Hamburg. Lila zum Frauentag: In ihrem neuen Band erklärt Hamburger Bestsellerautorin, „warum Frauen den Mut haben sollten, alles zu wollen“.
Emanzen-Lila! Herrlich. Die Covergestaltung des neuen Kirsten-Boie-Buches darf man selbstironisch finden – oder wahlweise ruhig ein bisschen lustig, weil die Autorin im Buch selbst die Einteilung von Kinderbüchern nach farblichen Rollenklischees kritisiert: „Auch in der Gestaltung wird das auf den ersten Blick deutlich: Pink und Glitzer für die Mädchen, eher dunkel und spannungsgeladen für die Jungs.“ Übrigens ist nicht nur der Bucheinband, sondern auch die Schrift in Boies Neuerscheinung lila. Lila für die Frauenbewegten.
Kirsten Boie und der Feminismus: Die Widerstände, die einem als Frau begegnen, sind leider zeitlos
Aber wichtiger ist selbstverständlich, was und nicht wie es da steht: „Aufruf zum Größenwahn“ heißt der schmale, inhaltlich gehaltvolle und im Hamburger Arche Verlag erschienene Band. Untertitel: „Warum Frauen den Mut haben sollten, alles zu wollen“. Er enthält Kirsten Boies leicht überarbeitete und ergänzte Rede, die die bekannte Kinder- und Jugendbuchautorin und Hamburger Ehrenbürgerin anlässlich des Internationalen Frauentags bereits am 8. März 2020 beim Senatsempfang im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses hielt. Nun gibt es diese Rede also auch in Buchform – und sie ist in den vier Jahren nicht entscheidend gealtert. Leider, muss man vermutlich sagen: Die Widerstände, die einem im Leben als Frau so begegnen, sind trotz zahlreicher positiver Entwicklungen geradezu zeitlos.
Es ist ein ausgesprochen persönlicher Text, in dem Kirsten Boie immer wieder offenlegt, wie sehr die Frage „Mann oder Frau?“ für ihr Leben entscheidend war. Sie wäre zum Beispiel gern Chemikerin geworden – bei der Berufsberatung war man auf so eine Ungeheuerlichkeit jedoch nicht vorbereitet: „Chemiker, womöglich Chemieprofessor werden, das könne man nur als Mann. Aber wenn mich das Thema erstaunlicherweise so interessiere, dann hier: Ein Infoblatt mit Fotos über den Beruf der chemisch-technischen Laborantin.“ Es muss einem an dieser Stelle natürlich Bonnie Garmus‘ Superhit-Romandebüt „Eine Frage der Chemie“ einfallen, auch hier findet sich der Link zwischen einer Chemikerin und dem Thema weibliche Emanzipation.
Neues Buch – Kirsten Boie: „Der größte Fehler der Frauen ist ihr Mangel an Größenwahn“
Boies „Aufruf zum Größenwahn“ ist Geschichtsstunde, feministische Reflektion und Appell zugleich. Ein erregtes „Empört euch!“ ist es nicht, dazu schreibt diese Autorin vielleicht auch zu freundlich. Ihr Titel bezieht sich auf einen Satz, den Kirsten Boie in Anlehnung an eine Passage aus Irmtraud Morgners Roman „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz“ und als Ermahnung an sich selbst lange über dem Schreibtisch hängen hatte: „Der größte Fehler der Frauen ist ihr Mangel an Größenwahn“.
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Liegt der Ball also wieder bei den Frauen, sind sie eben doch irgendwie selbst schuld? Nein, nicht nur die Eigenverantwortung interessiert Boie, sondern auch die Bedeutung gesellschaftlicher Strukturen. Insbesondere den Einfluss von (sozialen) Medien und, natürlich, von Kinderbüchern auf die (Selbst-)Wahrnehmung junger Frauen und Mädchen – und Jungs! – hat sie während fast 40 Jahren, in denen sie die Kinderliteratur aktiv prägte, beobachtet.
Kirsten Boie über Mental Load und Rollenzuschreibungen
Sie beschreibt den alltäglichen „Mental Load“ in Familien, der zu großen Teilen nach wie vor bei den Müttern liegt, auch dann, wenn sie in Vollzeit arbeiten. Und sie solidarisiert sich: Großartig sei zum Beispiel, „dass sich jugendliche Buchblogger:innen mittlerweile zusammengeschlossen und an eine große Kette gewandt haben mit der Aufforderung, Gendertische abzuschaffen“. Sie persönlich wolle „keine wie auch immer festgelegten Rollenzuschreibung“, stellt Kirsten Boie klar.
Ihr Band ist kein Jugendbuch, aber er eignet sich schon im Tonfall ohne Frage bestens auch für jugendliche Leserinnen. Die können nach dem Fazit dann direkt den Staffelstab übernehmen. Zu tun ist genug: „Ja, es hat sich vieles bewegt während der Zeit meines Lebens, erstaunlich viel, erfreulich viel“, schreibt Kirsten Boie, „aber doch immer noch nicht genug“.
Die Buchpremierefindet am 6. Mai, 19.30 Uhr, in der Buchhandlung Christiansen in Ottensen statt. Karten gibt es dort bereits im Vorverkauf oder unter T. 39 02 072.