Hamburg. Der „Tatortreiniger“ präsentiert Ingrid Lausunds Monologe „Bin nebenan“ als Komödien, die meisterhaft am Abgrund spielen.
Besonders lustig ist das nicht. Ein Mann kann nicht einschlafen: Die Raten für sein Eigenheim wachsen ihm über den Kopf, der jüngste Kredit wurde nicht bewilligt, sein bürgerliches Familienkonzept liegt in Trümmern. Jetzt wälzt er seine Optionen hin und her: Obdachlosigkeit? Banküberfall? Versicherungsbetrug? Erweiterter Suizid? Schlimmer geht es eigentlich kaum.
Aber die Passage „Haus“ aus Ingrid Lausunds „Bin nebenan. Monologe für zuhause“ ist eben doch brüllend komisch. Weil sie gelesen wird von Matthias Brandt, der die Verzweiflung des Schlaflosen in minimalistischer Genauigkeit seziert, hier ein Zittern in der Stimme, dort ein Anziehen der Sprechgeschwindigkeit, kurz ein gepresstes „Arschlöcher“, wenn er über die Mitarbeiter der Bank spricht, wo ihm doch längst klar ist, dass er selbst das größte Arschloch ist, weil er die Warnungen seines Umfelds jahrelang ignoriert hat.
Bjarne Mädel im Schauspielhaus: „Hörbuch“ begeistert ganz ohne Schauspiel
Brandt also erweckt den Text (der entgegen dem Titel gar kein echter Monolog ist, weil sich verschiedene Stimmen im Kopf des Protagonisten überlagern) also mit ganz wenig Mitteln zum Leben, sein Gesicht wird per Video auf die Bühnenrückwand des Schauspielhauses geworfen, auch mit seiner Mimik macht er kaum etwas, aber dafür macht er das umso wirkungsvoller. Es ist lustig. Und berührend. Und erschreckend. „Haus“ ist in der Lesung des Ausnahmeschauspielers eine gelungene Komödie, in der sich der Abgrund versteckt.
Auch Bjarne Mädel ist so ein Komödiant, der meisterhaft Abgründe im Gelächter mitspielen kann. Schon seit Langem arbeitet er regelmäßig mit Lausund zusammen, zunächst als beide Anfang des Jahrhunderts am Schauspielhaus beschäftigt waren, später beim Fernsehen, insbesondere bei der preisgekrönten Serie „Der Tatortreiniger“, bei der Lausund die Drehbücher schrieb und Mädel die Titelrolle spielte. Ein Dreamteam.
Lesung: Lina Beckmann kann im Schauspielhaus nicht an sich halten
Die Monologsammlung „Bin nebenan“ versammelt zwölf kleine Stücke, die Lausunds Können eindrucksvoll unter Beweis stellen, Mädel allerdings spielte noch keinen von ihnen: Auf die Bühne kommen sie nur selten, jeder dauert rund eine halbe Stunde, eine Inszenierung des Gesamtbandes würde also viel Zeit in Anspruch nehmen.
Aber: Als Hörbuch funktionieren diese Texte auch! Weswegen Mädel seine Kontakte spielen ließ und „Bin nebenan“ mit der ersten Riege der deutschsprachigen Schauspielwelt aufnahm: mit Jens Harzer, Fritzi Haberlandt und Sophie Rois etwa. Und Matthias Brandt, Angelika Richter und Lina Beckmann, die Mädel am Sonnabend ins Schauspielhaus mitbrachte, um vier der Episoden zu lesen.
Er selbst: „Bett“, die Geschichte eines jungen Mannes mit Behinderung, der in allen Tiefschlägen seines Lebens (prügelnde Alkoholiker-Mutter, Mobbing, Job im Schlachthof) etwas Positives zu erkennen weiß. Richter: „Badezimmer“, die Geschichte einer Frau, der die erotische Fantasie im Schaumbad entgleitet, bis irgendwann die eigentlich zur Lustbefriedigung gedachten dunkelhäutigen Männer am Wannenrand stehen und die Tür des Badezimmers zur EU-Außengrenze wird. Brandt: eben „Haus“, die Geschichte des gescheiterten Traums vom Eigenheim. Gott, ist das alles deprimierend!
Schauspielhaus Hamburg: Gespielt wird an diesem Abend nicht – nur gelesen
Nein, das ist es natürlich nicht. Beckmann liest zum Abschluss „Bild“, auch das ein Gedankenschweifen, in dem sich das raffaelitische Gemälde „Das jüngste Gericht“ zunächst aufschwingt, einer jungen, in ihrer Ambitionslosigkeit halbwegs glücklichen Frau die Leviten zu lesen. Und das daraufhin per Nagellackentferner zum Schweigen gebracht wird – eine Selbstermächtigung. Die von Beckmann mit Freude an der Übertreibung gelesen wird.
Mag sein, dass Mädels einleitende Behauptung korrekt ist, und die Besetzung im Schauspielhaus kam zustande, weil Brandt, Richter und Beckmann nun mal am Sonnabend Zeit hatten. Aber zwischen Brandts Minimalismus und Beckmanns Spaß am gnadenlosen Chargieren tun sich eben auch unterschiedliche Ebenen des Humors auf, und alle sind sie gleichsam eine Freude.
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Trotz der Videowand: Gespielt wird an diesem Abend eigentlich nicht, es wird nur gelesen, das allerdings mit viel Vergnügen. Und zwar für alle Beteiligten: Bei Richters Lesung prustet Brandt plötzlich los, Beckmann kann ohnehin kaum an sich halten. Und das Publikum? Ist von der ersten Minute an begeistert.