In der Doku „My Hometown“ übt sich der Musiker in Nostalgieseligkeit. Die Sendung ist bereits jetzt in der ARD-Mediathek zu sehen.
Die Jugend ist, wie eigentlich alle anderen auch, eine absurde Lebensphase. Man verherrlicht sie im Nachhinein nicht selten und denkt an den ganzen Mist, den man damals baute, die altersspezifische Unbedarftheit, nennen wir sie ruhig Unschuld. Der Zurückblickende wundert sich milde, übt sich in Sündenstolz, und neben die Sehnsucht nach dem Verlorenen rückt unweigerlich die Erleichterung, die ganze Angelegenheit unbeschadet hinter sich gelassen zu haben.
Im Falle von Olli Schulz heißt das: raus aus Stellingen. Beziehungsweise zurück nach Stellingen, denn das Prinzip des bei EinsPlus schon seit Längerem laufenden Formats „My Hometown“ ist es, Musiker mit voller Absicht in die totale Nostalgiezone zu schicken. Vielleicht kann man für jene erinnerungsselige Sache niemand Besseren als Schulz, 44, finden.
Er schafft es, in nur einer halben Stunde die Geschichte vom Ich und seiner Umgebung, von der prägenden Kraft der Herkunft ins tiefe, sprudelnde Bad der Selbstironie zu tauchen.
Da ist die Szene, wo er, verfolgt von der unvermeidlichen Handkamera, ins Poseidon-Bad am Olloweg geht. Dort küsste er das erste Mädchen (Claudia!), und dort reichte einem unfassbar wenig, um sich wie im Paradies zu fühlen: „Hier lag man, da hinten gab’s Pommes, dann legte man sich wieder hin – so vergingen die Tage.“
Schulz lebt seit zehn Jahren in Berlin, hat einen ziemlich ungeraden Lebenslauf – später, beim Essen im „Quick-Imbiss“ in Eidelstedt, wird der rhetorisch sehr, sagen wir, hemdsärmelige Unterhaltungskünstler ein flammendes Plädoyer für die Unsteten halten. Und wo einer, der Roadie, Plattenverkäufer, DJ, Türsteher und Sozial- hilfeempfänger war, zu ebenjenem Patchwork-Biografen wurde, davon berichtet dieses Filmchen.
Schule, Wohnsiedlung, Schwimmbad, Hagenbeck, Volksparkstadion, später der Plattenladen, der allerdings schon woanders ist: in der Schanze („Keiner meiner alten Freunde geht da essen, das ist einfach scheiße da“). Die Topografie der frühen Schulzvita ist eng bemessen. Womit er der Norm entspricht, globalisiertes Nomadentum hin oder her: Zumindest seine Generation wuchs noch an einem Ort auf.
Dieser Ort wird nun kritisch gewürdigt, in einer Mischung aus tiefer Heimatverbundenheit und Aura des Entwachsenseins. Die geht von Schulz, der sechs Popalben veröffentlichte und dank „Circus Halli Galli“ mittlerweile über einigen TV-Ruhm verfügt, doch recht deutlich aus – andererseits ist es wohl der ganz normale schaurig-schöne Retro-Blick auf die Stadtperipherie.
Stellingen ist schmucklos, schön und angesagt sind andere Quartiere. „Trist und langweilig“ nennt Schulz gleich am Anfang seiner launigen Sightseeing-Tour den Ort seiner Herkunft. Man musste es sich schönreden, sagt Schulz; um dann doch einzutauchen in die fantastische Welt der Kindheit, die so nirgendwo anders hätte stattfinden können. Aber man sollte sie nie mit zu harmoniesüchtigen Worten ummanteln. Was Schulz auch nicht tut. Das ist es am Ende, was die sonst so leicht in eine triefende Kitschsoße suppende Heimkehr des verlorenen Sohnes delikat macht – Schulz, der Hamburger „mit der großen Fresse“ (Selbstbeschreibung) hat die Authentizität längst zum Prinzip erhoben, und das heißt in diesem Fall, die Kleinbürgerlichkeit Stellingens zu zeigen.
Auf der Suche nach irgendeinem Thrill laufen der junge Olli und seine Freunde manchmal zu den Bahngleisen hoch. Oder auf die Autobahnbrücke. Oder sie zünden Mülltonnen an („Wir haben viel mit Feuer gearbeitet damals“). Für Schulz lauert an jeder Ecke eine Geschichte seiner Kindheit, die behütet war in Stellingen, und dass sich dort übrigens gar nichts verändert hat, das findet Schulz seltsam und beruhigend zugleich.
Bei Musikern und Songtextern – als solcher gehört Schulz auch zur Kategorie trauriger Clown – bietet sich an, die Ortsbegehung mit eigenen Stücken zu hinterlegen. So wird die „My Hometown“-Doku zur reinen Schulz-Landschaft. Und zwar auch, als sich Schulz ein paar Freunde („Von Kevin habe ich mir viel an Schnacks und Attitüde abgeguckt“) mit vor die Kamera holt, sie bleiben nur Staffage.
Rührend allerdings das Wiedersehen mit Herrn Gerhardt, dem Klassenlehrer auf der Gesamtschule, der Schulz einst „entdeckte“. Der rührige Pädagoge bringt zum Treffen im Schulgebäude eine DVD mit, auf die er Schulz’ erste Auftritte im Schulfernsehen gebrannt hat.
Als Teenager-Moderator („Ollis Plattenkiste“) ist Schulz, der Mann des schlechten Geschmacks (Metal und HSV), hier mit Achtziger-Frise zu sehen – ein gefundenes Fressen für einen unernsten Selbstbespiegeler wie ihn, der die Sendung nutzt, um sein immer kurzweiliges Schnacker-Bühnenprogramm weiterzuschreiben.
Bei den Mädchen habe er einst gemerkt, dass man Erfolg hat, wenn man sich selbst nicht ernst nimmt, sagt Schulz hier einmal. Auf der Annahme hat Schulz eine ganze Karriere gebaut. Sie nahm ihren Ausgang in Stellingen.
„My Hometown: Mit Olli Schulz durch Hamburg“ heute, 20.15 Uhr, EinsPlus