Hamburg. Die Uraufführung von Nino Haratischwilis Roman „Die Katze und der General“ hat in Hamburg zwiespältige Reaktionen hervorgerufen.
Nebel, überall dichter Nebel. Nur skizzenhaft schälen sich Konturen durch die Trübung. Ein tschetschenisches Dorfmädchen, das sich mehr vom Leben wünscht als ihm zugestanden wird, mit einem weißen Huhn auf dem Arm. Für beide jedoch, das Huhn und das Mädchen, ist vom Schicksal eine Schlachtbank vorgesehen.
„Die Welt ist bitterernst“, hatte schon Kultursenator Carsten Brosda kurz zuvor festgestellt, während beim Eröffnungs-Apérol zum Spielzeitauftakt hinter dem Thalia Theater noch die Eiswürfel unbeeindruckt in den roséfarbenen Drinks schaukelten. Thalia-Intendant Joachim Lux, wenngleich er der Hamburger Stadtgesellschaft eine große Offenheit attestierte, teilte die Beobachtung: „Da ist viel Verdüsterung im Spiel.“
Eine Verdüsterung, die für Jette Steckel in ihrer Uraufführung von Nino Haratischwilis Politthriller „Die Katze und der General“ am Thalia zum Grundmotiv einer Antikriegserzählung wird. Nebel, Schatten, Silhouetten. Nur vereinzelt dringen Schlaglichter durch die Dunkelheit. Tschetschenien, da war doch was. Bruchstückhaft erschließt sich der Plot, fügen sich Lebensläufe einzelner Figuren, die „Brutalität einer Scheindemokratie“, die Sucht nach Gewalt und die Folgen des Krieges zu einem Ganzen.
Die Bühne ist zugleich klar und genial vertrackt
Bei Nino Haratischwili ist es ein Journalist, der Deutsche Onno Bender, der sich einerseits müht, das Dunkel punktuell zu erhellen, anderseits längst selbst verstrickt ist in die gefährliche Recherche. André Szymanski spielt diesen Onno, beobachtet, kommentiert, nimmt teil und vor allem: sortiert. Mit weißer Farbe pinselt er szenenweise Ort und Zeit an die Wände: Tschetschenien, Moskau, Berlin, Marrakesch, 1995, 2016.
Jette Steckel stellt ihm eine Kollegin zur Seite, die im Roman keine solch offensive Aufmerksamkeit erfährt, deren Publikationen allerdings ausschlaggebend waren für Haratischwilis Arbeit. Mit ihrem grauen Pagenschnitt und den baumelnden Ohrringen ist Karin Neuhäuser als fiktive russische Reporterin Natalia Iwanowna eine Wiedergängerin der tatsächlich ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja.
Der Abend ist auch ein Plädoyer für mutigen Journalismus: „Wenn Sie diese Wahrheit schreiben, werden Sie auch zu den Terroristen zählen“, heißt es an einer Stelle. „Überall auf der Welt werden Menschen, die die Wahrheit sagen, zu Verbrechern erklärt“, an einer anderen. Historische Videoszenen holen die Inszenierung nah an die Lebenswirklichkeit, auch Putin kommt hier zu Wort: Der Einfluss „dieser Journalistin“, sagt er kühl nach deren Tod, sei unbedeutend.
Bemerkenswerte Übertragung bei Kernszene
Erzählt wird die Aufarbeitung eines Kriegsverbrechens, die Geschichte des in Tschetschenien vergewaltigten und ermordeten Mädchens Nura und des russischen Oligarchen Orlow. Orlow, den Jirka Zett mit maliziöser James-Bond-Bösewichtigkeit spielt, will seine eigene Schuld und die durch Soldaten begangenen Grausamkeiten nicht ungesühnt lassen. Er heuert eine Schauspielerin an, Katze, die dem Opfer frappierend ähnlich sieht, um einen Showdown zu erzwingen. Lisa Hagmeister zeigt in dieser Doppelrolle berührende Durchlässigkeit und ungebrochene Würde.
Für die Kernszene der Vergewaltigung findet Steckel eine bemerkenswerte Übertragung: Die Soldaten (brutal: Bernd Grawert, giftig: Ole Lagerpusch) hieven sich Nura einer nach dem anderen auf den Rücken und drehen sich rasant im Kreis. Die von oben abgefilmte Szene, die nur den ausgelieferten Frauenkörper zeigt, ist so beklemmend wie kunstvoll verfremdet. Sie ist schockierend, bleibt aber im Theater etwas erträglicher als im Roman.
Bühne ist genial vertrackt
Überhaupt ist der Abend auffallend bildstark. Das Licht von Paulus Vogt und Christiane Petschat ist ausgesprochen schlüssig gesetzt, das Setting von Bühnenbildner Florian Lösche überwiegend in Schwarz und Weiß gehalten. Beides, ergänzt um die ebenfalls schwarz-weißen Videoeinspielungen von Zaza Rusadze und den geradezu lässigen Graphic-Novel-Look, übersetzt den Inhalt so klug wie ästhetisch.
Die Bühne ist zugleich klar und genial vertrackt, wie Nuras symbolisch aufgeladener Zauberwürfel. Massive Wände fahren unaufhörlich hinauf und hinab; in einem Moment wirken sie einschüchternd, im nächsten formen sie ein Labyrinth oder eine Kammer, die ein intimeres Spiel ermöglicht.
Schwarz und Weiß also, Licht und Schatten. Wobei die Intention schon sein dürfte, gerade nicht in einer Schwarz-und-Weiß-Denke zu verharren bei der Frage, wie viel Skrupellosigkeit die Moral verträgt, wer woran Schuld trägt und ob eigentlich irgendjemand mal Verantwortung übernimmt.
Zuschauer gingen zur Pause
Nachdem Nino Haratischwili in ihrem letzten Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ eine Jahrhundertchronik europäischer Geschichte aus georgischer Sicht erzählte, womit ihr nicht nur eine opulente, sinnliche Familiengeschichte gelang, sondern auch ein (für ein mitteleuropäisches Publikum) überwältigender Perspektivwechsel, geht es diesmal sperriger zu, krasser. Die Bühnenfassung ist jedoch einleuchtend, spannend und gelungen, auch wenn es dann doch manchmal pathetisch wird, manchmal auch ausufernd, trotz der Verdichtung.
Mit dem Satz „Wir müssen zur Rechenschaft gezogen werden“ wird das Publikum in die Pause entlassen, einige Plätze bleiben anschließend leer. Vielleicht weil der Stoff manch einem zu drastisch ist, vielleicht weil die Geschichte für jemanden, der den Roman nicht kennt, im ersten Teil zu undurchschaubar bleibt.
Was folgt also aus einem solchen Abend? Jedenfalls nicht nur „höflicher, westlicher Beifall“, wie an einer Stelle sarkastisch befürchtet, sondern – nach mehr als dreieinhalb Stunden – heftiger Jubel derjenigen, die geblieben sind. Offen bleibt, ob das am Ende nicht trotzdem unter „höflicher, westlicher Beifall“ im Sinne einer routinierten Erschütterung verbucht werden muss.
„Die Katze und der General“ u.a. wieder am 4.9., 19.30, 14.9., 15.00, 15.9., 19.00, Thalia Theater (Alstertor), U/S Jungfernstieg, Karten unter T. 328 14-444