Berlin. Die in der Hansestadt lebende Filmemacherin Farahnaz Sharifi zeichnet in „My Stolen Planet“ ein intimes Bild ihrer Heimat Iran.
„Als ob sie uns etwas gestohlen hätten, ein Leben, das wir verdient hätten zu leben“, so befindet Farahnaz Sharifi über ihre Heimat Iran, wo Kunst und Leben von Zensur und durch Unterdrückung geprägt sind. Die Regisseurin wohnt und arbeitet daher in Hamburg, in der Hansestadt vollendete sie ihre jüngste, autobiografische Dokumentation „My Stolen Planet“ (persischer Originaltitel: „Sayyareye dozdide shodeye man“), die am Mittwoch ihre Premiere auf der 74. Berlinale feierte.
„Wir hatten fünf, sechs Minuten Standing Ovations“, berichtet die Regisseurin euphorisiert. „Es war unglaublich. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich meinen Film hier zeigen kann. Ich habe die Berlinale immer geliebt.“ Der in der Sektion Panorama programmierte „My Stolen Planet“ geht ins Rennen für den Publikums- und den Dokumentarfilmpreis des Festivals.
Berlinale: Iranische Regisseurin zeigt auf dem Festival „ihr“ Iran
„My Stolen Planet“ ist eine Kompilation aus Filmausschnitten und Handyclips, die Sharifis Iran nachzeichnen. Das Videomaterial hat die Regisseurin vielfach selbst gedreht, aber auch von verschiedenen ihr teils fremden Menschen erworben. In Tagebuchform erzählt sie von Momenten des Widerstands und der Aufruhr, gleichermaßen jedoch von solchen der Freude und des Friedens. Unzähmbare innere Freiheit verspricht auch in härtesten Zeiten glückliche Augenblicke, wenn auch lediglich im geschützten privaten Raum.
„Viele Menschen kennen Iran nur durch die Medien, die die Geschehnisse mit den Augen der Regierung darstellen“, sagt Sharifi. „Dieser Film, genau wie andere Dokumentarfilme, die Menschen im Untergrund machen, zeigt eine andere Seite des iranischen Lebens, von der viele nichts wissen.“ So sind in „My Stolen Planet“ immer wieder private Aufnahmen von ausgelassenen Menschen zu sehen, die sich im spontanen Tanz – dem ultimativem Ausdruck von Lebensglück – verlieren. Gegenschnitt: Plötzlich zeigt Sharifi wieder verhüllte Frauen und antiamerikanische Propaganda in den Straßen.
Iranisches Regime: Der Hidschab war schon immer mehr als ein Stück Stoff
Die Regisseurin, die im Jahr der Islamischen Revolution 1979 geboren wurde, sei „auf zwei Planeten“ aufgewachsen, sagt sie: frei im persönlichen Umfeld, gegängelt in der Öffentlichkeit. Für eine Iranerin sei das Private daher unbedingt politisch: „Wenn das ganze tägliche Leben kontrolliert wird, dann ist jede persönliche Handlung eine politische Sache“, sagt Sharifi im Gespräch mit dem Abendblatt. Und sei es der Gang auf die Straße ohne Kopftuch. Der Hidschab war schon immer weit mehr als ein Stück Stoff.
Im Herbst 2022 begann die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung in Iran, die bald zu Protesten in aller Welt führte. Auslöser war der Tod von Jina Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte die Iranerin totgeprügelt, nachdem die erst 22-Jährige sich in deren Augen nicht ausreichend verhüllt hatte. „Frau, Leben, Freiheit“, oder auf Persisch: „Jin-Jiyan-Azadî“, nimmt für die Regisseurin eine tragende Rolle ein – in der Dokumentation und im persönlichen Empfinden gleichermaßen.
Regisseurin in Hamburg: „Die Menschen in Iran sind sehr mutig, sie sind unglaublich“
Wie die Menschen, gerade auch jüngere, sich in ihrem Heimatland für Frauenrechte und Freiheit aufbäumen, bewundert Sharifi: „Diese neue Generation und die Menschen in Iran sind sehr mutig, sie sind unglaublich. Sie sehen, dass wir ein besseres Leben verdienen, und sie kämpfen dafür.“ Die Rolle der Künstler in diesem Kampf sei es, ihn „zu dokumentieren, diese Ideen zu teilen und die Geschichten der Menschen zu erzählen“, meint Sharifi. Ihr Film zeigt eindrucksvoll, wie relevant jedes Handyvideo der unerschrockenen Iranerinnen und Iraner ist, um dem Propagandamaterial des Regimes Fakten entgegensetzen zu können.
Einen Film wie „My Stolen Planet“ zu machen ist angesichts der politischen Situation in dem Land ein heikles Unterfangen. Presse- und Kunstfreiheit wie in Deutschland gibt es dort nicht: „Man denkt die ganze Zeit darüber nach: Was passiert, wenn ich diesen Satz, dieses Foto oder dieses Video verwende?“, beschreibt Sharifi. Sich davon freizumachen erfordert enormen Mut – den die Regisseurin aufgebracht hat: „Vielleicht ist das mein erster Film, bei dem ich nie über Zensur nachgedacht und mich nicht selbst zensiert habe“, sagt sie. Und das, obwohl sie mit ansehen musste, wie befreundete Dokumentarfilmerinnen schon in Haft landeten.
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Berlinale: Regisseurin Sharifi kam für einjährige Künstlerresidenz nach Hamburg – und blieb
Singende Frauenstimmen sind in Sharifis Heimatland verboten. Das allererste Konzert einer iranischen Sängerin hat die Regisseurin daher erst in Hamburg erlebt. Hierher war Sharifi im Jahr 2022 ursprünglich für eine einjährige Künstlerresidenz gekommen. „Doch in Anbetracht dessen, was [in Iran] passiert ist, habe ich beschlossen, länger [in Hamburg] zu bleiben. Es fühlte sich für mich wie eine Pflicht an, diese Chance zu nutzen.“
Sharifi ist nicht die einzige Iranerin, die es nach Hamburg verschlagen und deren Werk es auf die Berlinale-Leinwände geschafft hat. Auch der Regisseur Mohammad Rasoulof, der 2020 mit seinem regimekritischen Film „Doch das Böse gibt es nicht“ den Goldenen Bären als Hauptpreis des Festivals gewann, lebte für einige Jahre in der Hansestadt. 2022 wurde Rasoulof in Iran verhaftet. Sieben Monate verbrachte er im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Das Land darf er bis heute nicht verlassen.
Was ist der Grund dafür, dass sich immer wieder Regisseure aus Iran in Hamburg niederlassen, um hier in Freiheit künstlerisch zu arbeiten? „Es ist Albert“, sagt Sharifi und meint den ehemaligen langjährigen Filmfest-Hamburg-Leiter Albert Wiederspiel, der sich seit Jahrzehnten für unterdrückte Filmemacher einsetzt. „Er ist ein großartiger Mensch, ich bewundere ihn. Er weiß, wie man die Leute verbindet.“ Um, so die Regisseurin, etwas Neues entstehen zu lassen.