Hamburg. Der Hamburger ist ins ewige Eis gereist. Was er dort sah, hat ihn „umgehauen“. Jetzt zeigt er seine Bilder er in der Galerie Commeter.

Eis und Weiß – die vermutlich gängigste Assoziation in Bezug auf die Antarktis. Eine Region, die niemandes Territorium ist. Die den Menschen noch nie gebraucht hat und auch nie haben wollen wird. Und in die sich doch immer wieder Forscher und Touristen vorwagen, um Zeugen dieser unwirklichen Welt zu werden. In der Galerie Commeter sehen wir die Antarktis nun durch die Augen von Jochen Hein. Und dort ist es erstaunlicherweise ziemlich finster.

Ein riesiger, flacher Eisblock treibt in schwarzer See; einige wenige Sonnenstrahlen schaffen den Weg durch dichte Wolken und erzeugen Silberstreifen auf der Oberfläche. Die beständigen null Grad an Bord des Expeditionskreuzfahrtschiffes, das direkt auf das Eis zuzusteuern scheint, sind förmlich spürbar. Nah am Ufer werfen riesig aufragende, schroffe Felsformationen ihre dunklen Schatten in schneeverwehte Täler. Kein Mensch zu sehen, kein Wal, nicht einmal ein Pinguin.

Nach einem Grönland-Urlaub sei es sein „unabwendbarer Wunsch“ gewesen, die antarktische Halbinsel zu bereisen, so der Hamburger Maler. „Es hat mich komplett umgehauen. Als wäre das Himalaya-Gebirge auf fünftausend Meter geflutet worden, und man führe mit dem Schiff dort hinein. Ich hatte es mir doch etwas dezenter vorgestellt.“ Wie sollte er diese gewaltige Kulisse aus Eis und Schnee auf die Leinwand bringen?

Die tosende See ist dem wasserscheuen Maler vertraut

Als Kind von der Küste – 1960 in Husum geboren und dort aufgewachsen – kennt er sich natürlich mit Meer und Himmel aus. Die tosende See ist dem (dennoch wasserscheuen) Maler vertraut. So sehr, dass es ihn in seinen Bildern immer wieder reizt, im Vertrauten das Fremde zu entdecken, den Betrachter in die Irre zu führen, ihn optisch zu täuschen, um die Dinge des Daseins zu hinterfragen. Was sehen wir, und was glauben wir, darin zu erkennen?

Mit „Antarctica“ hat Jochen Hein im wahrsten Sinne des Wortes Neuland betreten. Bei den Acrylfarben experimentierte er mit Schwarz, Blau und Ultramarin; so entstanden die gräulichen Felstöne, die Schatten, die dunkle Meeresoberfläche, mal auf Holz, mal auf Baumwolle. Und umso heller tritt darin das sparsam eingesetzte Weiß der Bergkuppen oder der im Wasser schwimmenden Eisstücke hervor. Die zerklüftete Küste, die sich abgrundtiefschwarz im Wasser spiegelt, könnte einem Horrorfilm entsprungen sein; ein Hauch puderzuckriger Schnee legt sich darüber. In der Dunkelheit ist Licht.

Bis er den stimmigen Klang von hell und dunkel, der Kälte und des Ortes hatte, habe es eine Weile gedauert, sagt Hein. „Aber dann ging alles ganz schnell.“ Auch dank des Lockdowns. Kaum von der Expedition zurückgekehrt, brach das Ausstellungsgeschäft weg. „Alles war auf Pause gedrückt. Ich konnte und musste mich voll auf dieses Thema konzentrieren, dem Malfluss folgen. Ein Bild öffnete die Tür zu weiteren Welten. So ist in relativ kurzer Zeit eine ganze Ausstellung über die Antarktis entstanden.“

Bei den Acrylfarben experimentierte Jochen Hein mit Schwarz, Blau und Ultramarin.
Bei den Acrylfarben experimentierte Jochen Hein mit Schwarz, Blau und Ultramarin. © Jochen Hein

Genau verorten lassen sich die einzelnen Motive nicht. Sie sind vielmehr ein ästhetisches Konglomerat von Eindrücken während der Fahrt, die beim Maler bestimmte Emotionen ausgelöst haben. Und doch gibt es beim Betrachten der Bilder wieder den typischen Hein-Effekt: Man glaubt, man habe das alles schon mal so gesehen. In jedem Fall erzeugen die Bilder eine intensive Spannung, ganz gleich ob sie nun von den Shetlandinseln oder der Nordsee inspiriert wurden.

Über seine Technik schweig sich Hein aus

In dem Fotobildband „Reflexion“ kann man dem Meister des „metaphorischen Spaziergangs“ ein kleines bisschen auf die Schliche kommen. Wenn an seine Gemälde herangezoomt wird, dann ist der Horizont ein Pinselstrich, dann sind die Wolken mit einem Lappen verwischt, dann löst sich das Meer in seine winzigen Farbmoleküle auf. Über seine Technik schweigt sich Hein gern aus, nur so viel: „Das Sehen ist wichtiger als das Tun. Zu erkennen, was gerade auf der Leinwand passiert, und es dann einfach geschehen lassen.“

Durch Oberlicht und gezielt gesetzte Scheinwerfer erzeugen Heins Bilder in den musealen Räumen der Galerie noch einmal ein ganz eigenes Lichtempfinden, „ganz anders als auf dem Schiff“.

So richtig kann man sich den Maler nicht vorstellen inmitten von Wissenschaftlern, die sich enthusiastisch über Naturphänomene austauschen. Ob er denn nicht mehr Ruhe bräuchte, um seine Eindrücke abzuspeichern? „Das Naturspektakel hat alle baff gemacht. Es war meistens ziemlich still an Deck. Und wenn, dann haben die Forscher Französisch miteinander gesprochen, was ich nicht verstehe. Und ab einem gewissen Moment blende ich alles andere ohnehin aus. Wenn ich alles intensiv Erlebte mit anderen Menschen teilen würde, müsste ich nicht mehr malen. Das wäre schade.“ In der Tat.

„Jochen Hein – Antarctica“ bis 15.10. in der Galerie Commeter (U/S Jungfernstieg), Bergstraße 11, Di–Fr 11.00–18.00, Sa 11.00–16.00, Eintritt frei, www.commeter.de Katalog „Jochen Hein. Reflexion“, erschienen bei Hatje Cantz, 48,- Euro