieses gesamte nostalgische, ruhige, melancholische Konzert ist klug durchgeplant, alles passt, stimmig. Wie gesagt, das ist schön. Es ist aber auch ein bisschen langweilig, wie das Aufwachsen im Vorort, im Wissen: Es muss noch was anderes geben. Etwas, das mehr ist als gepflegte Konvention.