Ulrich Waller, Künstlerischer Leiter des St. Pauli Theaters, erinnert an den gestorbenen Regisseur und Bühnenbildner Wilfried Minks, seinen langjährigen Weggefährten

Mit Wilfried Minks verliert das St. Pauli Theater nicht nur einen wunderbaren Freund, sondern auch einen seiner stilbildenden Regisseure und Bühnenbildner.

Ich habe Minks kennengelernt als ganz junger Assistent 1977 in Frankfurt am Schauspiel bei seiner Inszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“. In diesem von einem Mitbestimmungsmodell zermürbten Haus, in dem Theaterkunst fast ausschließlich von extremer Anstrengung und meist auch schlechter Laune geprägt war, fiel er mit seiner lebensbejahenden Art, mit seiner unbändigen Lust an seiner Arbeit völlig aus dem Rahmen.

Da war plötzlich ein Regisseur, der die Schauspieler animierte, meist in engem Körperkontakt mitten unter ihnen auf der Bühne, der mit ihnen aß und trank. Das kannte man an diesem Haus sonst nicht. Und da war einer, der alle in seinem Team gut behandelte, immer auf Augenhöhe, auch mit jedem Techniker und Beleuchter.

Das hieß nicht, dass er nicht auch ungeduldig werden konnte, wenn ihm etwas zu langsam voranging, künstlerisch oder technisch. Aber sein Enthusiasmus hatte immer etwas Ansteckendes. Man konnte ihm einfach nicht böse sein. Dazu waren seine Vorschläge und Ideen einfach zu genial, oft völlig überraschend und neu. Und er wusste auch immer ziemlich genau, wie man sie praktisch umsetzen konnte.

Als ich 2003 ans St. Pauli Theater kam und sein alter Weggefährte Zadek bei uns arbeiten wollte, tauchte auch Wilfried Minks öfter auf. Man sah ihn regelmäßig in Premieren. Bis zuletzt ist er neugierig gewesen auf neue Stücke, auf neue Erzählweisen, auf neue Schauspieler, und so war es völlig logisch, dass er 2004 auch bei uns anfing zu inszenieren.

Klassiker der Moderne hatten wir uns vorgenommen auf unserer kleinen Bühne, und mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ mit Hannelore Hoger sollte es losgehen („Endstation Sehnsucht mit Ben Becker und „Tod eines Handlungsreisenden“, mit dem dafür mit dem Faust-Preis gekrönten Burghart Klaußner sollten dann noch folgen). Hoger kannte er aus seiner gemeinsamen Zeit mit Zadek Ende der 50er-Jahre in Ulm. Und auch zu den übrigen Figuren hatte er genaue Vorstellungen. Da musste ich dann auch schon einmal lange Reisen machen, wie die zu Marcus Bluhm nach Italien, um die letzten Hindernisse dieses Engagements auszuräumen. Denn so schnell ließ er nicht ab, wenn er sich einmal für jemand entschieden hatte.

Auch in späteren Jahren verblüffte er uns immer wieder mit Fotoausdrucken aus dem Internet, wenn er sich in einen Schauspieler, eine Schauspielerin verguckt hatte, die er jetzt unbedingt kennenlernen wollte, mit der oder dem er arbeiten wollte.

Auffällig waren immer die fast unendlich langen Leseproben. Wieder und wieder wurde der Text durchgearbeitet, jede Betonung, fast jedes Komma, bevor es das erste Mal überhaupt auf die Bühne ging. Oft bis zu dem Punkt, an dem die Schauspieler schon ungeduldig wurden. Aber Minks hatte ein im Theater seltenes absolutes Gehör. Unter falsche Tönen litt er geradezu körperlich. „Der Text ist für mich schon Raum“, hat er einmal gesagt.

Die Bühnenräume für seine Inszenierungen hat er natürlich auch immer selbst gestaltet. Er liebte die Nudelbrettbühne unseres Theaters, das er immer mit einem Gasthaus verglichen hat. „Eigentlich kann man das gar nicht richtig Theater nennen, aber es lässt alles ganz direkt geschehen.“ Diese Direktheit hat ihn immer fasziniert, und so ist er in fast allen Bühnenbildern dem Publikum jedes Mal noch nähergerückt, indem er eine Vorbühne gebaut hat, auf halber Höhe zwischen Bühne und Parkett. Auf der waren die Schauspieler für die Zuschauer quasi zum Greifen nah.

Bis kurz vor seinem Tod war er in seinen Träumen im Theater

„Du sollst bei uns so lange inszenieren, wie Du auf eine Probebühne kommen und mit Schauspielern arbeiten kannst“, das war unsere Verabredung. 2015 ist hier seine letzte Arbeit als Regisseur entstanden: „Constellations“ von Nick ­Payne. Wunderbar leicht inszeniert mit Judith Rosmair und Johann von Bülow und wieder ein magischer Raum mit der großen Zeitscheibe, die im Hintergrund langsam über die Bühne rollt.

Und 2017 schloss sich dann der Kreis. Wilfried hatte Lust, noch mal ein Bühnenbild zu entwerfen für meine Inszenierung von „4000 Tage“ von Peter Quilter. Es sollte die letzte Arbeit einer großen, reichen Karriere dieses Bühnenbauers werden.

Im Zentrum des Stückes ein junger Maler, der sein Gedächtnis verloren hat und sich über die Bemalung seines Krankenzimmers langsam die Erinnerung an sein früheres Leben zurückholt. Der Autor hatte eigentlich vorgesehen, dass man je nach Rekonvaleszenzstand die Wände austauscht, auf denen das Bild des Malers zu sehen sein sollte.

Minks hatte eine völlig andere Idee. Die Rückwand war eine große Glasscheibe,, und das Bild sollte live entstehen. Er hatte natürlich eine Vorstellung davon, wie das Gemälde aussehen sollte, und so saß er oft abends im Theater und redete nach der Probe mit Boris Ajinovic, der den Maler spielte, über die Details des gerade entstandenen Bildes. Da saßen zwei Künstler zusammen, Ajinovic ist selbst ein begnadeter Zeichner, und redeten über Kunst und vor allem auch über Handwerk.

Das werde ich nie vergessen und auch die Anrufe, wenn Wilfried von der Probebühne nach Hause gefahren war und auf dem Rückweg plötzlich wieder eine ganz neue Idee hatte, die den Raum völlig veränderte.

Bis zuletzt, so erzählt es seine Frau Ulrike Maack, die ihm so liebevoll zur Seite gestanden und es ihm ermöglicht hat, so lange zu arbeiten, hat Minks im Theater gelebt. Und bis kurz vor seinem Tod war er in seinen Träumen im Theater und hat ihr Anweisungen gegeben, weil er mit seiner Arbeit noch nicht fertig war.

Tschüs, Wilfried!

Ulrich Waller (62) ist Künstlerischer Leiter des St. Pauli Theaters, an dem er auch selbst inszeniert. Er hat jahrzehntelang mit Wilfried Minks zusammengearbeitet.