Hamburg. Tosender Beifall für Krystian Zimermans Konzert in der Elbphilharmonie. Der Perfektionist bewies an diesem Abend eine Menge Geduld.
Es gibt einige wenige sensationelle Pianisten und Pianistinnen, und es gibt den als Perfektionist bekannten Krystian Zimerman. Diese Binse zuerst, für alle, die ihm bei seinem Konzert in der Elbphilharmonie ausdauernd dazwischenhusteten oder schon nach dem zehnten Klingeln realisierten, dass das tatsächlich aus dem eigenen Smartphone kam. Der Behustete blieb sitzen – bei ihm nicht immer eine Selbstverständlichkeit – und hustete nur demonstrativ zurück.
Seine Detailversessenheit bei Anschlagsdisziplin und Klangbesonnenheit macht ihn noch spezieller, er denkt noch mehr mit und noch weiter als andere, während er spielt.
Elbphilharmonie: Krystian Zimerman hustet bei Konzert demonstrativ zurück
Für sein erst zweites Elbphilharmonie-Recital nach vier Jahren Abwesenheit hatte Zimerman die ersten zwei Bach-Partiten mit zwei polnischen Nationalheiligtümern kombiniert – Chopins opulent sprudelnde h-Moll-Sonate, toller, alter Virtuosen-Schulstoff, mit Kostproben aus dem unterschätzten, zu unbekannten Schaffen von Karol Szymanowski, der eine Generation später zum Wegsucher in die Vormoderne reifen sollte.
Eine schöne Balance, um daraus erhellende Charakterstücke zu machen, die die Aufmerksamkeit vom Interpreten weg und tief in die Musik lenken.
Krystian Zimerman: Bei Bach soll alles fließen, weich und nobel
Zimermans unrevolutionäres Bach-Bild ist vom Streben nach Balance und Harmonie geprägt, alles soll fließen, weich und nobel, elegant federnd in den schnelleren Tanzsätzen.
Die langsamen Abschnitte bekamen Tiefe und Ruhe, wurden ausgesungen und ausgelotet, die Fugen waren kleine Wunderwerke der Feinmechanik. Kalligrafie statt Fleißarbeit.
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Szymanowski-Préludes mir zartbitterer Wehmut in der Elbphilharmonie
Anders interessant wurde es zunächst mit einigen der sehr frühen Szymanowski-Préludes op. 1. Zimerman spielte sie als das, was sie waren: Verbeugungen vor der Tradition, mit zartbitterer Wehmut leicht gezuckert, mal verhuscht, mal selbstbewusster.
Aber immer: suchend. Auch hier kein frontales Rattern oder Nachdrücken, diese Schmuckstückchen blieben als entfernte Debussy-Verwandte so fragil und diskret, wie sie es verdient haben.
Elbphilharmonie: Am Ende tosender Beifall für Krystian Zimerman
Die Mazurken-Auswahl, 49 Opuszahlen später entstanden, präsentierte Zimerman entsprechend eigenwilliger. Szymanowski wollte in den 1920ern keine Folklore-Floskeln aus dem Vorjahrhundert mehr aufwärmen. Die zu kurzen Ahnungen komprimierten Andeutungen eröffneten Zimerman entsprechend größere Freiräume, um diese Stücke kontraststark und mit großer Innenspannung wirken zu lassen.
Und nachdem Chopin bislang einzig als Referenzgröße im Raum gestanden hatte, rundete Zimerman den beeindruckenden Auftritt, der mit tosendem Beifall endete, mit dessen letzter, reifer Sonate ab, die sich immer wieder aus dem Formkorsett herausbewegt. Funkelnd, mit einem ganz dezent eingesetzten Hauch Salonlöwen-Parfum, wo es passte, das Scherzo filigran rasend und das Finale straff durchgezogen.
Aktuelle Aufnahme: Szymanowski „Piano Works“ (DG, CD ca. 18 Euro)