Hamburg. Zum Abschluss der Lessingtage kommt die Autorin als Regisseurin nach Hamburg. Mit einem Roman: „Wenn das Kind in der Polenta kocht“.
Nino Haratischwili ist dem Thalia Theater eng verbunden – als Bestsellerautorin. Ihre so meisterhaften wie umfangreichen Romane wurden hier von der Freundin und einstigen Kommilitonin Jette Steckel kongenial uraufgeführt: „Das achte Leben. Für Brilka“, „Die Katze und der General“, zuletzt „Das mangelnde Licht“.
Aber auch Nino Haratischwili ist, was ausgerechnet in Hamburg fast etwas in Vergessenheit geriet, studierte Regisseurin. Zum Abschluss der Lessingtage gastierte sie nun mit einer eigenen Inszenierung des Hessischen Landestheaters Marburg am Thalia in der Gaußstraße.
Thalia Theater: Autorin kommt bei Lessingtagen als Regisseurin nach Hamburg
Keine Adaption eines selbstverfassten Stoffes bringt sie hier mit ihrem rein weiblichen Ensemble auf die Bühne, aber ebenfalls einen Roman. Noch dazu einen, der in seiner Verspieltheit und der zugleich absolut ungeschönten Erzählweise eine Verwandtschaft mit Haratischwilis epischen Erzählungen spüren lässt: Auch Aglaja Veteranyis „Warum das Kind in der Polenta kocht“ zeichnet eine teils verstörende Intensität aus. Und auch hier wird die Geschichte eines Aufwachsens zwischen den Welten erzählt.
Mit drei georgischen Schauspielerinnen und der Musikerin Nestan Bagration-Davitashvili aus Georgiens Hauptstadt Tbilissi sowie drei deutschsprachigen Schauspielerinnen findet Haratischili dafür einen kraftvollen bilingualen Zugriff. In den beiden sinnfällig verschränkten Sprachen, die ihr selbst die nächsten sind, lässt sie die sechs Frauen von den Abgründen einer Zirkusfamilie erzählen.
Nino Haratischwili: Die Mädchen übertreffen sich in den makabersten Ausschmückungen
Immer neue Kammern des Schreckens kommen auf der so unerbittlichen Karussellbühne von Julia B. Nowikowa ans Licht. Immer grausamer wird dabei auch das von den zwei Schwestern der Schaustellersippe nacherzählte Schauermärchen vom Kind, das in einem Maisbrei zu Tode kommt, immer drastischer werden die Details. Wie sonst sollte diese Geschichte ablenken können vom Horror des wirklichen Lebens? Die Mädchen übertreffen sich in den makabersten Ausschmückungen, während die eigene Mutter an den Haaren unter der Zirkuskuppel hängt und der Vater als lustiger Clown begeistert. Außer wenn er sich zu Hause über die eigene Tochter hermacht.
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„Das Glück hatte ich mir anders vorgestellt“, heißt es an einer Stelle der schwindelerregenden Familienaufstellung lapidar. „Warum das Kind in der Polenta kocht“ ist ein Abend, der anfasst. Nino Haratischwili baut aus der Vorlage eine teils grelle Collage, die sowohl der Groteske einen Raum gibt als auch der Zartheit, der Verzweiflung und der Sehnsucht. Es sind die Zutaten ihres eigenen Schreibens, die sie auch in einem Fremdtext berührend offenzulegen vermag. Man würde sie gern öfter wieder als Regisseurin sehen – auch in Hamburg.