Hamburg. Jan Lisiecki kam für ein spannendes Klavier-Recital mit Chopin und vielen anderen in die Laeiszhalle. Ein sehr anregender Abend.

Kaum ein Pianist kann und will auf Chopins 24 Préludes verzichten. Genial, wie sich Chopin auf Bach bezieht und sich doch von ihm löst. Neue Ausdruckformen und -gehalte erfindet, neue Klaviertechniken verlangt. Aber der Zyklus dauert gerade mal 50 Minuten, gut für eine Konzerthälfte. Was spielt eine Pianistin, ein Pianist in der anderen? Jan Lisiecki, der 28 Jahre junge Kanadier mit polnischen Wurzeln, hatte jetzt eine gute Idee und stellte sie bei seinem Laeiszhallen-Recital vor.

Die zweite Hälfte war Chopins legendären Préludes gewidmet, und die erste Hälfte war gewissermaßen ein großes Präludium zu diesem großen Chopin-Zyklus. Lisiecki begab sich auf die Suche nach 16 Préludes aus drei Jahrhunderten (18.-20.) von sechs Komponisten: Bach, Chopin, Rachmaninow, Szymanowski, Messiaen und Górecki. Er kombinierte sie dramaturgisch unglaublich geschickt und ließ sie meist nahtlos aufeinanderfolgen. Dabei waren Kontrast zum vorher Gehörten oder dessen logische Fortführung beziehungsweise Steigerung oder Reflektion das Prinzip. Bekanntes wechselte mit Unbekanntem. Ein wahrer Präludien-Reigen.

Laeiszhalle: Lisieckis Präludien-Reigen aus drei Jahrhunderten

An Chopins Regentropfen-Prélude Des-Dur schloss sich zum Beispiel dessen selten gehörtes As-Dur Prélude an. Mit dabei die bekannten C-Dur- und c-Moll-Präludien aus Bach Wohltemperiertem Klavier Band eins. Fulminant der Abschluss mit dem marschähnlichen Rachmaninow-Prélude g-Moll Op. 23. Spannend die impressionistisch inspirierte Klangwelt bei Messiaen, das Agitatorisch-Motorische bei Górecki, interessant die Chopin-Nähe bei Szymanowski. Eindrücklich hier das Farbspektrum und die Dynamik- und Anschlagspalette von Lisiecki.

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Auch der Chopin-Prélude-Zyklus nach der Pause hatte berührende Momente, doch hier gab es noch Luft nach oben. Atemberaubend die schnellen Finger beim halsbrecherischen b-Moll-Prélude. Oder beim sehr schweren Es-Dur-Prélude, doch da braucht es zudem Eleganz und Leichtigkeit und Noblesse. Die wären auch bei anderen Préludes vorstellbar gewesen (F-/As-Dur). Die Tendenz, langsame Stücke extrem zu dehnen (h-Moll) und schnelle Préludes zu hetzen (gis-/d-Moll) sollte Lisiecki vielleicht überdenken. Dennoch ein sehr anregender Klavierabend.