Hamburg. Der kroatische Pianist spielte beim Schleswig-Holstein Musik Festival in Hamburg – nur in wenigen Momenten entstand etwas wie Zauber.

Der Pianist Ivo Pogorelich spaltet die Musikwelt. 1980, als er 22jährig am Chopin-Wettbewerb in Warschau teilnahm und in der dritten Runde ausschied, tobte Jury-Mitglied Martha Argerich und bekannte öffentlich, dass sie den Kroaten für ein Genie halte. Was ihm mit einem Schlag eine Weltkarriere bescherte.

Exzentrisch, eigenwillig, überraschend war schon damals das Klavierspiel von Ivo Pogorelich. Als 1996 seine Frau und ehemalige Klavierlehrerin Aliza Kezeradze starb – sie war über zwanzig Jahre älter als er – , warf ihn das aus der Bahn. Er zog sich für längere Zeit von der Bühne zurück. Und als er wieder auftrat, war sein Klavierspiel noch extremer geworden.

Elbphilharmonie: Pogorelich gibt Rätsel auf

Bis heute gibt Ivo Pogorelich Rätsel auf, so auch bei seinem SHMF-Recital in der Elbphilharmonie mit Chopin und Schubert. Klar, er hat ein sagenhaftes pianistisches Potenzial. Technische Probleme kennt er nicht, er kann jeden Ton, jede Stimme eines komplizierten Klanggeflechts mit einer anderen Farbe gestalten, so dass man alles wie unter einem Brennglas hört.

Aber Pogorelich sezierte vor allem Chopin regelrecht. Er dehnte nicht nur anfangs in der Fantasie f-Moll op. 49 das Tempo so extrem, dass der musikalische Zusammenhang kaum wahrnehmbar war, und oft ganz verloren ging. Die beiden Nocturne c-Moll op. 48/1 und E-Dur op. 62/2 klangen wie buchstabiert und mit angezogener Handbremse.

Dritte Sonate von Chopin kam lethargisch daher

Auch nach der Pause kam die abschließende dritte Sonate h-Moll von Chopin im langsamen Satz so lethargisch daher, dass man eigentlich nichts als Qual empfand. Nur in ganz wenigen Momenten entstand so etwas wie Zauber, etwa wenn Pogorelich eine elegante, lange Ton-Girlande über einem Klangteppich schweben ließ.

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Erstaunlich ist aber, und das zeigt ja auch Pogorelich’ künstlerisches Potenzial, dass er im Saal eine große Konzentration erreichen konnte. Das Publikum hörte ihm respektvoll zu. Man staunte zum Beispiel über seine extrem leisen dynamischen Abstufungen.

Pogorelich fehlte Feuer und Energie in Hamburg

Was Pogorelich aber fehlt, auch bei diesem Hamburger Abend, sind Feuer und Energie. War er früher wirklich ein stupender Virtuose, so meisterte er etwa technisch anspruchsvolle Passagen im Finale der Chopin-Sonate ohne jeden Glanz. Da ging die Klarheit in üppig eingesetztem Pedal ab und zu verloren.

Lediglich bei Schuberts sechs „Moments musicaux“ konnte man sich ein bisschen „zuhause“ fühlen, sie waren im Ganzen weniger manieriert. Dennoch, auch hier klang das Forte oft verwaschen – im schnellen fünften Moment musical –, auch hier drohte das zauberhafte zweite, As-Dur Moment musical in seine Einzelteile zu zerfallen. Das tänzelnde dritte, f-Moll Moment musical hatte zwar einen schönen Puls, aber den zarten Wiener Charme, der all diese Klavierminiaturen durchzieht, suchte man vergebens. Trotzdem erhielt Pogorelich viel Applaus in der Elbphilharmonie.