Hamburg. In der fast ausverkauften Laeiszhalle sorgte der Kanadier Jan Lisiecki für stehende Ovationen. Doch nicht alles gelang ihm.

„So einen Menschen“, sagt der Geiger und Dirigent Pinchas Zukerman, „gibt es vielleicht zweimal in 100 Jahren“. Gemeint ist Jan Lisiecki, jener kanadische Klaviervirtuose, der mit seinen 24 Jahren bereits auf den großen Bühnen der Musikwelt zu Hause ist. Weiß man, dass er sich schon als Kind für alles interessierte, was mit der Fliegerei zu tun hat, liegt das Wort vom „Überflieger“ nahe. Tatsächlich musste sich Lisiecki nicht bei den ganz großen Wettbewerben bewähren. Seine Karriere verlief anders, er war ein „Wunderkind“. Heute blickt er bereits auf eine mehr als zehnjährige Konzerttätigkeit zurück. Gelegenheit ihn zu hören, gab es nun im Rahmen der ProArte-Reihe „Meisterpianisten“ im nahezu ausverkauften Großen Saal der Laeiszhalle.

Im Programm mehrfach vertreten: Capriccios und Stücke kapriziösen Charakters. Am Anfang stand eine Komposition von J. S. Bach, das Capriccio über die Abreise seines vielgeliebten Bruders. Dieses Frühwerk gliedert sich in mehrere programmatische Abschnitte; in Tönen werden hier die wechselnden Empfindungen der Daheimgebliebenen geschildert – eine klingende Gefühlsreise.

Mit Chopin konnte Lisiecki nicht überzeugen

Zu Mendelssohn hat Lisiecki ein besonders enges Verhältnis. So war der Komponist an diesem Abend denn auch dreimal vertreten. Zunächst mit den Liedern ohne Worte op. 67, von denen die langsamen zu ausdrucksstarken Charakterbildern gerieten. Darauf folgten Chopins Nocturnes op. 27, die nicht gleichermaßen überzeugen konnten. Lisiecki fasst die Melodielinien eher kleinteilig auf, hat dazu einen robusten Ton. Ein wenig fehlte es diesem Chopin-Spiel an Poesie, an Noblesse.

Beethovens Rondo a capriccio op. 129, auch bekannt als „Die Wut über den verlorenen Groschen“, kam seiner Spielweise mehr entgegen. Ein ungestümes Stück, mit Biss und Bravour gemeistert. Es folgte wieder Mendelssohn. Das einleitende Andante des Rondo capriccioso op. 14 wusste Lisiecki fein abzutönen. Sodann ließ er seinen Fingern freien Lauf. Die rasanten Schluss-Oktaven fielen allerdings fast lärmend aus.

Stehende Ovationen für Lisiecki

Die zweite Konzerthälfte hielt dann eine Überraschung bereit: Valse-Caprice von Anton Rubinstein, dem russischen Liszt-Rivalen. Einst ein populäres Stück, ist es heute aus dem Repertoire verschwunden. Ob die Entscheidung glücklich war, auf den nächsten Programmpunkt, nämlich Chopins Nocturnes op. 62, wieder Mendelssohn, nämlich dessen (übermäßig brillant gespielte) Variations sérieuses op. 54, dann aber erneut Chopin folgen zu lassen, steht dahin.

So wie zum Abschluss vorgeführt, machte die 4. Ballade op. 52 mit ihrer Klangschönheit, ihrer Dramatik und reichen pianistischen Erfindung jedenfalls Eindruck. Der Lohn: stehende Ovationen. Und als Zugabe dann die eröffnende Aria aus den Goldberg-Variationen. Ohne Zweifel wird Jan Lisiecki auch weiterhin für volle Konzertsäle sorgen.

Aktuelle Einspielung: Jan Lisiecki: Beethoven Piano Concertos (3 CDs, ca. 30 Euro)