Berlin. Der „Lehrerzimmer“-Regisseur İlker Çatak im Abendblatt-Interview über Rassismus, fehlende Feinfühligkeit und seine Liebe zu Hamburg.
İlker Çatak ist nicht nur oscarnominiert und hamburgverliebt, sondern zeigt sich neuerdings auch ausgesprochen politisch. In den letzten Tagen vor der Oscar-Verleihung am 10. März in Los Angeles nutzt der Regisseur von „Das Lehrerzimmer“ die mediale Bühne, die ihm nun zuteil wird, um seinem Ärger Luft zu machen. Denn der 40-Jährige ist besorgt darüber, wie Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande behandelt werden – auch und insbesondere von Presse und Rundfunk.
Vor Oscar-Verleihung: İlker Çatak, wie wichtig ist Ihnen eigentlich der Preis?
Çatak, geboren in Berlin, musste jüngst, in all dem Oscar-Rummel, ein weiteres Mal erleben und sich eingestehen, wie oft er aufgrund seiner Migrationsgeschichte anders behandelt wird als seine Kollegen. „Sandra Hüller, Wim Wenders, ,Das Lehrerzimmer‘“, zählte etwa „Der Spiegel“ die oscarnominierten Deutschen auf. Dabei geht Çataks Film sogar als deutscher Beitrag ins Rennen um den Auslands-Oscar, während Wenders‘ „Perfect Days“ für Japan antritt und Sandra Hüller die Hauptrolle im britischen „The Zone of Interest“ spielt.
Im Interview mit dem Abendblatt erzählt der Regisseur, wieso er jetzt laut sein und Missstände benennen will, warum er zeitweilig deutscher als ein Deutscher gewesen ist und was Hamburg mit Istanbul verbindet.
Herr Çatak, noch vor Kurzem sagten Sie, dass Sie sich nicht gern politisch äußern. Das scheint sich geändert zu haben. In den vergangenen Tagen taten Sie in der Presse und auf Social Media vielfach Ihren Unmut kund. Warum?
Das ist eine berechtigte Frage. Ich habe, glaube ich, viel zu lange nicht wahrhaben wollen, dass man als Person mit Migrationsgeschichte in diesem Land doch einfach oft den Kürzeren zieht. Ich bin immer durchs Leben gegangen in dem Glauben, dass man mit Leistung schon die Anerkennung bekommt, die man verdient. Aber mir wird gerade gezeigt, dass das eben nicht so ist – und dass es diesbezüglich eine große Ignoranz in unseren Medien gibt.
Wenn man sich mal so ein paar Gedanken macht über diese Ignoranz oder Faulheit oder einfach Nachlässigkeit, dann sieht man, dass all das zur Wurzel von Rassismus gehört. Ich habe mich deshalb entschlossen, meinem Unmut öffentlich Luft zu machen.
Nicht nur im oscarnominierten „Das Lehrerzimmer“, sondern auch in früheren Filmen von Ihnen spielen Themen wie Herkunft und Identität eine Rolle. Sie selbst wurden als Enkel türkischer Einwanderer in Berlin geboren. Wie würden Sie Ihre Rassismus-Erfahrungen beschreiben?
Rassismus ist so ein reißerisches und großes Wort, dass man im Grunde erst mal darüber sprechen muss, was es bedeutet und in welchen Facetten Rassismus daherkommen kann. Ich habe weite Strecken meines Lebens hindurch nicht im Ansatz den harten, harschen Rassismus erlebt, den andere Menschen in diesem Land erleben. Aber es sind immer wieder kleine Sticheleien, und die kumulieren.
Wissen Sie, mit der Oscarnominierung übernehme ich für Deutschland eine Verantwortung. „Das Lehrerzimmer“ ist der deutsche Film, der ins Rennen geht. Ich vertrete diesen Film jetzt im Ausland, ich mache diese Ochsentour, ich mache diese Kampagne, ich stelle mein Privatleben hinten an, ich schüttle Hände im Auftrag von Deutschland – weil ich dieses Quasi-Mandat von German Films (deutsche Filmorganisaton, Anm. d. Red.) bekommen habe. In der Berichterstattung werde ich aber nicht als „ein Deutscher“ bezeichnet, sondern als „ein anderer“ abgetan.
Das ist nicht nur verletzend auf einer persönlichen Ebene, sondern auch im größeren Kontext. Ich spreche hier im Namen vieler Menschen mit Migrationsgeschichte, die auf ähnliche Weise vernachlässigt oder ignoriert werden und deren Namen falsch geschrieben werden. Da herrscht eine journalistische Nachlässigkeit, über die ich mich wirklich wundere.
Auch im „Lehrerzimmer“ spielt die Medienlandschaft eine wichtige Rolle: in Form einer unsäglichen Schülerzeitung. Das Thema beschäftigt Sie offenbar schon länger.
Ich verstehe, dass die Medien einen Druck haben, Klicks zu generieren und Headlines zu kreieren, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Trotzdem muss man doch eine journalistische Würde bewahren. Und dann gibt es auch noch diese Deutschlandfixierung. Wir sind Papst, Wir sind Weltmeister, Wir sind Oscar. Unter den Opfern auch Deutsche. Und wenn man schon immer wieder betonen muss, dass die Deutschen Wenders und Hüller im Oscarrennen sind, dann kann man der Vollständigkeit halber doch auch jene Menschen nennen, die genauso deutsch und dabei sind und aber keine typisch deutschen Namen tragen. Wäre doch mal ein willkommener Beitrag zur Vielfalt, auf die wir durchaus stolz sein können.
Wir müssen uns nicht wundern, dass die AfD bei 30 Prozent liegt. Genau dieser unreflektierte nationalistisch-patriotische Ton ist leider auch in der DNA unserer Leitmedien drin, und das kotzt mich einfach an.
Erzeugen die aktuellen Zustimmungswerte für die AfD bei Ihnen ebenfalls eine gewisse Dringlichkeit, jetzt Ihre Stimme in der Öffentlichkeit zu nutzen?
Auf jeden Fall. Sehen Sie, die Nazis sitzen in unseren Parlamenten und stellen wahrscheinlich bald einen Ministerpräsidenten. Wenn wir jetzt nicht alle geschlossen auftreten und uns wirklich an die eigene Nase fassen, sondern als Medienmacherinnen und Medienmacher diesen patriotischen Sprech weiter perpetuieren, dann brauchen wir uns nicht wundern.
„Catak“ oder „Katak“ statt Çatak: Ihr Name wurde in der Presse vielfach falschgeschrieben. Auf Ihrem Instagram-Kanal haben Sie diverse Beispiele dazu gepostet. Wieso beharren Sie so sehr darauf?
Mir geht es hier nicht um Eitelkeiten. Aber mir ist das wichtig, weil ich den Menschen ihre Ignoranz nicht durchgehen lassen will. Wenn Sie Möller heißen, wollen Sie auch nicht Müller genannt werden. Mir geht es darum, ein gegenseitiges Bewusstsein zu schaffen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Die Oscar-Academy in den USA hat mir neulich eine E-Mail geschrieben. Da hieß es: „Kannst du uns bitte eine Audiodatei schicken mit der korrekten Aussprache deines Namens?“ Die bereiten sich vor. Die gehen in diese Verleihung und wissen genau, wie mein Name ausgesprochen wird, weil sie Künstler respektieren. Diese Feinfühligkeit würde ich mir für Deutschland wünschen.
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In Ihrem Film „Das Lehrerzimmer“, der auch autobiografische Erfahrungen wiedergibt, werden gesellschaftliche Konflikte, Fragen und Zuschreibungen im Raum Schule ausgetragen. Sie selbst seien ein „schwieriger Schüler“ gewesen. Inwiefern?
Ich war ein Schüler, der immer wieder angeeckt ist, doch ich konnte es mir leisten, weil ich gute Noten hatte. Meine Eltern haben mir aber ständig – und das ist oft so bei migrantischen Kindern – gesagt: „Du darfst nicht unfreundlich sein.“ Mir wurde das Aufmüpfige ausgetrieben.
Von einem Menschen mit Migrationsgeschichte wird erwartet, dass er nett ist und sich anpasst – und ich habe mich wahnsinnig gut angepasst. Ich habe meine Herkunft irgendwann abgelegt. Ich war deutscher als der Deutsche. Ich war nicht drei Minuten vor einem Treffen am verabredeten Ort, sondern zehn Minuten vorher. Ich habe meine eigene Sprache nicht gesprochen. Zu den ganzen politischen Dingen habe ich geschwiegen und trage deswegen auch Schuld an der Scheiße, in der wir jetzt sitzen.
Apropos politische Dinge: Sie saßen just in der Kurzfilm-Jury der 74. Berlinale. Die größten Schlagzeilen hat das Filmfestival nicht mit den dort gezeigten Filmen, sondern aufgrund seiner Preisverleihungs-Gala gemacht, bei der sich Filmemacher auf der Bühne israelfeindlich äußerten. Wie haben Sie wahrgenommen, was an dem Abend passiert ist?
Was ich der Berlinale gutheißen will, ist, dass sie alle Meinungen zulässt und dass niemand in seiner Rede beschnitten oder zensiert wird. Ich finde, eine Demokratie muss das aushalten und ein demokratisches Festival wie die Berlinale ebenso. Die Berlinale hat aber ein Grundproblem: nämlich dass sie im Vergleich zu anderen internationalen Festivals sehr stark mit der Politik verwoben ist, dass die Kulturstaatsministerin sich dort zeigt, dass das Festival vom Bund finanziert wird. Dadurch kann sich die Berlinale nicht von der Politik freimachen.
Ich möchte jetzt nicht in der Haut von Mariette Rissenbeek oder Carlo Chatrian (die Festival-Intendanz, Anm. d. Red.) stecken. Das ist ein politischer Drahtseilakt, hier alle Meinungen unter einen Hut zu bringen. Und noch bevor man sich mit kühlem Kopf hinsetzen und eine ordentliche Strategie beschließen kann, ist der öffentliche Druck da, und man muss sich verhalten. Das ist, glaube ich, eins der großen Probleme unserer Zeit – dass wir uns immer verhalten müssen. Wir leben in sehr lauten Zeiten. Da ist es nicht immer einfach, sich emotional zu schützen und einen kühlen Kopf zu bewahren.
Ihren Platz in der Kurzfilm-Jury der Berlinale hatten Sie nicht von ungefähr. Mit dem Kurzfilm verbindet Sie einiges – zum Beispiel Ihr erster Oscar. Mit „Sadakat“ haben Sie 2015 den Studenten-Oscar in Gold gewonnen, es war Ihr Abschlussfilm für das Studium an der Hamburg Media School (HMS). Was hatte Sie damals eigentlich nach Hamburg verschlagen?
Ich habe in Istanbul Abitur gemacht, bin dann nach Deutschland zurückgekommen und fühlte mich nicht mehr so richtig wohl in Berlin. Ich habe Istanbul vermisst. Dann habe ich einen Film gemacht, mit dem ich auf dem Kurzfilmfestival in Hamburg war, das war 2007. Und da habe ich gemerkt, wie sehr mich Hamburg an Istanbul erinnert und wie toll ich es da finde. Plötzlich bot es sich an, sich an der HMS zu bewerben. Als sie mich nahmen, war es natürlich ein No-brainer, nach Hamburg zu gehen, weil ich diese Stadt einfach extrem schön finde. Ich mag den Umgang der Menschen miteinander, und ich liebe das Wasser. Es ist für mich eine total inspirierende Stadt. Daher ist es auch kein Zufall, dass ich alle meine Filme dort gedreht habe.
Mein neuer Film ist übrigens auch in Hamburg angesiedelt. Diesmal gehen wir ein kleines filmisches Experiment ein: Im Film geht es um oppositionelle türkische Künstlerinnen und Künstler, die ins Exil gehen – eigentlich ins türkische Exil. Sie kommen aus Ankara, und sie müssen nach Istanbul, aber wir erzählen Berlin als Ankara und Hamburg als Istanbul, mit dem Hafen und all dem Wasser.
Herr Çatak, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Erlauben Sie mir noch eine Frage zum Abschluss: Wie wichtig ist es Ihnen eigentlich, am 10. März den Oscar zu gewinnen?
Mir geht es momentan wirklich um andere Dinge – und die Oscarnominierung verschafft mir eine Aufmerksamkeit, die ich jetzt nutzen möchte, um Verantwortung zu übernehmen.