Hamburg. Himmelsbilder, die verblüffen: Werke des Hamburger Malers sind in der Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in der Kunsthalle zu sehen.
Im zweiten Teil der Ausstellung „Kunst für eine neue Zeit“ in der Hamburger Kunsthalle ist ein echter Seelenverwandter von Caspar David Friedrich zu entdecken: der Hamburger Künstler Jochen Hein. Er ist mit zwei „Himmel“-Bildern vertreten, vor denen man einfach nur staunend steht und sich fragt: Kann das wirklich gemalt sein, und wie?
Bisher hielt der Maler es gut unter Verschluss, wie seine Bilder entstehen. Umso reizvoller ist daher ein Besuch in seinem Atelier in Hohenfelde. In einem Hinterhof am Mühlendamm, fünf Gehminuten von seiner Wohnung entfernt, arbeitet Jochen Hein seit 2001. Die beiden großen Räume mit weißen Wänden, an denen mehrere Bilder aus verschiedenen Schaffensphasen hängen oder auf der Erde lehnen, wirken auf den ersten Blick wie eine Galerie. Besonders sticht ein mehrere Meter fassendes Bild an der rechten Wand ins Auge: eine gigantische, ungewöhnlich finstere Eisgebirgslandschaft, zu der der Künstler während einer Antarktisreise inspiriert wurde.
Eine schwarze Discokugel hängt von der Decke („als Mahnung des Todes“, so Hein). Aus einer Musikanlage, die in einer Sofaecke neben dem Eingang steht, tönt leise Musik von Lou Reed. Die lange, mittig platzierte Tafel mit Bierbänken und der graue Waschbetonboden sind übersät mit Farbklecksen. Ebenso ist es Heins schwarze Kluft aus Sweatshirt, Stoffhose und Turnschuhen; nur die dicke schwarze Brille, hinter der freundliche Augen sitzen, ist unbefleckt. „Wasser oder Cola?“, lautet die Eingangsfrage. Eine Partie Schach oder Tischkickern hätte es auch sein können. Beides steht zur Zerstreuung bereit. Doch es geht ja hier in erster Linie ums Arbeiten.
Caspar David Friedrich: Die Magie des Farbewerfens – zu Besuch im Atelier von Jochen Hein
„Normalerweise liegen überall auf dem Boden Leinwände, an denen ich parallel male“, erzählt Hein und wandert dabei durch sein Atelier. Es komme schon vor, dass er mit ein und demselben Pinsel über drei verschiedene Bilder gehe, „wenn es farblich passt“, sagt er lachend. An einer Station bleibt der Maler stehen: ein Tisch, auf dem eine nackte weiße Leinwand liegt, daneben ein Eimer mir Acrylgrundierung. Hier entsteht das, was Heins Bildern den besonderen magischen Touch gibt: „Indem ich verschieden viele Schichten der Grundierung auf Baumwolle oder Holz auftrage, entsteht die jeweilige Struktur, auf die die Farben dann fließen.“
Und auch, wie Hein die Acryltuschen aufträgt, ist speziell. Er demonstriert es anhand einer Parklandschaft, an der er gerade arbeitet: Der Künstler nimmt das Bild von der Staffelei und legt es auf den Boden. Dann beugt er sich darüber und wirft das zuvor angemischte Gelb und Grün mit einem langstieligen, mittelbreiten Pinsel aus dem Baumarkt an bestimmte Stellen. Nach einer Weile sprüht Hein Wassernebel darauf und hebt das Bild in die Schräge, um den Farbverlauf zu steuern. Anschließend wird mit einem Küchentuch mal hier, mal dort getupft und mit dem Pinselgriff vereinzelt nachgezogen. Wenn ein Pigment gar nicht gefällt, wird es mit einem kleineren Pinsel entfernt. „Der Zufall spielt dabei eine große Rolle. Und der ist mal gut und mal schlecht“, sagt Hein lakonisch.
Ebenso wie der Maler Friedrich ist auch Hein ein Mann von der Küste
Auf diese Weise entstehen Blätter, die sich im Wind wiegen, Wellen, die sich kräuseln. Oder eben dunkle, gewitterschwere Regenwolken, die sich gerade vor die Sonne schieben, wie auf einem der „Himmel“-Bilder in der Ausstellung (der Preis dafür ist übrigens fünfstellig). Jochen Hein, Jahrgang 1960, ist, ebenso wie der Greifswalder Friedrich, ein Mann von der Küste. 1960 in Husum geboren und aufgewachsen, fuhr er oft mit seinem Vater aufs Meer. Und doch ist er wasserscheu geblieben und malt eher die „Kochende See“, als sich in sie hineinzustürzen. Das Meer, der weite nordische Himmel, das flache Land prägen ihn nach wie vor. „Als Maler beschäftige ich mich mit Landschaften, die mich schon als Kind abgeholt haben. Es reizt mich, im Vertrauten das Fremde zu entdecken oder auch im Fremden das Fremde, wie etwa während meiner Reisen zu den Shetlandinseln oder in die Antarktis.“
Landschaft als Sprache. Das Schauen sei elementarer als das Tun. Darum faszinieren ihn auch gerade die Ölskizzen von Caspar David Friedrich, in denen dieser seine momentanen Eindrücke festhielt (was Hein mit seinem Smartphone macht). Und ebenso wie Friedrich, der aus diesen Eindrücken anschließend im Atelier seine stimmungsreichen Fantasie-Landschaften komponierte, setzt auch Hein seine Bilder zusammen; allerdings nicht, um etwas hinzuzufügen, sondern um gerade die flüchtige Impression herauszuarbeiten.
Genau verorten lassen sich die einzelnen Motive daher nicht. Sie sind vielmehr ein ästhetisches Konglomerat von Eindrücken, die beim Maler bestimmte Emotionen ausgelöst haben. Als Betrachter meint man, das auf der Leinwand Abgebildete so schon einmal gesehen zu haben, man fühlt sich an einen sommerlichen Waldtag oder das sattgrüne Gras am Ufer eines Sees erinnert. „Die Arbeit, die ich zu Beginn in die Struktur der Bilder stecke, sorgt dafür, dass sie am Ende diese Frische und Lebendigkeit haben, die die Betrachter mit der Wirklichkeit verbinden“, bringt es Hein auf den Punkt. Oft stehe er selbst vor der Staffelei und staune: „Verdammt, wie ist das jetzt passiert? Das ist der Moment der Kunst: Wenn man den Vorhang selbst nicht mehr lüften kann.“
Wie Caspar David Friedrich: Mit seinen „Himmel“-Bildern verlässt der Künstler altbekannte Wege
Hier im Hohenfelder Atelier hat auch Markus Bertsch, der Kurator der Friedrich-Ausstellung, gesessen und darüber gegrübelt, welche Bilder perfekt in die Galerie der Gegenwart passen könnten. Er hätte sich auch einfach aus der Museumssammlung bedienen können: Die beherbergt bereits das Gemälde „Gras“ von 1998, und das hing auch schon mal im Friedrich-Saal, zusammen mit dem großen „Wanderer“ und dem „Eismeer“. Dass der Künstler nach unzähligen Seestücken altbekannte Wege verlässt und sich nur auf den Blick nach oben konzentriert, fand Bertsch so bemerkenswert, dass er sich neben dem bestehenden „Himmel“ noch einen zweiten, größeren in der Ausstellung vorstellen konnte.
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Den wollte Hein in relativ sportlicher Zeit auf die Welt bringen. Doch der Malfluss, den es dazu braucht, lässt sich nicht auf Knopfdruck einschalten. „Ich bin der beste Mensch, wenn ich jeden Tag eine Stunde Flow habe. Aber das kann manchmal mehrere Monate dauern, bis der sich einstellt.“ Um sich in diesen Zustand zu bringen, muss Hein in seinem Atelier sein. Nachmittags um vier beginnt der kreative Prozess, abends um acht ist Schluss. Außer, es steht ein dringender Auftrag an. Vorher verbringt er Zeit mit der Familie und organisiert sein Leben, fährt in den Baumarkt, schreibt E-Mails, arbeitet mit an der Kataloggestaltung, tauscht sich mit seinen Galeristen Commeter in Hamburg und Thomas Fuchs in Stuttgart aus und plant seine nächsten Ausstellungen. Im Juli geht es in den Kunstverein Niebüll, 2025 steht eine Einzelausstellung im Museum Kunst der Westküste auf Föhr an.
Während sich die Black Keys mit Element of Crime als Begleitmelodie zum Atelierbesuch die Klinke geben, braucht der Maler bei der Arbeit selbst keine Musik. Aber er habe vor Kurzem Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ als Hörbuch gehört, darin habe er viele Parallelen zu seiner Kunst entdeckt. „Ich sehe ein Bild und verknüpfe meine eigenen Erinnerungen damit. In diesem Moment wird die Welt erst wahr.“