Hamburg. Der Hamburger, der lange schon in Berlin lebt, erzählt melancholisch und hoffnungsvoll „Vom Rand der Zeit“. Das ist schon gutes Zeug.
Ist jetzt nicht so, dass dieses Resultat längeren künstlerischen Pausierens einen großen Überraschungsmoment bereithielte. Olli Schulz präsentierte beim Konzert in der Großen Freiheit, an einem zugigen, ungemütlichen Spätnovemberabend war‘s, kürzlich schon ein paar neue Nummern. Es war für ältere und neuere (ja, der Fernsehruhm!) Schulz-Anhängerinnen und -Anhänger ein schönes Comeback, gerade auch wegen der Stücke, die sie noch nicht kannten. Da wurde Vorfreude geschürt. Mit seinem neuen Album löst Schulz nun alle Versprechungen ein.
„Vom Rand der Zeit“ ist das erste Schulz-Album seit „Scheiß Leben, gut erzählt“, das 2018 erschien. Der erste Vorbote, ja: man sagt immer noch Single, war parallel zur Konzertreise des Musikers die Komposition „Einfach so“. Ein wunderbares, wehmütiges Lied (schönes Video auch, mit Starpower: Stoppok, Melika Fourotan, Jördis Triebel), das die neue Platte eröffnet. Mit sanften Gitarrenakkorden, ein bisschen Hall, Schulz spricht mehr, als dass er singt. Und dann baut sich der Song auf, Rhythmus, Hymnus, Euphorieschuss. Rauskommen aus dem alten Trott, und Schulz, dessen Poesiefertigkeiten gar nicht einfach so zu umschreiben sind, singt mit Drive und Ansage und Auftrag: „Denn es wird Zeit/Dass unser Herz wieder blüht, einfach so/Ja, es wird Zeit/Dass unser Herz wieder blüht, einfach so“.
Olli Schulz und sein neues Album: Er ist jetzt ganz ausgereift
Es klingt so toll ausgefeilt und doch gar nicht, weder musikalisch noch lyrisch. So, als Paradoxon, ist jenes Schulz-Alltagsdichten dann wohl am besten benannt. Was das neue Album angeht, kommt es einem so vor, als sei der Geschichtenerzähler Schulz (am besten kommt der übrigens im Titelsong zur Geltung, einer traurigen Ballade vom Suff) jetzt ganz ausgereift. 50 ist er geworden im vergangenen Jahr; man ist dann endgültig da angekommen, von wo man auch auf ein paar Niederlagen zurückblickt.
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Gewitzt ist der Songschreiber Olli Schulz immer noch, davon zeugen diesmal besonders „Falsch erzählt“ und „So schreibt man seinen Song“. Das Leben als Song, es spricht ein Mann der Musik, der in genau dieser vermutlich immer noch am ehesten ganz zu Hause ist: „Jeder fällt mal aus dem Rhythmus, und dann ändert sich der Beat/Dann verfusselt sich der Faden, der sich durch dein Leben zieht/Manchmal fehlen einem die Worte, um das alles zu beschreiben/Dann wartet man im Stillen, doch auf einmal hört man Geigen“.
Am ehesten hört man, trotz fröhlicher Beats („Jennys Hundefarm“) und Schnurren aus dem Popbetrieb („Stadtfest in Bonn“, mit Ina Müller), in diesem vielgestaltigen Songreigen eine gewisse grundsätzliche Nachdenklichkeit. Es liegt also nicht nur an den stimmigen Arrangements, sondern auch am Überbau, dass man geneigt ist große Worte zu wählen: Der Musiker Olli Schulz ist so gut wie nie. Seine Schnacks und Fun-Dinger („Mach den Bibo“, „Bettmensch“) hat man immer genossen. Aber im Kern ist der Stellinger immer schon ein ernsthafter Betrachter des eigenen Lebens und das der anderen. Seine Songschreiberkunst auf die Spitze getrieben hat er schon vor vielen Jahren mit „Rückspiegel“, dem epischen Song über Abschied und Neuanfang.
Das neue Album von Olli Schulz: Songwriter-Sensibilität, die die Verbindung zur Welt sucht
Also, „Vom Rand der Zeit“ ist keineswegs der Erstschlag in Sachen Tiefgang. Schulz ist noch mal Vater geworden, sein Vater starb; der Kreislauf des Lebens. Der zentrale Song der neuen Platte heißt „Silvester“, die Bekenntnisse des Erzählers zielen auf das eigene Erleben und suchen dennoch die Verbindung mit der Welt: „Kennst du das auch, das Gefühl tief in der Brust?/Ja, du weißt, es gibt einen Anfang, und du weißt, es gibt einen Schluss/Du holst mich raus aus den Gedanken und sagst: „Los, wir müssen gehen“/Dein Körper ist am Glühen, immer stärker kommen die Wehen/Du bist ‘ne wunderschöne Seele, mein absolutes Glück/Hast mich vor Jahren aufgegabelt, mein Herz zusamm‘ngeflickt/Und wir fahr‘n zum Krankenhaus, durch die Gegend, wo wir wohnen/Fühlst du den Zauber in der Luft? Heute Nacht kommt unser Sohn“.
In mancherlei Hinsicht greift Schulz mit seinem neuen Album den Faden von „Feelings aus der Asche“ wieder auf, dem Album von 2015. Seine Songwriter-Sensibilität hat Schulz damals schon so kultiviert, wie sie einem auch auf „Vom Rand der Zeit“ entgegentritt, der melancholischen und hoffnungsvollen Songsammlung für alle, die ihr Herz an handgemachte, ehrliche Musik verloren haben. Man nannte ihn den Indie-Fips-Asmussen? Ja. Jetzt nennen wir Olli Schulz, für den Augenblick und aus der Mitte der Zeit: den Indie-Reinhard-Mey. Das ist ausdrücklich ein Kompliment.