Hamburg. Neben deftigen Beats und sanften Moshpits gab‘s beim Konzert von 01099 auch politische Appells für die 7000 Fans in der Sporthalle.

Über „die“ Gen-Z wird viel geredet: Dass viele aus dieser Generation gar nicht mehr richtig arbeiten wollen würden („faule Jugend!“), dass sie nur noch auf ihre psychische Gesundheit achten („zu sensibel!“) und sowieso hängen die den ganzen Tag nur auf TikTok herum („Zeitverschwendung!“). Doch bei all den Vorurteilen über eine Generation, zu der alle zwischen 1995 und 2010 Geborenen zählen, die allzu oft über einen Kamm geschert werden: Wer wissen will, was „die“ Gen Z bewegt, was sie zum Tanzen und zum Weinen bringt – der sollte bei einem Konzert von 01099 dabei sein.

Wie am Sonntag in Hamburg: Die Rap-Crew aus Dresden hat in der ausverkauften Sporthalle eine stabile Show abgeliefert. Die dreiköpfige Band tourt derzeit durch Deutschland und Österreich.

Konzert Hamburg: 7000 Menschen warten auf die Rapper von 01099

Junge Menschen in Oversized-Kleidung und mit farbig reflektierenden Brillen auf dem Kopf strömen in die geräumige Sporthalle. Auch ein paar Ältere sind zu sehen: Ob sie freiwillig oder lediglich in der Funktion eines Elternteils dort sind, darüber lässt sich nur mutmaßen. Die zwei Support-Acts „Verifiziert“ und „Sampagne“ überbrücken die Zeit bis zur Hauptshow. Auch Deutsch-Rapper „BadChieff“ kommt überraschend auf die Bühne: „Baby, guck nicht auf den Preis, ich bin jung und ich bin reich.“ Wer wünschte es sich nicht.

Während halb Deutschland auf das Dschungelcamp-Finale hinfiebert, warten 7000 Menschen in der Hansestadt gebannt auf die Dresdner Jungs von 01099. Ein großer, roter Vorhang verdeckt die Sicht auf die Bühne. Scheinwerfer zucken und strahlen und erhöhen die Spannung im Raum. Tausende kleine Bildschirme erhellen das Publikum zusätzlich, diesen Moment will jede und jeder mit dem Handy festhalten.

Alle Handys in die Höhe: Viele der Fans halten einen Großteil des Konzerts auf Kamera fest.
Alle Handys in die Höhe: Viele der Fans halten einen Großteil des Konzerts auf Kamera fest. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Sporthalle Hamburg: 01099 zwischen Ballermann und technoidem Deutschrap

Der Vorhang fällt, hellblaue Gewitter-Installationen sind auf den drei menschengroßen Bildschirmen auf der Bühne zu sehen. Vor ihnen singen die Bandmitglieder Gustav, Zachi und Paul den Song „Tempo“. Lyrics wie „Stumpfer Techno, reißt die Wohnung entzwei“ und „Tanzen, saufen, tanzen, saufen“ beschreiben den Stil der Band: irgendwo zwischen Ballermann-Hits und technoidem Deutschrap. In Adidas-Jacke gekleidet und mit billigem Wein von der Tankstelle die Nacht genießen – dieses Lebensgefühl wird in den Songs vermittelt.

„01099 geht einfach nicht ohne Family – und das seid ihr alle. Deswegen: Danke, dass ihr da seid!“, rufen sie ins Publikum. Während sie auf der Bühne hin- und herspringen und die teilweise stupiden Kalendersprüche rappen, sind Videoaufnahmen von Dresdner Altbauwohnungen im Hintergrund zu sehen. Und das nicht ohne Grund: Die Band kommt aus dem Dresdner Stadtteil Neustadt, die Nummer ihres Namens ist die Postleitzahl ihres Zuhauses.

01099 in Hamburg: Saxofon-Solos von Bandmitglied Paul stechen heraus

Doch die hedonistischen Großstadt-Atzen können auch anders: Besonders auf ihrem aktuellen Album „Blaue Stunden“ finden sich einige Lieder, die tiefer blicken lassen – ausnahmsweise mal nicht ins Glas, sondern in die seelischen Verfassungen der Rapper. Zum Beispiel der Song „Wahnsinn“ über eine verlorene Liebe, den sie zusammen mit Rapper Rin aufgenommen haben: „Siehst du das Dunkle in mei‘m Zimmer? Spür‘ die Panik. Erkenn‘ das Ungeheuer, ich kann nicht mehr atmen.“

Musikalisch bleibt die Gruppe eher bei einfachen Beats, simplem Hip-Hop mit Einflüssen aus der House-, Techno- und Trance-Szene. Diese Sounds liegen im Trend, wie am überaus erfolgreichen Genre-Bruder Ski Aggu erkennbar wird. Die Saxofon-Solos von Bandmitglied Paul lassen aufhorchen und geben den sonst häufig sehr ähnlichen klingenden 01099er-Songs einen besonderen Touch. Gerne würde man mehr davon hören.

Voller Einsatz: Bandmitglied Paul begeistert die Fans bei einigen Songs mit Saxofon-Solos.
Voller Einsatz: Bandmitglied Paul begeistert die Fans bei einigen Songs mit Saxofon-Solos. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Sporthalle Hamburg: Zachi gleitet im Schlauchboot durch die Menge

150-BPM-schneller Techno scheppert aus den Boxen, Bandmitglied Zachi gleitet in einem Schlauchboot auf einem Meer aus Fan-Händen aus der Mitte des Publikums zurück zur Bühne, und in jugendfreien Moshpits kann jede und jeder sorgenfrei teilnehmen: 01099 bietet ihren Anhängern am Sonntagabend ein absolut rundes Konzert voller Euphorie und Lebenslust.

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„Wir lieben Hamburg sehr!“, das offenbart die Band mehr als einmal an diesem Abend. Und auch warum: Die Burritos an der Sternbrücke, die seien fantastisch. „Kennt ihr diesen Ort? Wir sind sehr traurig, dass das da jetzt alles vorbeigeht“ – gemeint sind natürlich die Clubs, die einer neuen Brücke weichen müssen. Ein kleiner Stich ins Herz aller feierwütigen Hamburger, die unfreiwillig ans Clubsterben erinnert werden.

Konzert Hamburg: 01099 positioniert sich gegen Faschismus und die AfD

Und noch eine wichtige Botschaft möchten sie ihren Fans mitgeben: „Nazis haben hier nichts zu suchen. Verliert nicht euren Mut und geht weiter auf die Straße“, rufen die Dresdner. Gegen Ende gestaltet sich der Abend weniger politisch, mit dem Party-Song „Kolibri“ – passend dazu hängt ein gebastelter Kolibri in Riesen-Format von der Decke. Natürlich darf auch der Song „Frisch“ nicht fehlen, der auf Spotify über 100 Millionen Aufrufe hat – die Fans in Hamburg kennen die Texte.

Zum Abschluss fordert 01099 die „Family“ noch einmal zum Tanzen auf – und zwar dieses Mal ohne Handy, zum Song „Durstlöscher“. Denn egal, was auf Social Media passiert, mit wie vielen Menschen man sich weltweit vernetzen kann: Was sind schon kurze Videos auf kleinen Bildschirmen im Vergleich zu dem Erlebnis, die Lieblingskünstler live zu sehen, die Bass-Wellen im Körper und die Hitze der tanzenden Mitmenschen zu spüren. Das weiß auch – oder vielleicht sogar besonders – „die“ Gen-Z.