Hamburg. Für die US-Pop-Ikone arbeiten Dutzende Produzenten, Toningenieure und Musiker. Dom Rivinius ist der einzige Deutsche. Ein Porträt.

Als US-Superstar Taylor Swift am 4. Februar in der Crypto.com Arena in Los Angeles den Grammy für das beste Album des Jahres – „Midnights“ – entgegennahm, kamen Dom Rivinius im Zuschauerraum die Tränen. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend, so mitgerissen war er von dem Erlebnis im Pop-Glitzer-Kosmos in Kalifornien. Aber dieser Moment, mit Taylor in weißer Gala-Robe mit der goldenen Grammophon-Miniatur in der Hand (eine weitere für „Best Pop Vocal Album“ gab es noch dazu), war auch sein Moment.

„Participating Winner“ steht jetzt auf dem Zertifikat des Hamburger Musikproduzenten, Songschreibers und Schlagzeugers aus Barmbek-Süd. „Teilhabender Grammy-Gewinner“: Auf den drei Songs „Lavender Haze“, „Question ...?“ und „Vigilante Shit“ ist auch Dom Rivinius zu hören, er steuerte die Drumtracks bei und war der einzige Deutsche, der an der Entstehung eines weiteren gigantischen Meilensteins von Taylor Swift beteiligt war: Platz eins in den USA, in Großbritannien, in Deutschland, Platin in einem Dutzend weiterer Länder, das meistgestreamte Album an einem Tag, Rekorde, Rekorde.

Taylor Swift: Wie Teile ihres Albums „Midnights“ in Barmbek entstanden

Wir treffen Dom Rivinius in den legendären Boogie Park Studios in Ottensen, wo zahlreiche Hits von Udo Lindenberg, Jan Delay und Helene Fischer entstanden sind. Rivinius richtet sich derzeit dort ein, seit er 2023 vom pfälzischen Pirmasens in den Norden zog: „Ich war mitten auf dem Land und dachte mir, jetzt reicht es, du musst in die Stadt. Hamburg war die einzige Antwort auf die Frage, welche Metropole ich fühle. Ich habe hier einige Freunde und finde die Stadt traumhaft schön.“

Aufgewachsen ist Rivinius, Jahrgang 1990, in einem Dorf im Saarland in einem musikalischen Elternhaus, vor dem ersten Wort klimperte er schon auf dem Klavier und begann mit zehn Jahren mit dem Schlagzeugspiel. „Mit 16 habe ich dann für mich festgelegt: Ich werde Profi-Schlagzeuger“. Sowohl autodidaktisch als auch bei zahlreichen Lehrern und Workshops im ganzen Land, aber nicht unbedingt bei drei Semestern Musikhochschule schliff er sein Talent und sammelte Kontakte. Bis 2016 spielte er in über 50 Bands als fester Drummer oder bezahlter Tourmusiker, „quer durch alle Genres von Jazz über Reggae bis Punk, bis ich entschieden habe: Ich muss runter von der Bühne und mehr in den kreativen Bereich dahinter.“

Pop-Produzent Dom Rivinius: Der berühmte Toningenieur Ken Lewis wird sein Mentor und Freund

Aber trotz der jahrelangen Erfahrungen on the road und in Studios war der Wechsel in das Produzenten-Segment nicht einfach: „Die Netzwerke von Tourmusikern auf der einen und Sessionmusikern und Produzenten auf der anderen Seite sind zwei völlig unterschiedliche Gruppen von Menschen und kennen sich gegenseitig kaum“, stellte Rivinius schnell fest. Trotzdem schaffte er es 2018, zu einem exklusiven Workshop mit dem profilierten US-Produzenten und Toningenieur-Guru Ken Lewis, beteiligt an Hits wie „Uptown Funk“ von Mark Ronson und Bruno Mars oder „Believe Me“ von Drake, nach Berlin eingeladen zu werden.

„Nach dem Workshop saß ich mit Ken auf der Dachterrasse und philosophierte über Musik und das Leben außerhalb der Lehrer-Schüler-Position.“ Sie freundeten sich an, hielten Kontakt via Skype und nachdem Rivinius Ken Lewis beim Aufbau einer Webseite half, „fing er an, mir Sachen zuzuschustern wie die Frage nach einem originellen Schlagzeugpart, um zu testen, ob ich zu gebrauchen bin“. Offensichtlich war er das, und arbeitete Anfang 2020 als Assistent von Ken Lewis in New York und erlebte direkt mit, „wie es auf der obersten Ebene gemacht wird. Ihm habe ich viel zu verdanken.“

Taylor Swift mit dem Grammy für das „Album des Jahres“ im Februar 2024 in Los Angeles.
Taylor Swift mit dem Grammy für das „Album des Jahres“ im Februar 2024 in Los Angeles. © Getty Images for The Recording Academy | Kevin Winter

Pop-Produzent Dom Rivinius: Mit Arbeiten für Eminem und Alicia Keys gelingt der Start

Im September 2020 arbeiteten sie am orchestralen Teil, Bläsern und Percussion von Eminems „Alfred’s Theme“. Der erste große Eintrag in das Portfolio des Producing-Neulings, einer der nächsten war Alicia Keys. Die Vorstellung, dass Dom Rivinius am Rechner oder am Mischpult im Studio sitzt und die Superstars durch die Tür kommen, ist aber leider nur Pop-Romantik. Gearbeitet wird „remote“, die ausführenden Produzenten schicken Aufträge an Co-Produzenten, Arrangeure, Instrumentalisten, Klangbastel-Spezialisten für Effekte, Beats, Synthies, alles. Bis zu 50 Gewerke arbeiten so an den Songs eines Albums und schicken sich Dateien hin und her, vergleichbar mit der Automobil-Zulieferindustrie, die diverse Einzelkomponenten vom Türscharnier bis zum Gurtschloss zur Endmontage in das Stammwerk schicken.

Bei den großen Stars des Pops war das schon immer so, in den 1960er- und 1970er-Jahren waren es Studiomusiker wie die „Wrecking Crew“ aus 30 Profis wie Bassistin Carol Kaye, Gitarrist Glen Campbell, Schlagzeuger Hal Blaine oder Percussionist Sonny Bono, die in Los Angeles Tausende Songs und ungezählte Hits für Frank Sinatra, Ike & Tina Turner, The Byrds, Dean Martin oder Petula Clark aufnahmen. Oder die „Funk Brothers“, die legendäre Studioband des Motown-Labels. Das digitale Musikzeitalter funktioniert ähnlich, nur über weitere Entfernungen und noch kleinteiliger und spezialisierter.

Pop-Produzent Dom Rivinius: 16 Stunden schraubt er an einem Snaredrum-Sound

So beauftragte Jack Antonoff, unfassbar erfolgreicher Produzent von Taylor Swift, Lana Del Rey, Florence + The Machine und St. Vincent, Ken Lewis und sein Team mit diversen gewünschten Sounds. Kens Drum-Spezialist Dom Rivinius sollte unter anderem eine für den Laien ziemlich simple Snaredrum-Spur entwickeln. „Produzenten wollen ganz bestimmte Sounds, oder besser gesagt Gefühle. Diesen Wünschen entgegenzukommen, ist eine Mischung aus Erfahrung, Intuition und chirurgischer Arbeit.“ 16 Stunden arbeitete Rivinius an dem vermeintlich simplen „Piff-Paff“, steuerte jeweils unterschiedliche Bässe, Mitten, Höhen, Effekte für zwei Kanäle aus. Für welche Künstlerin oder Band er in dem Moment arbeitete, wurde ihm nicht mitgeteilt. Kontakte gab es nur zu dem ausführenden Produzenten. Ob Rivinius zur nächsten Single von Lana Del Rey oder zu einem weiteren „Minions“-Soundtrack beisteuerte, erfuhr er erst am Veröffentlichungstag der Lieder, damit vorher nichts an die Öffentlichkeit dringen konnte.

Entsprechend fiel Rivinius fast in Ohnmacht, als Taylor Swifts Album „Midnights“ veröffentlicht wurde. „Das Endprodukt zu hören, war völlig abgefahren. Drei Songs von Taylor Swift, ein absoluter Homerun. Das Geld ist nicht das Wichtigste, das sage ich nicht aus Idealismus. Die Türen, die eine Taylor Swift öffnet, dafür würde ich sogar zahlen.“ Über seine Vergütung spricht Rivinius nicht: Branchendiskretion. Aber es ist in diesem Geschäftsbereich üblich, dass (als Faustregel mit vielen Ausnahmen) nur die erste Reihe des Kernteams mit Künstlerin, ausführenden Produzenten und Songschreibern an den Verkäufen und Streams von Songs und Alben prozentual beteiligt sind. Alle weiteren dürften für jeden Auftrag einzeln und jeweils individuell ausgehandelt bezahlt werden.

Dom Rivinius in den Boogie Park Studios in Ottensen: Hier entstanden zahllose Hits von Jan Delay, Udo Lindenberg und Helene Fischer. Rivinius hingegen konzentriert sich auf die großen Popstars in den USA und in Südkorea.
Dom Rivinius in den Boogie Park Studios in Ottensen: Hier entstanden zahllose Hits von Jan Delay, Udo Lindenberg und Helene Fischer. Rivinius hingegen konzentriert sich auf die großen Popstars in den USA und in Südkorea. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Nicht nur Taylor Swift: Auch die großen K-Pop-Stars klopfen bei Dom Rivinius bereits an

In Hamburg will Dom Rivinius jetzt die nächsten großen Karriereschritte gehen, um sich als Produzent zu etablieren. Seine Ausrichtung bleibt international und fokussiert auf die großen US-Stars – und auf Südkorea. Das Land hat seine Popkultur in den vergangenen zwei Jahrzehnten ebenso industriell aufgebaut und perfektioniert wie den Automobilbau, monatlich rollen neue, perfekt tanzende und singende Gruppen von den Bändern, weltweit vergöttert und gestreamt. Rivinius hat auch dort schon seine Spuren hinterlassen mit seiner Arbeit für Superstars wie BTS, The Boyz und U-Know. „Die verlangen auf jede Mail eine Rückantwort in spätestens 90 Minuten. Korea braucht man mit Themen wie Work-Life-Balance gar nicht zu kommen.“

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Aber Dom Rivinius sieht entspannt aus, wie er vor der Reglerwüste der Mischpulte im Hamburger Boogie Park sitzt. Der scherzhafte Hinweis, dass er als Schlagzeuger bei den drei doch sehr minimalistischen Songs von Taylor Swift wohl unterfordert wäre, nimmt er einem nicht krumm: „Hey, ich kann dir auch zwei Stunden Metal reinballern, kein Problem, hab ich schon gemacht. Die vermeintlich einfachen Dinge im Pop sind die, die am erfolgreichsten sind – und die härteste Arbeit.“