Hamburg. Beauftragter des Senats plädiert etwa für ein Jugendwerk Hamburg-Israel. Warum er den FC St. Pauli als „vorbildliches Beispiel“ sieht.

„Seit dem Holocaust sind Juden in Deutschland nicht mehr in so großer Gefahr gewesen wie heute“ – zu dieser Einschätzung kam vor Kurzem der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober auf Israel haben antisemitische Straftaten, Hass und Hetze gegen Menschen jüdischen Glaubens wie berichtet auch in Hamburg zugenommen.

Die jüdische Gemeinde und jüdische Vereine in der Hansestadt sehen sich „mit erhöhten Sicherheitsauflagen und Schutzmaßnahmen konfrontiert“, sagt der Hamburger Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel. „Einige Einrichtungen sind nur eingeschränkt zugänglich.“ Er sei in den vergangenen Wochen immer wieder gefragt worden, wie man gegen den erstarkenden Antisemitismus vorgehen könne. Fünf Maßnahmen, die städtische und staatliche Institutionen umsetzen könnten, halte er für besonders geeignet, sagt Hensel.

Hensel: Hamburgs Schulen und Hochschulen sollen IHRA-Definition umsetzen

Alle Hochschulen und Schulen der Hansestadt sollten sich zu einer klaren Begriffsbestimmung von Antisemitismus bekennen und ihr Handeln daran ausrichten. Hensel plädiert für eine Orientierung an der nicht rechtsverbindlichen Arbeitsdefinition der von 35 Staaten getragenen International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Nur durch einen einheitlichen Standard könnten die verschiedenen Formen des Antisemitismus erkannt, benannt und bekämpft werden, sagt er. „Hätte es eine solche Definition und die Selbstverpflichtung gegeben, dieser konsequent zu folgen, wäre es verhindert worden, dass zwei für die Darstellung von Jüdinnen und Juden als Schweine Verantwortliche als Gastprofessoren an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) engagiert wurden.“

Hensel meint den Fall von Reza Afisina und Iswanto Hartono. Die Mitglieder des umstrittenen Kunstkollektivs Ruangrupa waren als solche Kuratoren der Weltkunstaustellung documenta im vergangenen Jahr in Kassel und wegen zahlreicher antisemitischer Bezüge in den von ihnen ausgewählten Werken heftig kritisiert worden. Eine Umsetzung der IHRA-Definition würde ein klares Signal an alle Jüdinnen und Juden senden, dass sie an Hamburger Bildungsinstitutionen, Hochschulen und öffentlichen Schulen willkommen seien und sich keine Sorgen um ihre Sicherheit machen müssen, sagt Hensel. Zudem wäre ein Bekenntnis zur IHRA-Definition „ein wichtiges Mittel, um endlich eine umfassende und kritische Auseinandersetzung mit Antisemitismus innerhalb der genannten Bildungsinstitutionen anzustoßen.“

Antisemitismusbeauftragter: Jugendaustausch zwischen Hamburg und Israel fördern

Hensel plädiert zudem dafür, ein Jugendwerk Hamburg-Israel ins Leben zu rufen, das den Austausch zwischen der Hansestadt und dem jüdischen Staat fördert. „Eine finanzielle und organisatorische Förderung könnte zum Beispiel daraus bestehen, dass ein Verein, ein Verband oder eine Schulklasse eine Unterstützung für alle Jugendlichen erhält, die nach Israel reisen, sei es für sportliche Aktivitäten, zivilgesellschaftliches Engagement oder im Rahmen von Umweltschutzprojekten.“ Ein solches Programm wäre auch ein „sozialpolitisches Zeichen der Stadt, dass es gewünscht ist, dass diese Begegnung stattfindet und gleichzeitig jede und jeder in unserer Stadt die Möglichkeit hat, an einem solchen Austausch teilzunehmen“.

Mit Blick auf die sehr angespannte Lage in Nahost sei es „besonders wichtig, Jugendliche als Vermittler in eskalierenden Konflikten zu fördern und Vorurteilen so entgegenzuwirken“, sagt Hensel. „Der Kontakt und Austausch mit arabischen Jugendlichen in Israel, aber auch die vertiefende Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt im Rahmen eines Austauschs können dazu beitragen, falsche Vorstellungen zu korrigieren und israelbezogenen Antisemitismus zu bekämpfen.“

Hensel: Umgang mit Antisemitimus in Lehrerausbildung und Lehrplänen thematisieren

Ginge es nach Hensel, wären „antisemitismuskritische Lehrinhalte“ ein verpflichtender Teil der Lehrerausbildung in Hamburg und fänden Eingang in die Lehrpläne der Hamburger Schulen. Seit dem 7. Oktober hätten ihn vermehrt „drängende Anfragen“ zum Umgang mit Antisemitismus an Hamburger Schulen erreicht, sagt Hensel. Er habe sich auch im persönlichen Kontakt mit Lehrenden und mit Schülerinnen und Schülern ein Bild von der „erschreckenden Lage an den Schulen“ machen können. „Oft fühlen sich die Lehrenden mit der komplexen Gemengelage des Nahostkonflikts und dem weitreichenden Themenfeld Antisemitismus überfordert.“ Auch das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung komme zu dieser Einschätzung.

Es müsse sichergestellt werden, dass angehende Lehrer sich verpflichtend mit Antisemitismus in seiner Entstehung, Wirkungsweise und seinen Erscheinungsformen auseinandersetzten. Die Lehrpläne der Schulen sollten „unbedingt um eine solche verpflichtende Auseinandersetzung ergänzt werden“, fordert Hensel.

FC St. Pauli ein „vorbildliches Beispiel“ für Engagement gegen Antisemitismus

Hamburger Institutionen sollten zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus unterstützen, sagt Hensel. Ein „vorbildliches Beispiel“ sei der FC St. Pauli. Der Verein hatte die IHRA-Definition schon vor zwei Jahren in seiner Satzung festgeschrieben und vor Kurzem in einer Mitgliederversammlung bestätigt. „Die Maßnahme hat dazu geführt, dass es im Verein ein kritisches Bewusstsein für antisemitische Vorteile und Stereotype gibt“, sagt Hensel. „Gleichzeitig verschafft dies dem Verband die notwendigen Handlungsoptionen, um aktiv gegen antisemitische Ausfälle von einzelnen Fans oder Fangruppen vorzugehen und sendet ein klares Signal an jüdische Fans und Spieler, dass sie in diesem Verein willkommen sind.“ Er hoffe, dass sich viele Verbände und Vereine in Hamburg ein Beispiel am FC St. Pauli nehmen, sagt Hamburgs Antisemitismusbeauftragter.

Hensel wünscht sich Solidarität mit allen Jüdinnen und Juden in Hamburg

„Es ist von essenzieller Bedeutung, dass wir uns als Gesellschaft bewusst machen, dass es nicht normal ist, dass Menschen allein aufgrund ihrer Religionsausübung oder ihre Zugehörigkeit zum jüdischen Volk geschützt werden müssen“, sagt Hensel mit Verweis auf die staatliche Bewachung jüdischer Einrichtungen in Hamburg. Dieser Schutz sei leider weiterhin nötig. „Gleichzeitig dürfen wir nie akzeptieren, dass Antisemitismus dazu führt, dass jüdisches Leben hinter verschlossenen Türen stattfindet.“

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Er danke sehr herzlich alle jenen Menschen in Hamburg, die sich in den vergangenen Wochen solidarisch gezeigt hätten. „Sei es, dass sie ihren Nachbarn Mut und Anteilnahme zugesprochen haben, Briefe und Karten an die Jüdische Gemeinde gesendet oder einfach nur ein Wort des Trostes gefunden haben; sei es, dass sie sich nun verstärkt in der Antisemitismusprävention engagieren wollen.“ Diese „deutlichen Zeichen der Solidarität geben Hoffnung auf ein zukünftiges Miteinander“, so der Antisemitismusbeauftragte.

Die Hamburger Stadtgesellschaft, die Politik, die Hamburger Polizei und die Hamburger Verwaltung hätten dafür gesorgt, dass das Ausmaß des Antisemitismus in Hamburg weit geringer ausfalle als in vielen anderen europäischen und deutschen Städten. Es sei „ein starkes Zeichen für unsere Stadt, dass die jüdischen Kulturtage, das öffentliche Lichtentzünden an Chanukka sowie viele andere jüdische Veranstaltungen in den letzten Wochen und Monaten stattfinden und viele Menschen erreichen konnten“.